Was wäre, wenn? Die AfD wird die Demokratie mit demokratischen Mitteln demontieren

Die AfD um Björn Höcke könnte am Sonntag in Thüringen stärkste Kraft werden. Welche Spielräume hätte eine Partei wie die AfD, um beispielsweise auf den Verfassungsschutz einzuwirken oder Projekte gegen Rechtsextremismus zu zerschlagen?

Freitag, 30. August 2024
Andrea Röpke, Andreas Speit
AfD - Alternative für Deutschland
AfD - Alternative für Deutschland

Das Thüringen-Projekt „Was wäre, wenn?“, fragte das Team von Maximilian Steinbeis und Friedrich Zillessen des Fachportals Verfassungsblog.de. Schon 2023 starteten Steinbeis und Zillesse das Thüringen-Projekt. Sie spielten durch, welche Möglichkeiten eine „autoritär-populistische Partei“ in der Demokratie hätte, wenn sie parlamentarische und staatliche Ämter gewinnen könnte. Im öffentlichen Bewusstsein ist das Amt des Parlamentspräsidenten oder der Parlamentspräsidentin in Deutschland bisher politisch nicht sehr profiliert. Doch ein*e AfD-ler*in als Landtagspräsident*in könnte dem Parlament schon die Arbeitsaufnahme erschweren.

Normalerweise ist es Aufgabe des oder der Präsident*in, die Interessen des Parlaments zu repräsentieren, also nicht die der eigenen Partei. Er oder sie hat Sorge zu tragen, dass die parlamentarische Arbeit möglichst reibungslos funktioniert. „Sich darauf auch über wechselnde Mehrheitsverhältnisse hinweg stabil verlassen zu können, daran haben im Prinzip alle Parteien das gleiche Interesse“, heißt es im Thüringen-Projekt. Doch dann wird in der Studie auf die Fallstricke hingewiesen: „Das Recht, jemanden für dieses Amt zu nominieren, gebührt nach guter parlamentarischer Tradition und nach der Geschäftsordnung des Landtags der stärksten Fraktion.“

In diese Machtposition könnte die AfD nach den Landtagswahlen im September 2024 sowohl in Thüringen als auch in Sachsen und Brandenburg eventuell kommen. Vorgeschlagen heißt zwar noch nicht gewählt, doch der oder die Landtagspräsident*in braucht die Mehrheit der abgegebenen Stimmen, und niemand kann die Abgeordneten zwingen, zu wählen, wer ihnen vorgesetzt wird. Der Druck wäre allerdings hoch, sodass diese Wahl aus Sicht der AfD gelingen könnte.

„Erst wenn er einen Präsident*in hat, ist der Landtag konstituiert und kann mit seiner Arbeit beginnen, kann die Regierungschef*in gewählt werden.“ Die Option „einen Wahlgang nach dem anderen scheitern zu lassen“, bedeutet auf Dauer jedoch einen „parlamentarischen Stillstand und Lähmung“, warnen die Autor*innern des Thüringen-Projekts. Die AfD könnte dann dieses Scheitern „für sich ausschlachten.“

Im typischen Opfer-Jargon würde sie eine fehlende demokratische Kultur und eine gescheiterte parlamentarische Praxis beklagen und eine Entscheidung einfordern. Eine PR-Aktion, die vor allem an die Anhängerschaft außerhalb des parlamentarischen Raums gerichtet sein könnte. Nach dem Motto: Das Establishment ist gegen uns und hindert uns an der Arbeit.

Auch der nächste mögliche Angriff auf die Demokratie kommt unauffällig daher. Er stellt sich durch massiven Personalaustausch dar. Sollte die AfD Regierungsverantwortung und damit Ministerposten übernehmen, könnte sie die Posten der untergeordneten politischen Beamt*innen neu besetzen. Dass Vertrauenspersonen der Regierung nach einem Regierungswechsel ersetzt werden, ist nicht unüblich. Allerdings könnten Antidemokrat*innen diese Macht missbrauchen.

Marie Müller-Elmau und Hannah Beck vom Thüringen-Projekt legen dar, dass wenn ein*e Innenminister*in schärfer gegen bestimmte Aktivist*innengruppen oder gar (dann) oppositionelle Bündnisse vorgehen will, könnte er oder sie den Fokus auf das Amt des*der Polizeipräsident*in legen. Diese*r Innenminister*in wäre in der Lage, Personal oder Gelder in die entsprechende Abteilung zu verschieben. Diese Option bestünde ebenso in den Verfassungsschutzbehörden: „Dann werden eben keine Nazis mehr beobachtet, sondern verstärkt die Linken“, führte Beck aus. In den Plänen von Höcke steht die Abberufung des Verfassungsschutzpräsidenten ganz oben.

Parallel zur Umrüstung des Parlamentes könnte ein Umbau des Justizapparates erfolgen. In Polen war zu beobachten, dass die damalige rechte PiS-Regierung zunächst das Rentenalter für Richter*innen senkte, um dann möglichst viele frei gewordenen Stellen aus den eigenen Reihen oder mit Sympathisant*innen zu besetzen. Die PiS (deutsch: „Recht und Gerechtigkeit“ ) wird politisch als „rechtsradikal“ und/oder „rechtspopulistisch“ verortet. Die Judikative bietet zu Recht einen großen Raum für Interpretationen. Diese Optionen kommen rechtsextremen Richter*innen oder Verwaltungsbeamt*innen entgegen. Detailliert betrachtet bestehen zudem Möglichkeiten, sich einerseits daran zu halten, Stellen öffentlich auszuschreiben, aber Ausschreibungen „lassen sich ja verändern, sodass präferierte Gruppen, vielleicht eigene Leute besser auf die Stellen passen.“ Eine Landtagsverwaltung könnte so nach und nach problemlos auf Linie gebracht werden, sagt Beck. Die AfD lässt auch kaum Zweifel daran, dass sie Gleichstellungsbeauftragte als überflüssig erachtet.

Der Kampf um die Bildung ist Teil des erklärten rechten Kulturkampfes. Eine 180 Grad-Wende in der Erinnerungs- und Gedenkkultur forderte Björn Höcke schon 2017. Das ARD-Nachrichtenmagazin Panorama veröffentlichte eine Rede Björn Höckes, in der er sich für die mehrfach verurteilte Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck einsetzte und deren eklatante Verstöße gegen den Paragraph 130 des StGB („Volksverhetzung“) als „Meinungsdelikte“ relativiert. Der brandenburgische Bundestagsabgeordnete Steffen Kotré bekundete 2004 seine Solidarität für den früheren RAF-Terroristen und späteren Holocaustleugner Horst Mahler. Um das Geschichtsbild nachhaltig zu verändern, könnte die AfD in Zukunft versuchen, die Budgets für Besuche von Schulklassen in Gedenkstätten und Erinnerungsorten zu kürzen.

Ein weiterer Angriff auf die Demokratie ist durch parlamentarischen Machteinfluss auf die demokratische Kultur zu erwarten. Die finanzielle Förderung von Demokratie und Vielfalt bestärkenden Projekten bei Initiativen, Freiwilligen Feuerwehren, Theatern, Sportvereinen, Stadtteil- oder Gemeindeprojekten könnte gekürzt oder gestrichen werden. Insbesondere Projekte zu den Themen sexuelle Vielfalt und geschlechtliche Identität dürften dann Kürzungen treffen. Betroffen wären sehr wahrscheinlich auch Beratungsstellen für Opfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt. Schon jetzt gehen AfD-Fraktionen in Landtagen wie Sachsen-Anhalt oder Thüringen mit den Mitteln der parlamentarischen Demokratie gegen unterschiedliche zivilgesellschaftliche Projekte vor.

Auch die vier wichtigsten Thüringer Beratungsstellen beim Thema Rechtsextremismus – Mobit, Ezra, Drudel 11 und das Violence Prevention Network 38 – stünden vor dem Aus. „Höckes Pläne würden Stand heute die staatlich geförderte Arbeit gegen Rechts beenden“, sagt Romy Arnold von der Mobilen Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus (Mobit). Über Jahrzehnte entwickelte Konzepte und wirksame Netzwerke im Kampf gegen Rechtsextremismus würden zerschlagen werden. Diese Angriffe passieren, weil die von Demokratie leben! geförderten Projekte wichtige Demokratiearbeit vor Ort leisten. Demokratie leben! wird durch das Bundesministerium für Familie, Senioren und Jugend gefördert. Dazu gehört auch, auf die verfassungsfeindlichen Inhalte der AfD hinzuweisen.

Ein weiteres Szenario spielen Steinbeis und Jelena von Achenbach für die Wahl des oder der Ministerpräsident*in in Thüringen durch. Die Professorin für Öffentliches Recht an der Universität Erfurt und der Gründer von Verfassungsblog zeigen auf, dass wenn im dritten Wahlgang der AfD-Vorsitzende Höcke kandidiere und sich Linke und CDU nicht geeinigt haben, eine*n gemeinsame*n Gegenkandidat*in aufzustellen, könnte der*die Landtagspräsident*in qua Amt feststellen, dass Höcke allein mit den Stimmen der AfD gewählt ist. Auf Sitzungsunterbrechungen, um diesen Ausgang noch abzuwenden, bräuchte nicht mehr gehofft werden. Denn, wenn die AfD den oder die Landtagspräsident*in stellt, dürfte er oder sie eine Unterbrechung ablehnen. In diesem Fall, so Achenbach und Steinbeis am 1. Dezember 2023, würde „ein Nazi Ministerpräsident und steht an der Spitze der Exekutivgewalt des Freistaats Thüringen.“

Kein mögliches Szenario? Am 5. Februar 2020 wurde der FDP-Landtagsabgeordnete Thomas Kemmerich mit Stimmen der CDU, FDP und AfD kurzzeitig Ministerpräsident des Freistaates. Ein ungeschicktes Verhalten von CDU und FDP und ein taktisches Abstimmungsverhalten der AfD führte zur Wahl. Erst durch den öffentlichen Druck und politisches Gegenwirken konnte die fatale Ministerpräsidentenwahl revidiert werden.

Das Thüringen-Projekt kann auch auf Sachsen und Brandenburg übertragen werden. Auf die Mehrheiten in den Parlamenten kommt es an und welche Bereitschaft zur Koalition besteht, die nicht nur als Regierungsbeteiligung gedacht werden sollte. Die politische Annahme, Hitler könnte kontrolliert werden, war der historische Fehler des Konservatismus. Steinbeis, Projektleiter von Verfassungsblog, fasst die Gefahr zusammen: „Das Entscheidende an autoritären Populisten, wie wir sie heute erleben, ist eben, dass sie (…) vorgehen (…) ohne die Verfassung oder die Gesetze offen zu brechen.“ Zillessen ergänzt: „Autoritäre Kräfte nutzen die Verfassung als ein Tool, das man für seine Machtausübung ge- und missbrauchen kann.

Der Text ist ein Auszug aus der Broschüre „Die Umsturzpartei. Wie die AfD unsere Demokratie gefährdet” vom American Jewish Committee (AJC) Berlin, die Autoren sind Andrea Röpke und Andreas Speit.

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