Rassistischer Brandanschlag vor 32 Jahren

Weitere Anklage wegen Mordes an Samuel Yeboah

Einen Monat nach dem Urteil gegen den Mörder des ghanaischen Geflüchteten Samuel Yeboah hat die Bundesanwaltschaft einen weiteren Neonazi angeklagt – wegen Beihilfe. Der langjährige Kameradschaftsführer Peter St. soll seinen verurteilten Freund und Gefolgsmann Peter Werner S. zu dem rassistischen Brandanschlag vom 19. September 1991 in Saarlouis motiviert haben.

Montag, 13. November 2023
Joachim F. Tornau
Mit einer Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude demonstrierten verschiedene Aktivisten während des Prozesses gegen Peter S, Foto: Kai Schwerdt, CC BY NC 2.0
Mit einer Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude demonstrierten verschiedene Aktivisten während des Prozesses gegen Peter S, Foto: Kai Schwerdt, CC BY NC 2.0

Er schwieg, wohlweislich. Als Peter St., der langjährig unangefochtene Anführer der Neonazi-Kameradschaft von Saarlouis, vor einem halben Jahr im Koblenzer Oberlandesgericht auftreten musste, berief er sich auf sein Auskunftsverweigerungsrecht: Nach deutschem Recht muss sich niemand vor Gericht selbst belasten. Damals war der 54-Jährige als Zeuge geladen, auf der Anklagebank saß sein Freund und treuer Gefolgsmann Peter Werner S., es ging um den rassistischen Mord an Samuel Yeboah vor mehr als drei Jahrzehnten. Der 27-Jährige aus Ghana starb am 19. September 1991 beim Brandanschlag auf eine Geflüchtetenunterkunft im Saarlouiser Stadtteil Fraulautern.

Jetzt erwartet Peter St. die Rückkehr nach Koblenz, in anderer Rolle: Die Bundesanwaltschaft hat ihn wegen Beihilfe zum Mord an Samuel Yeboah angeklagt sowie zum versuchten Mord an den 20 weiteren Menschen, die sich an jenem frühen Septembermorgen vor 32 Jahren in dem ehemaligen Gasthaus „Weißes Rössl“ aufhielten. Zwei von ihnen hatten sich nur durch todesmutige Sprünge aus den oberen Stockwerken vor den Flammen retten können.

„Hier müsste auch mal sowas brennen oder passieren“

Die Anklage ist die logische Konsequenz aus dem Urteil, das der Staatsschutzsenat vor einem Monat im Prozess gegen Peter Werner S. verkündet hatte. Gestützt vor allem auf die Aussage einer Frau, der gegenüber sich der heute 52-Jährige mit der Tat gebrüstet hatte, aber auch auf die Befragung zahlreicher Zeug*innen aus der damaligen rechten Szene, die die Täterschaft des Angeklagten als eine Art offenes Geheimnis darstellten, hielt das Gericht die Schuld von Peter Werner S. für erwiesen. Nur weil der einstige Neonazi-Skinhead bei der Tat noch Heranwachsender gewesen war, kam er mit einer Jugendstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten davon. Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig – sowohl die Bundesanwaltschaft als auch Verteidigung und Nebenklage haben Revision beantragt.

Nach Überzeugung des Gerichts war dem mörderischen Brandanschlag ein Kneipenabend vorangegangen, bei dem sich Peter Werner S. mit zwei anderen Saarlouiser Neonazis über die rassistischen Ausschreitungen und Angriffe auf Geflüchtete unterhielt, die im Nachwendedeutschland an der Tagesordnung waren. Die Pogrome von Hoyerswerda hatten unmittelbar zuvor begonnen. Und bei diesem braunen Trinkgelage soll dann der Satz gefallen sein, der Peter Werner S. zur Tat motiviert habe: „Hier müsste auch mal sowas brennen oder passieren.“ Ausgesprochen haben soll ihn Peter St., dessen Wort in der Saarlouiser Neonazi-Szene Befehl war, wie von eigentlich allen Szene-Zeug*innen vor Gericht bestätigt wurde. „Er war der Kopf“, sagte ein Mann. Als „einen der Größten im Saarland“ bezeichnete ihn ein anderer Zeuge. „Ich habe ihn schreiend in Erinnerung“, erzählte eine Frau. Und eine weitere Neonazi-Aktivistin erklärte: „Er war der Chef und hat seine Untertanen gehabt.“ Dass Peter Werner S. einer dieser Untertanen war, daran äußerte niemand Zweifel. „Er war immer der, ich sag mal: Hund, wo hinterhergelaufen ist“, so formulierte es ein Mann.

Seit Juni in U-Haft

Peter St. war weit über die 1990er-Jahre hinaus eine zentrale Figur in der Neonazi-Szene des Saarlands. Er gründete die braune „Kameradschaft Horst Wessel – Saarlautern“, die bis zu ihrer Auflösung Mitte der 2000er-Jahre regelmäßig bei rechten Demonstrationen bundesweit aufmarschierte. Er betrieb einen einschlägigen Versandhandel und den Szeneladen „Studio 88“ in Neunkirchen/Saar. Und auch heute soll der ergraute Mann mit dem etwas zerzausten Vollbart noch immer von seinem einstigen Renommee in der extremen Rechten zehren. Öffentlich freilich trat er zuletzt nur als Fotograf verlassener Orte in Erscheinung, mit einem gutbesuchten Instagramprofil.  

Seit Juni sitzt Peter St. in Untersuchungshaft, festgenommen einen Monat nach seinem schweigenden Auftritt im Koblenzer Oberlandesgericht. Anwaltlich vertreten lässt er sich von Wolfgang Stahl, der als einer der Verteidiger der NSU-Terroristin Beate Zschäpe bekannt wurde. Laut „Spiegel“ bestreitet er die Anklagevorwürfe. Und seine Chancen, ungestraft davonzukommen, stehen nicht gar so schlecht – auch wenn der Bundesgerichtshof seinen Antrag auf Entlassung aus der Untersuchungshaft im August ablehnte.

Aussteiger als Zeuge

Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass Peter Werner S. den Mordanschlag begangen hat, weil er durch den Satz von Peter St. beim Kneipenabend „beeinflusst und bestärkt“ worden sei. Dass Peter St. diesen Satz so oder so ähnlich gesagt hat, dafür hat die Anklage allerdings nur einen einzigen Zeugen: den dritten damaligen Neonazi, der bei dem Besäufnis im „Bayrischen Hof“ dabei war. Es ist Heiko S., heute 51 Jahre alt und bereits in den frühen Neunzigern auf Abstand zur rechten Szene gegangen. Zum Zeitpunkt des Anschlags aber gehörte er noch zu den Aktivposten. Und: Peter Werner S. hat ihn beschuldigt, der eigentliche Haupttäter bei der Brandstiftung in der Geflüchtetenunterkunft gewesen zu sein. Er selbst, hatte er in seinem späten Geständnis behauptet, sei nur mitgelaufen. Das nahm ihm das Gericht zwar nicht ab. Dennoch ist klar: Heiko S. ist als Zeuge nicht gerade unangreifbar.

Der Staatsschutzsenat des Koblenzer Oberlandesgerichts muss jetzt entscheiden, ob er die Anklage gegen Peter St. zur Verhandlung zulässt. Sollte es zu einer Verurteilung kommen, drohen dem Neonazi-Kader zwischen drei und 15 Jahren Gefängnis. Anders als Peter Werner S. hatte er am Tattag seinen 21. Geburtstag bereits hinter sich, es muss also zwingend Erwachsenenstrafrecht angewendet werden.

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