„Wutbürger“ zu politischen Aktivisten

Nicht mehr nur Hass ist die Botschaft. Pegida-Organisator fordert  von den Anhängern größere Risikobereitschaft. Oberste Aufgabe sei der Dienst für die Gemeinschaft.

Donnerstag, 28. April 2016
Andrea Röpke

„Neben den intellektuellen Leitfiguren brauchen wir in der Masse vor allem den Typus des politischen Kriegers“ forderte Pegida-Mitorganisator Siegfried Däbritz aus Meißen. Der Winzer, Pensionsbetreiber und Security-Mann, rechte Hand von Lutz Bachmann, zitierte zum Ende des „Montagsspaziergangs“ vor dem Dresdener Hauptbahnhof den österreichischen Pegida-Ideologen Georg Immanuel Nagel, der eine moderne Gesellschaft von Egoisten anprangert und  den „Dienst an der Gemeinschaft“ als oberste Aufgabe fordert. Das klingt nach rechtsextremen Idealen.  Däbritz  erwähnt am Montag nicht, dass der 28-jährige Nagel seine völkisch-anmutenden Ideale in dem Artikel „Erziehung zum politischen Krieger“ bei der neu-rechten „Blauen Narzisse“ veröffentlicht. Die bezeichnen den Wiener als „unseren Mann aus der Abteilung „Attacke“.

Siegfried Däbritz könnte als letzter Redner des Abends in Dresden versucht haben, den wöchentlichen Spaziergängen eine „neue Perspektive“ zu geben, analysiert Prof. Fabian Virchow von der Universität Düsseldorf. Auffällig ist, dass sich eine feste Anhängerschar zwischen 3000 und 4000 Teilnehmern zu stabilisieren scheint, die Menge aber „bei der Stange“ gehalten werden muss. Die Pegida-Macher dürften die strategische Intention verfolgen, empörten „Wutbürger“ in politische Vollzeitaktivisten umzuwandeln, so der Rechtsextremismusforscher.  

„Anklang an die Formel des ‚politischen Soldaten‘ der NS-Zeit“

Siegfried Däbritz, der Kerl von nebenan, Freund von Hooligans, Rockern,  Sportlern und aufgebrachten Bürgern, fragt „was ist unsere Aufgabe auf der Straße?“ Er sinniert in seiner Rede  über die „Aktivierung der normalen Menschen als politische Wesen“. Däbritz und ebenso Nagel scheinen das Feindbild eines „modernen Individualismus“ aufzugreifen und allmählich durch völkisch-anmutende Ideale ersetzen zu wollen. Sie injizieren Sätze alter Philosophen wie „Das Leben ist ein Kriegsdienst“.

Der Düsseldorfer Wissenschaftler Virchow erkennt darin einen „Anklang an die Formel des „politischen Soldaten“ der NS-Zeit. Auch Erinnerungen an die Forderung von Neonazis nach einer „Kampfgemeinschaft“ wurden wach.

Ansonsten bleibt bei  Pegida am 26. April  alles beim Alten: Politiker als Hassobjekte („Grüß-August“ Gauck, „Pöbel-Ralle Stegner“, „Volksverräterin“ Merkel) . Der „Druck im Kessel der Deutschen“ sei allerdings noch nicht stark genug, der Protest müsse stärker werden, lautet eine der Botschaften. Hauptredner Lutz Bachmann lobte ebenso wie die beiden Gastredner Michael Stürzenberger und „Ed der Holländer“, Edwin Wagensveld, den überragenden Erfolg des FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer im ersten Durchgang der Präsidentschaftswahl.

„Der Wind dreht sich in Europa“

„Österreich zeigt, wie es geht !“ ruft Lutz Bachmann, „Norbert wir glauben fest an Dich!“  Bachmann bezeichnet den gegen ihn laufenden Prozess wegen des Vorwurfes der Volksverhetzung als „Quatsch“ und unterstellt dem zuständigen Staatsanwalt, der wolle auch „ohne Beweise“ die Vorwürfe belegen. Bachmann stilisiert sich zum Opfer. Laute Buh-Laute aus dem Publikum bestätigen seine Inszenierung.

Ärgerlich reagiert der Kesselsdorfer Werbefachmann mit kleinkrimineller Vergangenheit auf die Sperrung bei Facebook. Er habe seine 28 000 Follower nicht erreichen können und auch die anderen Pegida-Administratoren seien betroffen. Gastredner Stürzenberger brüllt danach ins Mikrophon: „Der Wind dreht sich in Europa, der Wind wird von Österreich nach Deutschland herüberwehen“. Er lobt den Björn Höcke, der gesagt habe, Pegida sei eine Vorfeldorganisation der AfD, das sei „ein Riesenkompliment“ und erwähnt Thilo Sarrazin, der 2010 die ersten Zeichen gesetzt hätte, „Danke, Thilo!“. 

Edwin Wagensveld bezeichnet Angela Merkel als „Volksverräterin“, die vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gehöre. Er erntet Riesengejohle und „Merkel muss weg“-Rufe der Menge. Die sei die „gefährlichste Frau“ und  „noch nie ist Krieg so nahe gewesen“.  Merkel wird von ihm als mutmaßliche  Lesbe, die eine Scheinehe führe, bezeichnet. Der Niederländer fordert: „Lutz, Tatjana und Sigi sollen uns zeigen, wohin der Weg geht!“

„Deutschenhasser, Asyl-Mafia, Politiker-Pack in den Gulag“

Wenn ausgerechnet der Bachmann-Hintermann Däbritz eine pragmatische Vorgabe macht, scheint es kein Zufall. Der Meißener Däbritz kann auf kommunale Politikerfahrung zurückgreifen. Wie der Vater, ein angesehener Stadtrat der FDP, versuchte sich auch der Spross bei den Liberalen. Nach Recherchen der „Sächsischen Zeitung“ kam Pegida 2014 so richtig ins Rollen nach einem Vortrag des Populisten Akif Pirincci bei der FDP-nahen Wilhelm-Külz-Stiftung in Dresden. Unter den Gästen applaudierten neben Däbritz  im „Gutmensch“-Shirt auch FDP-Politiker. Das Hotel, in dem die Veranstaltung mit dem äußerst umstrittenen Referenten stattfand, gehört dem ehemaligen FDP-Stadtchef und Vorsitzenden des Tourismusverbandes in Dresden.

Bei Pegida erklingt immer wieder „Widerstand“-Gebrüll. Die Masse an Menschen füllt den gesamten Wiener Platz. Teure Technik vermittelt die Botschaften mit bestem Klang bis in die hintersten Reihen. Nur wenig Polizei ist anwesend. Einige Freie Kameradschaftsaktivisten aus Dresden halten sich am Rand der Veranstaltung auf.  Doch die ist auch ohne Neonazis radikal genug:  „Deutschenhasser, Asyl-Mafia, Politiker-Pack in den Gulag“ oder „Wir fordern sofortigen Aufnahmestopp für Asylbewerber – Sofortige Schließung der Grenzen – Bürgerprotest Ostthüringen“.  Die meisten teilnehmenden Gruppen scheinen sich untereinander zu kennen, regelmäßige Fahrgemeinchaften haben sich gemeldet. Flyer einer Stiftung von Sven von Storch werden verteilt.  Teilnehmer kommen aus Bernsdorf bei Bautzen, Roßwein, Meißen, Belgern, Dürrröhrsdorf-Dittersbach, vom „Bürgerprotest Südbrandenburg“ oder aus Chemnitz.

Ein alter Herr trägt Putin auf dem Shirt, ein anderer reckt das Konterfei von Frauke Petry auf dem Titel des „Compact“-Magazins auf einem Plakat vor sich her. Unter den zahlreichen Ordnern von Pegida sind Türsteher und ein  Immobilienhändler. Als sich der Demonstrationszug endlich in Bewegung setzt und an diesem Abend sogar durch die begehrte, weil belebte Prager Straße ziehen darf, bleiben viele Touristen überrascht stehen. Auch Migrantengruppen gucken. Eine Reihe von Pegida-Frauen, die in einer Reihe laufen und Körperattrappen aus Pappe mit der Botschaft „Nicht anfassen“ tragen, hebt einheitlich die Arme und zeigt den verdutzten Männern eine rote Karte. Am Rande des Aufzugs zünden Neonazis der Dresdener Kameradschaft einen Bengalo und werben in Sichtnähe mit einem roten Transparent für ihren Aufmarsch.: Am 1. Mai , „alle auf nach Plauen“.

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