Weiter Risiko von rechtsextremem Terror
Der NSU-Prozess ist vorbei. Fragen bleiben. Der Rechtsextremismus-Experte Frank Jansen erklärt die Kritik an der Bundesanwaltschaft und warum das Verhalten der Behörden Verschwörungstheorien befeuere. Außerdem warnt er vor rechtem Terrorismus.
Nach fünf Jahren und 438 Verhandlungstagen sind die Urteile im NSU-Prozess gefallen. Die Verteidiger von Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben wollen Revision einlegen. Welche Fragen konnte der Prozess nicht klären?
Wir wissen beispielsweise nicht, nach welchen Kriterien Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ihre Opfer ausgewählt haben und ob sie Hilfe von örtlichen Neonazis bekamen. Es ist auffällig, dass einige der Mordopfer an abgelegenen Orten getötet wurden. Das erste Opfer Enver Şimşek wurde etwa in Nürnberg an einer Landstraße erschossen. Beate Zschäpe hat nur die wenig glaubwürdige Geschichte erzählt, dass sie von den Vorbereitungen der Morde nichts mitbekommen habe. Dies ist seit dem Gerichtsurteil obsolet. Die Richter sehen in Zschäpe eine Mittäterin.
Wie lassen sich die Antworten auf die offenen Fragen noch ermitteln?
Ich fürchte, dass manche Fragen nie geklärt werden können. Die Bundesanwaltschaft führt gegenwärtig Verfahren gegen neun weitere Beschuldigte sowie gegen Unbekannt. Meine Hoffnungen, dass dabei etwas herauskommt, sind nicht besonders groß. Diejenigen, die etwas sagen könnten, schweigen. Das sind Beate Zschäpe und weitere Angeklagte, vor allem Ralf Wohlleben, der am Anfang den NSU intensiv unterstützte, sowie André E., der in Zwickau mit dem NSU-Trio in engem Kontakt stand.
Im NSU-Prozess wurde die Bundesanwaltschaft kritisiert, bei der Beantwortung von offenen Fragen wenig interessiert zu sein. Zurecht?
Der Bundesgerichtshof hatte die Bundesanwaltschaft gedrängt, sinngemäß nicht alles auszuermitteln, sondern eine Anklage fertigzustellen. In der Strafprozessordnung wird als Regel für die Dauer von Untersuchungshaft sechs Monate angegeben. Zschäpe und Wohlleben saß vor Beginn des Prozesses bereits seit November 2011 in Untersuchungshaft. Das galt es zu berücksichtigen. Die Bundesanwaltschaft verfasste daraufhin eine Anklage, die jetzt vom Gericht zumindest hinsichtlich Zschäpe und Wohlleben bestätigt wurde. Gleichzeitig werfen die Nebenkläger der Bundesanwaltschaft vor, zu wenig aus den anderen Verfahren preiszugeben. Die Bundesanwaltschaft sagt hingegen, dass sie sich während laufender Ermittlungen nicht äußern könne.
Im Verlauf der Ermittlungen wurden zahlreichen Pannen seitens der Behörden bekannt. Beispielsweise wurden Akten vernichtet. Wie bewerten Sie dies?
Das Schreddern der Akten hätte nicht passieren dürfen. Dies hat das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden und in den Rechtsstaat punktuell beschädigt. Ich bin mir nicht sicher, ob die Akten viele Erkenntnisse gebracht hätten. Doch das Schreddern führt dazu, dass Verschwörungstheorien blühen und dass sich der Verfassungsschutz fragen lassen muss, ob er vielleicht mehr gewusst hat, als der NSU unerkannt mordete. Das sind jedoch keine Fragen für ein Gericht, sondern für Untersuchungsausschüsse. Diese haben da aber auch keinen Durchbruch erzielt.
Welches Signal geht von dem NSU-Prozess an die Rechtsextremen aus?
Die Freilassung von André E. wird von der rechten Szene als Erfolg gefeiert. Bei der Urteilverkündung klatschte ein halbes Dutzend Neonazis im Gerichtssaal. André E. und Wohlleben sind nach wie vor Teil der rechten Szene. Sie gelten dort wahrscheinlich als Helden und Wohlleben zusätzlich als Märtyrer, weil er seit mehr als sechseinhalb Jahren im Gefängnis sitzt und konsequent bei seiner ideologischen Ausrichtung geblieben ist. Der Prozess hat die rechte Szene kaum beeindruckt. Dabei muss man aber auch beachten, dass sich Deutschland in den vergangenen fünf Jahren stark verändert hat. Die AfD sitzt im Bundestag. Wie haben offenen Rassismus bis in weite Teile des Bürgertums. Durch die so genannte Flüchtlingskrise hat rassistische Gewalt massiv zugenommen. Was die Bekämpfung von Rassismus angeht, hat der NSU-Prozess keine Strahlkraft entwickeln können.
War der NSU ein Einzelphänomen oder gibt es in Deutschland einen terroristischen rechten Rand?
In den rechtsextremen Milieus gibt es immer wieder Bestrebungen, in den Untergrund abzutauchen oder eine Art Feierabendterrorismus aufzuziehen. Im Jahr 2015 flog die Gruppierung „Oldschool Society“ auf, die kurz davor war, einen Anschlag auf ein Flüchtlingsheim in Sachsen zu begehen. Der Schritt zum Terrorismus ist für manche nur klein. Und es stellt sich die Frage, ob es Neonazis wieder gelingt, unterzutauchen und unerkannt zu morden. Heutzutage sind die Sicherheitsbehörden jedoch erheblich aufmerksamer. Die Bundesanwaltschaft untersucht viel früher Verdachtsfälle, auch Polizei und Verfassungsschutz sind wachsamer. Aber das Risiko rechtsextremen Terrors bleibt hoch.
Das Interview ist auf vorwärts.de erschienen.