Wutbürger contra Wutbürger
Die „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ würden die Republik erzittern lassen, hofften Rechtspopulisten, Rechtsextremisten und andere rechte „Wutbürger“ vor knapp zwei Jahren. Inzwischen ist die Landschaft der diversen GIDA-Gruppen und -Grüppchen völlig zersplittert. Am 3. Oktober könnte es zum Showdown kommen.
Und das nicht zufällig in Dresden, der Geburtsstadt von Pegida. Am Tag, wenn in der sächsischen Landeshauptstadt offiziell der „Tag der deutschen Einheit“ gefeiert wird, will Tatjana Festerlings Organisation „Festung Europa“ in der Elbstadt auflaufen. (bnr.de berichtete) Bis Anfang des Jahres waren Pegida-Aktionen kaum denkbar ohne die frühere AfD-Politikerin. Doch Pegida-Boss Lutz Bachmann setzte sie vor die Tür, und Festerling ging fortan eigene Wege mit ihrer „Festung Europa“. Die Kundgebung am ersten Montag im Oktober, die unter dem Motto „Komm Merkel – Hier erlebst Du Dein Blaues Wunder!“ steht und seit Wochen großspurig als „Tag der Einheit der Bürgerbewegungen“ beworben wird, gehört dazu.
Doch diese Art der „Einheit“ mag Bachmann nicht – womöglich, weil damit auch die Machtfrage im Reich der Abendlandretter gestellt würde. Also ruft nun auch Pegida zu einer Demonstration auf. Nicht am frühen Abend wie sonst üblich, sondern wie Festerling bereits am Nachmittag. Aber nicht wie deren Truppe weit draußen, sondern in der Innenstadt. Per Video lässt Bachmann wissen: „Dresden ist Pegida. Pegida ist Dresden. Und jeder, der hier neu in die Stadt kommt und irgendwie versucht, eine parallele Bürgerbewegung aufzubauen, der ist derjenige, der hier nichts zu suchen hat.“
„Das ist unglaublich! Jeder der dort teilnimmt, boykottiert die Einheit der Bürgerbewegungen“, wettert Festerlings Organisation gegen Bachmann und Siegfried Däbritz, den zweiten Mann bei Pegida. Man selbst rufe seit Juli zu der Aktion auf – zwei Monate später dann hätten Bachmann/Däbritz die „Gegenveranstaltung“ angekündigt: „Hier spaltet ganz bewusst und sehr deutlich das Pegida Orgateam!“
„Kategorie C“ oder Götz Kubitschek?
Mittlerweile ist der Streit, wer der wütendste der Wutbürger sein könnte, komplett eskaliert. Bachmann sieht gar finstere Mächte am Werk: „Wem nützt eine zweite Bürgerbewegung in Dresden und wer zahlt dafür?“ Der „bürgerliche Protest“ – er meint seinen eigenen Verein – werde geschwächt durch Leute, die „Standkundgebungen mit Gewaltbands“ durchführen wollen. Gemeint ist die rechte Hool-Band „Kategorie C“, deren Sänger Hannes Ostendorf bei Festerling auf der Bühne stehen soll. Als Ausweis demokratischer Lauterkeit darf man Bachmanns Kritik freilich nicht missverstehen: Bei seiner eigenen Veranstaltung soll Götz Kubitschek seinen Auftritt haben, einer der bundesweit bekanntesten Vertreter der Neuen Rechten. Trotz solcher Personalien beharrt Bachmann darauf: Pegida werde sich am 3. Oktober „als das darstellen, was wir sind, die bürgerliche Mitte“.
Längst hat der Streit die politische Ebene verlassen und wird unterhalb und oberhalb der Gürtellinie fortgesetzt. Was Bachmann auf einem Anrufbeantworter hinterlassen hat, wird plötzlich via Facebook öffentlich im O-Ton verbreitet. Umgekehrt wird über Festerlings Krankenakte geraunt. Wut, Hass und Verachtung, die sich ansonsten via sogenannter „sozialer Medien“ und auf den Marktplätzen gegen Merkel, Gabriel, Roth, Maas und die „Lügenpresse“ richten, wenden sich nun gegen die Feinde im eigenen Lager.
Schimpftiraden unterhalb der Gürtellinie
Wie beiläufig drückte Festerling ihre Sorge darüber aus, was mit Pegida geschieht, „wenn LB (Lutz Bachmann, d. Red.) seinen Lebensmittelpunkt nach Teneriffa verlegt und nur noch alle zwei Wochen für seine Widerstands-Show einfliegt“. Spätestens damit und mit ihrer Kritik an „LBs Verpiss-Plänen“ war die Bombe gezündet. Dass Medien immer wieder an die kleinkriminelle Vergangenheit des Pegida-Bosses erinnerten, samt seiner Verurteilungen unter anderem wegen Einbruch, Diebstahl, Drogenhandel und Volksverhetzung, hatte ihm in den Augen seines Anhangs kaum etwas angehabt. Aber dass die Zeitungen nun „Lutz Bachmann macht den Abflug“, „Pegida-Gründer wird Vaterland untreu“ und „Goodbye Deutschland“ titeln konnten, überschritt die Vorstellungskraft mancher seiner Anhänger. Festerling: „Wie soll man das den Patrioten denn auch ‚verkaufen’, das sich der Oberpatriot verdünnisiert?“
Bachmann keilte zurück und warf Festerling vor, „sicherheitsrelevante Interna“ ausgeplaudert zu haben. Die Frage, ob er sich dauerhaft auf den Kanaren niederlassen will, blieb offen. Auf einer seiner Facebook-Seiten veröffentlichte er ein Video mit einer mehrminütigen Wutrede gegen Festerling, die er mit dem bemerkenswerten Satz einleitete: „Bei mir, gelinde gesagt, platzt gerade der Arsch.“ Seine Schimpftirade gipfelte in der Beschreibung der ehemaligen Mitstreiterin als „alte verbitterte Frau, die nirgendwo mehr einen Job bekommt, die keine Anstellung mehr findet, die eigentlich verbrannt ist und die nun noch ihre Chance irgendwo in der Politik sucht und versucht, alles um sie herum wegzubeißen“.
„Muss Pegida sterben?“
Das Lager der rechten Wut- und Hassbürger scheint gespalten wie noch nie. Zu denen, die sich auf Festerlings Seite stellen, gehört erwartungsgemäß Ester Seitz, die seit Monaten an einer weiteren Radikalisierung auf der Straße arbeitet. „Wie viel könnte man mit einer klugen Strategie mit mehreren tausend Demonstranten erreichen? Das Potenzial wäre da. Doch ganz offensichtlich will Pegida Dresden das gar nicht. Das Potenzial wird verschenkt. Deswegen interessieren die montäglichen Dresdner Runden auch kaum jemanden mehr“, meint sie. Aus der „deutschlandweiten, zentral verwalteten Bewegung mit unzähligen Ablegern“ sei „dank unfähiger Führung eine regionale Dresdner Bewegung“ geworden. „Ideenloses Im-Kreis-Laufen bei gleichzeitigen Intrigen gegen alles, was nicht Pegida ist“, beklagt sie.
Auch Seitz kommt nicht ohne Spekulationen zu Auswanderungsgelüsten des „meist Mittellosen“ aus: „Da stellt sich die Frage: Wer bezahlt das eigentlich? Wie lapidar bei Pegida mit Buchführung und Spendengeldern umgegangen wird, ist ja hinlänglich bekannt.“ Seitz’ Fazit: „Muss Pegida sterben, damit der Widerstand leben kann? Meine Antwort lautet: Ja!“