Zwischen Verweigerung und (heimlicher) Kollaboration – die Innere Emigration während der NS-Zeit
Während die meisten Kulturschaffenden, die vor den Nationalsozialisten ins Ausland geflohen waren, nach 1945 vor allem in Westdeutschland Schwierigkeiten hatten, wieder Fuß zu fassen, konnten diejenigen, die zwischen 1933 und 1945 in Deutschland geblieben waren, häufig bruchlos ihre Karriere fortsetzen. Viele von ihnen reklamierten für sich, in die sogenannte „Innere Emigration“ gegangen zu sein und sich dem NS-System verweigert zu haben. Die Hamburger Künstlerin Isabel Kreitz widmet sich diesem Thema in ihrer Graphic Novel Die letzte Einstellung.
Angeregt durch Hans-Christoph Blumenbergs 1993 unter dem Titel Das Leben geht weiter erschienenen Bericht über die Produktion des gleichnamigen Films, schildert die Autorin die Entstehungsgeschichte dieses letzten NS-Spielfilms. Auf Weisung von Reichspropagandaminister Goebbels produzierte die UFA Ende 1944 / Anfang 1945 zunächst in Babelsberg, später in Bardowick sehr aufwendig einen Film, der im Sinne der Nationalsozialisten den Durchhaltewillen der Deutschen anstacheln sollte. Eingehend zeigt Kreitz nicht nur die technische Seite der Film-Produktion. Sie verdeutlicht auch, dass das Filmteam selbst wenige Wochen vor Kriegsende in einer realitätsfernen Blase lebte und alles dem Ziel unterordnete, den Film irgendwie fertigzustellen.
Hauptprotagonisten von Isabel Kreitz sind der Schriftsteller Heinz Hoffmann und dessen Partnerin Erika Harms. Auch wenn es zahlreiche Parallelen zwischen dem Schriftsteller Erich Kästner und Heinz Hoffmann gerade auch hinsichtlich der Arbeiten während der NS-Zeit gibt, ist Die letzte Einstellung weder ein Schlüsselroman noch gar eine Kästner-Biografie. Im Gegensatz zu anderen Personen, die Kreitz auftreten lässt, wie zum Beispiel Gustav Knuth, Wolfgang Liebeneiner oder Heinz Rühmann, sind Hoffmann und Harms fiktive Charaktere. Präzise werden die psychischen, sozialen und ökonomischen Mechanismen gezeigt, die einen Humanisten und überzeugten Gegner des Nationalsozialismus dazu bringen, als Drehbuchautor in einem NS-Propagandafilm mitzuwirken – und wie er später mit diesem moralischen Bruch in seiner Biografie umgeht.
Die durchgehend schwarz-weiß gehaltenen Bleistiftzeichnungen ähneln Fotografien. Überwiegend setzt Kreitz auf die mittelgroßen Seiten 5 bis 6 Panels und variiert geschickt zwischen Großaufnahmen und Totalen. Die sparsam eingesetzten Texte der Sprechblasen sind häufig von lakonischer Kürze und zeigen, dass sich die Autorin intensiv mit Kästners Sprache befasst hat. So hat sie auf der Grundlage der bekanntesten Kinderbücher Kästners mehrere Graphic Novels erarbeitet.
Ein aufschlussreiches Nachwort des Filmhistorikers Michael Töteberg sowie knappe Hinweise zu den erwähnten historischen Persönlichkeiten ergänzen diese gelungene Graphic Novel. Aufgrund des Umfangs gewiss keine leichte Lektüre; aber ein Muss für Cineasten sowie Leser*innen mit Spaß an vielschichtigen Erzählungen.
Isabel Kreitz: Die letzte Einstellung, Berlin: Reprodukt 2025, 312 Seiten, ISBN 978-3-95640-452-8, 29 Euro