Anastasia-Bewegung

Zucht und Ordnung

Rechtsoffene Schulgründungsinitiativen orientieren sich an der russischen Schetinin-Pädagogik und deren deutschen Nachahmern. Es wird behauptet, Geschichte sei eine „erfundene Wissenschaft“. In Österreich und der Schweiz gibt es bereits genehmigte Schulen. „Die Lage wird dramatischer“, lautet eine Warnung. Teil 4 der Serie zur Anastasia-Bewegung

Donnerstag, 27. April 2023
Andrea Röpke / Lotta Maier
Teilnehmer*innen bei einem ISKA-Seminar 2022 in Niedersachsen, Foto: isso.media
Teilnehmer*innen bei einem ISKA-Seminar 2022 in Niedersachsen, Foto: isso.media

Die Kinder lärmten nicht, tobten nicht herum. Kein lautes Lachen war zu hören. Sie sprachen wie Erwachsene, gehorchten respektvoll. Die über Jahre hinweg aus Deutschland angereisten BesucherInnen zeigten sich begeistert von den buntbemalten Gebäuden der Schetinin-Privatschule im südrussischen Tekos. Es war ein Internat unweit des Schwarzen Meeres mit vielen selbstgebauten Gebäuden, darunter auch ein „Germanisches Haus“. 2019 erfolgte die Schließung, laut des Informationsdienstes Psiram (früher Eso-Watch) „wegen Nichteinhaltung von Brandschutzauflagen, fehlender Lehrbücher und der erforderlichen Qualifikation der Lehrkräfte“. Die orthodoxe Kirche in Russland bezeichnete Schule und Gründer Michail Petrowitsch Schetinin mehrfach als Sekte. Ehemalige Schülerinnen hatten in russischen Medien über erlittene Körperstrafen, Kampfübungen oder Postzensur gesprochen. Doch der Mythos Schetinin wabert weiter durch die europäische Freilerner-Szene. Der 2019 verstorbene Musiklehrer war lange ein Putin-treuer Nationalist, der viel Wert auf soldatische Erziehung legte.

Diverse Schetinin-Fans aus Deutschland dokumentierten begeistert ihre Reise nach Tekos. Dazu zählt „Roman“. 2012 interviewte er Schetinin, sein Film „Schetinin-Schule – 11 Jahre Schule in einem Jahr“ wurde fast 130.000 Mal aufgerufen. Tekos-Fan Ferdinand berichtet 2018 in einem Vlog von seinem zweiwöchigen Aufenthalt dort. Sommer wie Winter würden Schüler und Studenten nach dem Aufstehen kurz nach 5 Uhr erst einmal in einen eiskalten Bach auf dem Schulgelände springen. Das sei freiwillig, aber man kenne ja Schüler, „die suchen die Herausforderung“. Sport sei in Tekos immer Kampfsport: genannt „Sambo“. Es gebe auch Ausdauertraining. Autor „Markus“ dagegen erzählt 2016 von seinen Erfahrungen auf dem „Garten Weden“-Blog, einem zentralen Medium der „Anastasia“-Fangemeinde in Deutschland. Laut „Markus“ sei die Schetinin-Schule eine „zu 100 % staatlich geförderte Schule, in der eine „zukunftsweisende Elite“ geformt werde, welche „nach eigenen Angaben die Welt verändern“ wird. „Markus“ fallen trainierte Schüler in Wachhäuschen auf und ein „militärischer Duktus“: „In jedem Raum, den wir betraten, wurde reaktionsschnell aufgestanden und gegrüßt, bis sie sich – Einer nach dem Anderen – wieder hinsetzten und konzentriert ihrer Tätigkeit weiter folgten. Es scheint eine gute Disziplin zu herrschen, die für diese Schulform als notwendig erachtet wird.“ So eine Schule hätte „Markus“ auch gerne besucht, lässt er die Leserschaft wissen. „John“ aus Thüringen besuchte 2019 Schetinins Internat,  intern auch „Waldschule“ genannt. Er  nahm demnach am Fach  Germanenkunde teil. Diese Unterrichtsstunden habe laut „John“ der in Deutschland lebende Lernbegleiter „Josef“ gestaltet und  über das Germanische und den  gemeinsamen Ursprung der deutschen und russischen Sprache gesprochen. „John“ erfährt, dass einige der männlichen „Studenten“, wie sie die Schüler dort nennen, Sonntags um 5 Uhr aufstehen um freiwilliges „Taktiktraining“ im Wald durchzuführen.

In einer Publikation wird dasLyzeum in Tekos vorgestellt, mittig zu sehen: Michail Petrowitsch Schetinin, Foto: Screenshot
In einer Publikation wird dasLyzeum in Tekos vorgestellt, mittig zu sehen: Michail Petrowitsch Schetinin, Foto: Screenshot

Die „Waldschule“ in Tekos in Südrussland bleibt auch 2023 geschlossen. Doch der Kult um diese soldatisch geprägte Aussteiger-Schule lebt weiter – breitet sich nach Westeuropa aus. Dabei scheint es auch um eine Verehrung Russlands zu gehen. Dort sei „Homeschooling“ erlaubt, schwärmt „Markus“    , es sei leichter, „auch Lehrer einzusetzen, die keine Zertifizierung für ein bestimmtes Fach haben, sich dennoch für ein Thema berufen fühlen. Die staatliche Absegnung erfolgt dann zentral in Moskau, durch Bestehen der Prüfungen“, schreibt er bei „Garten Weden“. In Deutschland sei dies „momentan nicht möglich“. Eine Abkehr vom demokratischen Bildungssystem hinein ins politisch Ungewisse scheint ganz im Sinne der FördererInnen der pro-russischen Anastasia-Bewegung zu sein. Der Erfinder der wedrussisch-arischen Heilsbringerin und Romanfigur Anastasia, Unternehmer Vladimir Megre, präferierte die Schetinin-Pädagogik. Deren spirituelles Konzept geht davon aus, dass Kinder „bereits das gesamte Wissen in sich“ tragen. Durch eine Verbindung mit dem Kosmos sei es ihnen durch die Geburt zugetragen, es müsse nur abgerufen werden. Entsprechend dieser Logik erübrigt sich in solchen Schulen die Vermittlung unliebsamer Lehrinhalte.

Schetinins Weltbild

Das Schulleben in Tekos wirkt in den zahlreichen Videos und Berichten reaktionär. Volksseele, Ahnen und Heimat sind dort auffällige Begrifflichkeiten. Der sowohl in der Anastasia-Buchreihe als auch dem Schetinin-Unterricht vermittelte Kult um sogenannte Wedrussen und Arier beinhaltet auch den Gebrauch der Swastika. Das Hakenkreuz wird als unbelastetes Symbolik präsentiert und mit einem eurasischen Verständnis von Ariertum verbunden. Die Pädagogik verlangt zudem Härte und Gehorsam – und kommt in esoterisch-spirituell geprägten Kreisen an. „Der Gedanke des Esoterischen hatte immer auch mit Autoritäten zu tun“, erklärt Buchautor und Szenekenner Andreas Speit, „da ist stets ein Meister, ein Eingeweihter, der andere einweiht“.

Ein Video aus dem Jahr 2012 zeigt das Schetinin-„Lyzeum“ in Tekos. Darin hört ein 13-jähriger Junge auf, den Boden mit einem Feudel zu wischen, als der Interviewer erscheint. Er stellt sich aufrecht hin und sagt ins Mikrophon dubiose Sätze wie: „Die Welt ist ein großer Kristall. Physik und Mathematik dienen als Maß, mit welchem wir diesen Kristall betrachten.“ Dann möchte er noch hinzufügen: „Ich habe die Gabe, dass ich die Energiezentren der Menschen öffnen kann. Auch kann ich mit Bäumen und Pflanzen reden.“ Die Befragten werden als schulische Überflieger präsentiert, vorbildliche, brave Jugendliche, sehr strebsam. Sie wollen vor allem über Naturwissenschaften, Physik und Mathematik sprechen. Als gebe es kaum andere Unterrichtsfächer. Ein Mädchen behauptet, mit elf Jahren an einer Universität aufgenommen worden zu sein. Sie alle betonen, alles in ihrem Leben dieser Schule zu verdanken.

Deutsche Schetinin-Botschafterinnen

Hildrun H. wuchs im Herzen Mecklenburgs in den Reihen der völkisch-nationalistischen „Artamanen“ auf. Die Mitglieder dieser rechtsbündischen „Sippen“ leben in Siedlungen wie Klaber und Koppelow nahe Güstrow oder bei Teterow. Sie fahren Pferdekutschen, betreiben Öko-Landwirtschaft und alte Handwerke. Einige schlossen sich während der Pandemie den Querdenken-Protesten an. Hildrun H. besuchte den bündischen „Mädchenwandervogel Solveigh“ zu deren Führung auch die Tochter des AfD-Bundestagsabgeordneten Peter Felser gehörte. Als junges Mädchen zog sie zu völkischen Freunden ins Allgäu, brach dort die Schule ab und ging nach Russland. Die musikalische junge Frau wurde in Tekos aufgenommen. Inzwischen ist H. bei Online-Kongressen und Schulverweigerer-Veranstaltungen als Botschafterin der „Bildung einer neuen Zeit“ unterwegs.

Auf YouTube spricht Iris Autenrieth in einer mehrteiligen Serie über "Eine Schule des Lebens", Foto: Screenshot
Auf YouTube spricht Iris Autenrieth in einer mehrteiligen Serie über "Eine Schule des Lebens", Foto: Screenshot

Auch Iris Autenrieth ist eine Schetinin-Jüngerin. Ihren Namen gibt sie offen preis. Seit Jahren tritt die Deutsche ebenfalls als Schetinin-Botschafterin bei Online-Kongressen und Seminaren auf. In der europaweiten Anastasia-Fangemeinde ist sie bekannt, weil die zierliche junge Frau mit den weißblonden Haaren eine Zeit lang als Schülerpraktikantin das „Lyzeum“ besuchen durfte. Das gilt als Auszeichnung. Sie lächelt viel in den Videos. Es klingt stimmig, wenn sie begeistert von den zahlreichen Aktivitäten eines sehr langen Schultages, der bis in die Abendstunden reicht, berichtet. Einmal aber räumt sie in einem Gespräch ein, Russisch eigentlich nicht so gut zu verstehen. Kritische Nachfragen werden nicht gestellt. Niemanden scheinen Widersprüche zu stören.

Schetinin-nahe Schulprojekte in der Schweiz

Nach der Rückkehr studierte Iris Autenrieth eigenen Angaben zufolge an der Pädagogischen Hochschule in Heidelberg auf Lehramt. Inzwischen ist die Schetinin-Aktivistin mit ihrer Mutter in die Schweiz gezogen und betreibt einen „Lernort für Homeschooling“ in Thalwil. Nebenher arbeitet sie an der Schule „Lernraum zum Eintauchen“ in Uznach. Eine Privatschule, die sich zur russisch-vaterländischen Schetinin-Pädagogik bekennt. Das stößt auf öffentliche Kritik: „Militärischer Drill, Volkstanz und Schwertkampf: Der Bildungsrat des Kantons St. Gallen hat eine Sektenschule in Uznach bewilligt, hinter der eine Bewegung mit verschwörungstheoretischen, nationalistischen und rechtsesoterischen Züge stehen soll“, schrieb das „Tagblatt“ 2022, berief sich dabei auf Recherchen des antifaschistischen Kollektivs „Betonmalerinnen“ sowie auf die „Wochenzeitung“ (WOZ). „Auch wirbt die Schule mit kruden Lernversprechen“. So stehe laut WOZ auf einem Flyer der Schule: „Offenes und freies Lernen entsteht durch den Kontakt des bioenergetischen Feldes. Wenn hier das Treffen gelingt, kann in zehn Tagen der Mathematikstoff der ganzen Mittelschule erfasst werden. Also zehn Jahre Mathematik in elf Tagen.“

Rasantes Lernen, mit diesem Versprechen wird geködert. Die Schweizer Behörden geben sich im Fall der Privatschule Uznach ahnungslos. Aus dem Konzept der Initiatorinnen habe sich keine Verbindung zur Anastasia-Bewegung ableiten lassen, wird der Leiter Abteilung Aufsicht und Schulqualität zitiert. Maßgeblich sei das pädagogische Konzept und nicht die Ideologie im Hintergrund. Eine Fehleinschätzung.

Denn es gibt weitere Schulgründungen. Die private „Schule Zürichsee“ in Hombrechtikon bot im Juni 2022 einen „Bildungsforschungstag nach M.P. Schetinin“ an. Ausgerichtet von der „ISKA Akademie“ aus dem oberbayrischen Weilheim. Ein umtriebiger Verein, der zur Anastasia-Bewegung zählt.

Werbung für den "Campus Vivere", Foto: Antifa Zürich Oberland
Werbung für den "Campus Vivere", Foto: Antifa Zürich Oberland

Die deutsche Schulverweigerin Rowena Jentges aus dem Allgäu betreibt einen Telegram-Kanal. Dort wurde 2022 die Gründung einer weiteren Schweizer Privatschule beworben: „Campus Vivere“ im Tösstal im Kanton Zürich. Unterricht in Primar- und Sekundarstufe würde angeboten, der Wechsel von der Regelschule sei einfach, hieß es. Der Campus selbst wirbt: „Wir sind seit Februar 2022 erster internationaler freier Lernort nach humanitärem Völkerrecht“. In einer Stellenausschreibung wird ein „Lernbegleiter mit Zusatzausbildungen im Bereich Erfahrungslernen, Montessori, Steiner, Schetinin etc.“ gesucht. Im Mai 2022 kündigte „Campus Vivere“ eine Veranstaltung mit der Reichsbürger-nahen Organisation „Urig Frauenfeld“ und Christian Frei, „Schulleiter, Lehrer, Aufklärer und Rebell“ an. Folgende Themen sollten angesprochen werden: „Das System degradiert uns zur Person ohne Recht und Würde“ oder „Wie verhalte ich mich im bestehenden Matrix-Rechtsstaat?“ Zum zeichnungsberechtigen Vorstand der „Campus Vivere“-Schule gehört eine Rednerin aus dem Spektrum der Querdenken-Proteste in der Schweiz.

Schetinin-Fans in Deutschland

Auch in Deutschland berufen sich diverse Schulprojekte mehr oder weniger direkt auf die Schetinin-Pädagogik. Zum Teil sind es auch einzelne InitiatorInnen, die diese Bezüge herstellen und die Vermutung einer politischen Nähe zulassen. Im Telegram-Kanal „Kreis MenschSEIN“ mit knapp 6.000 Abonnenten postet eine „Kate Harmonia“ die Stellensuche einer Schule in Südhessen nach einem „Lernbegleiter“ mit Schwerpunkt Naturwissenschaften, „da wir sonst keine Genehmigung für eine Sekundarstufe bekommen“. Sie erklärt, zwei „Lernbegleiter“ seien ihnen „weggebrochen“ und gibt an: „Die Schule hat schon einige Parallelen zur Schetinin-Schule und es wäre sehr schade, wenn unsere Schüler nach einigen Jahren freien Lernens ins alte System geschleudert werden, da bei uns in Deutschland ja noch eine Schulpflicht besteht.“

Eine „Caroline“ schreibt im Kanal „ISKA-Markt“ mit 128 Mitgliedern, sie sei dabei, „eine Schule zwischen Weser und Elbe“ zu gründen. „Gerne möchte ich so viel wie möglich des Wissens aus der Tekos Schule in unseren Schulalltag mit einfließen lassen. Kennt jemand einen Botschafter, der oder die aus Norddeutschland kommt und mit dem man sich mal zusammensetzen kann?“ Insider wissen, dass dieses Schulgründungsprojekt für den Raum Gnarrenburg geplant sein soll. Es lassen sich weitere Beispiele aufzeigen. Wie angewandte Schetinin-Pädagogik in der deutschsprachigen Praxis aussehen kann, zeigt ein österreichisches Beispiel.

LAIS und Weinbergschule – gefährliche Vorbilder

Ob in der Bundesrepublik, der Schweiz oder Österreich – staatliche Aufsichtsstellen könnten hellsichtiger sein. Denn bereits 2019 wurde in Österreich eine Schetinin-nahe Privatschule durch die Bildungsdirektion in Salzburg geschlossen. Laut „Wiener-Zeitung“ kamen die 18 betroffenen SchülerInnen der umstrittenen „Weinbergschule“ in Seekirchen am Wallersee daraufhin in Pflichtschulen unter. Die von der sektenähnlichen Gemeinschaft der „Werktätigen Christen“ geführte Internatsschule hatte im Herbst 2017 für negative Schlagzeilen gesorgt, weil Aussteiger in einem ORF-Bericht von sozialer Isolation und Gewalt berichtet hatten. Am Standort der Weinbergschule, dem Zachhiesenhof, waren ökologische Landwirtschaft und Kindererziehung kombiniert worden. Pädagogisch angewandt wurden die Praktiken des sogenannten Laising. Lais war eine esoterische Bewegung, die „natürliches Lernen“ propagierte. „Das pädagogische Konzept nimmt Anleihe bei der russischen Schetinin-Schule, einem völkisch-nationalistischen Internat, das ebenfalls wundersame Lernerfolge verspricht; militärischer Drill inklusive“, warnte das Magazin „profil“ 2018, als immer mehr Eltern ihre Kinder von herkömmlichen Schulen abmeldeten. Die Wiener Zeitung „Der Standard“ berichtete im selben Jahr von deren Kontakten ins Reichsbürger-Milieu. Österreichweit soll es zu dem Zeitpunkt 25 ähnliche Schulen gegeben haben. Immer mehr österreichische Eltern meldeten – bereits vor der Corona-Pandemie – ihre Kinder von der Schule ab. Die einschlägige Freilerner-Szene versprach „natürliches Lernen“ und fantastische Bildungserfolge.

Mit hochtrabenden Verheißungen rasanter Schulerfolge wurde auch bei Lais nicht gegeizt. Bildungswissenschaftlich seien Versprechungen und Inhalte, die beworben wurden, unhaltbar gewesen, lautete die nüchterne fachliche Einschätzung. Im Interview mit der „Wiener Zeitung“ kritisierte der Professor für Bildungswissenschaft an der Universität Wien, Stefan Hopmann, dass Lais überhaupt kein pädagogisches Konzept habe: „Bei Lais gibt es ein Kernproblem: Die Verantwortlichen beanspruchen eine Theorie zu haben, eine solche ist aber nirgendwo auffindbar. Stattdessen finden sich online zahlreiche Vorträge, Statements von Anhängern und Ähnliches. (...) Aber eine zusammenhängende Darstellung, die auch nur in entfernter Weise als pädagogische Theorie oder Begründung für das Lais-Unterrichtskonzept dienen könnte, fehlt zumindest meinem Wissen nach völlig. Stattdessen bezieht man sich immer wieder auf die Schetinin-Schule“.

Zur Weinberg-Schülerschaft gehörte auch ein Schüler aus Bayern. Dessen ältere Schwester Dietlind B. studierte Volksschulpädagogik. Laut des Facebook-Auftrittes des Salzburger Lais-Gründers Eduard Kaan gehörte sie zeitweilig zu dessen pädagogischen „Kernteam“. Auf einem Video vom Mai 2015 bei einem „Info- und Vernetzungsabend“ ist Dietlind B. mit Kaan zu sehen. Im selben Jahr führte die junge Pädagogin ein Sommerlager des extrem rechten „Sturmvogel – Deutscher Jugendbund“ auf dem Geländes des Anastasia-Familienlandsitzes „Goldenes Grabow“ in Brandenburg mit durch. Inzwischen gehören Bruder und Schwester zu den sogenannten völkischen Siedlern in der Lüneburger Heide, vor denen das niedersächsische Innenministerium warnt.

KiEP statt LAIS

2015 unterrichtete auch Richard Kandlin aus Pforzheim an der österreichischen „Weinbergschule“ nach der Lais-Methode. Zuvor hatte er einige Jahre die Tekos-Schule in Russland besucht. Als 17-Jähriger trat Kandlin bereits 2014 als ein Schetinin-Botschafter in Germering auf. Videomitschnitte geben Einblick in seine Vorträge, die er bis heute hält
Er ist Gründer von „KiEP - Kinder entwickelter Pädagogik“ Der junge Mann steht am Flipchart und redet in strikten, steifen Sätzen. Lockerheit scheint nicht seine Stärke. Er schildert den Umgang mit den Geschlechtern, sagt Sätze wie: „Erst, wenn man verstanden hat, was die Aufgabe, der Charakter eines Mannes ist und die Aufgabe und Charakter eines Mädchens ist, dann darf man sie auch mischen. Das ist auch produktiver, weil sie dann wissen, wozu sie in Kontakt treten, wozu sie so ein Beziehungsspiel spielen.“ Richard Kandlin behauptet im Vortrag zunächst, Mathematik, Chemie und Physik gehören in die Kategorie Wahrheit. Dann zieht er resolut einen Strich darunter und schreibt Geschichte, Wirtschaft und weiteres darunter, sagt, das hier seien „erfundene“ Wissenschaften, „die auf dem Planeten Erde herrschen“.

"Die Schule M.P. Schetinins und sein pädagogisches System wurden vom russischen Präsidenten V.V. Putin persönlich unterstützt", heißt es in der Publikation, Foto: Screenshot
"Die Schule M.P. Schetinins und sein pädagogisches System wurden vom russischen Präsidenten V.V. Putin persönlich unterstützt", heißt es in der Publikation, Foto: Screenshot

Tatsächlich soll es sich laut Schetinin-Pädagogik bei den „wahren“ Fächern um solche handeln, „die von der Natur vorgegeben sind“. Die „erfundenen“ Unterrichtsfächer hingegen sind „vom Menschen erdachte, die von den zeitgeistlichen Ideen oder Interpretationen abhängig sind“. Auf der Internetseite spielundlern.de heißt es dazu weiterhin:„Die Lehrbücher werden fächerübergreifend von den Kindern selbst geschrieben.“
„Ein Schüler und Lehrer der Schetinin-Schule“ sei besonders an der Verbreitung der Idee und des Konzepts der Schule beteiligt gewesen: Richard Kandlin.

Kandlin antwortet in seinem Lehr-Film auf Nachfrage aus dem Seminarraum, „erfunden“ heiße nicht, dass es gut oder schlecht sei, es sei eben „erfunden“. Geschichtswissenschaftliche Erkenntnisse lassen sicherlich mehr Spielraum für Interpretationen als z.B. Naturwissenschaften zu – doch Kandlins Aussage vermittelt den Eindruck, Historie sei nicht Wahrheit, sondern erfunden. Eine insbesondere im Hinblick auf den Holocaust und die deutsche Geschichte gefährliche Einschätzung.

Der Einfluss der Reichsideologen

Einem hat es gefallen: „Spannender Vortrag von Richard Kandlin – Experte für das revolutionäre Schetinin Schulkonzept!“ Anfang 2015 freute sich bei Facebook eine Person mit dem Namen: „Peter, Menschensohn“. Dahinter verbarg sich Peter Fitzek, Anführer der rechten Reichsbürger-Vereinigung „Königreich Deutschland“. In einer Mail schrieb Fitzek 2021 an eine Verehrerin: „Liebe Sigrun, wir empfinden das Schetinin-Konzept als tauglich, hatten aber mit einer ISKA- Akademie noch nie etwas zu tun. Wir hatten dieses Konzept von Richard Kandlin in Theorie und Praxis hier in Wittenberg erfahren. Mit einen „Joseph“ hatten wir bisher keinen Kontakt. Liebe Grüße, Peter“.

Inzwischen dürfte Fitzek beides kennen: „Joseph“ und ISKA. Der nach österreichischem Recht angemeldete Verein „ISKA – Bildung der neuen Zeit“ mit Sitz im oberbayrischen Weilhelm wird von Josef Bart aus Schleswig-Holstein geleitet, einem ehemaliger Lernbegleiter in Tekos. ISKA steht für die unauffällige Bezeichnung: „Internationale Schul-, Sport-, und Kulturakademie“. Auf der Webseite steht: „M.P. Schetinin und die damaligen Lehrer und Schüler stimmten zu, dass Josef Gruppen bringen darf, um in das besondere Schulsystem eintauchen zu können. Es wurde anfangs als VSE gegründet (Vorschulische und Schulische Entwicklung), was 2018 in ISKA umgetauft wurde“.

Der Verein will die Schulmethode Schetinins verbreiten, denn „diese Methode ist überall und für jeden anwendbar“. In einem Weihnachtsgruß an die „Freunde“ lässt Bart das „ISKA-Jahr“ Revue passieren, es heißt: „Immer mehr Menschen haben sich – wie auch wir – für die von M.P. Schetitin methodologische Pädagogik begeistern lassen“. Der aus Kasachstan stammende Arzt vertritt laut Internetauftritt als Verbandspräsident die russische Kampfsportart „Sambo“ in der Bundesrepublik. In der Vergangenheit fiel sein Name eher im Spektrum der Reichsbürgerszene auf. So trat Bart 2013 für die „Freie Wähler Initiative NeuBeginn Deutschland“ bei einem Event dieses Milieus als Redner auf.

Die Lage wird dramatischer

Es gibt unzählige weitere Lehr-Angebote, die in diesem politischen Milieu mit dem Motto „Bildungsfreiheit ohne Fremdbestimmung“ werben. Nicht alle beziehen sich auf Schetinin, ISKA oder „KiEP“, aber zumeist gibt es thematische oder personelle Schnittmengen. Die Szene hat Kontakt zu Profis, die rechtsoffenen SchulgründerInnen dabei helfen, unauffällige Vereinssatzungen- und Ziele zu formulieren. Nicht selten wird eine Zusammenarbeit mit dem Bundesverband der Freien Alternativschulen e. V. (BFAS) vorgeschoben, um nicht aufzufallen. Britta Rohlfing vom Vorstand der BFAS kennt solche Versuche der Vereinnahmung, sie sagt „Die Lage wird dramatischer“. Ein bereits 2020 angebotener Fachtag zu rechten Umtrieben stieß auf breites Interesse. Aus aktuellem Anlass, so Rohlfing, sei daher 2021 eine überarbeitete Resolution verabschiedet worden. Neue Schulen und Personen, die mit dem BFAS kooperieren, müssen sich u.a. von rechten und demokratiefeindlichen Tendenzen und Verschwörungsmythen abgrenzen. Es heißt zudem: „Wir folgen dem aktuellen Stand der Wissenschaft“. Ein Schritt in die richtige Richtung – nur ausreichend ist er nicht.

Teil 1 der Serie zur Anastasia-Bewegung: Arier- und Ahnenkult

Teil 2 der Serie zur Anastasia-Bewegung: Russische Einflussnahme

Teil 3 der Serie zur Anastasia-Bewegung: Kampf gegen Bildung

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