War die Bezeichnung "NSU" schon 2007 bekannt?

Mittwoch, 19. Juni 2013
Johannes Hartl
NSU-Untersuchungsausschuss Bayer. Landtag, Foto: J. Hartl
NSU-Untersuchungsausschuss Bayer. Landtag, Foto: J. Hartl

Wusste die BAO-Bosporus bereits Ende 2007/Anfang 2008 von der Bezeichnung NSU und deren Bedeutung? Diesen Verdacht äußerte ein Spurenanalyst in der 28. Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses im Bayerischen Landtag. Doch Klarheit in der Sache gibt es nicht.

NSU-Hinweis vor 2011?

Eigentlich sollte es eine kurze, unspektakuläre Vernehmung werden. Doch mit nur einer einzigen Angabe brachte der erste Zeuge, Kriminalhauptkommissar Konrad Pitz, die ganze Tagesplanung zum Einsturz. Pitz, der als ausgewiesener Analyst im Bereich der DNA-Spuren gilt und für seine Expertise bekannt ist, erinnerte sich vage an eine Besprechung irgendwann zwischen 2007 und 2008. In besagter Besprechung verabschiedete sich der bis dato tätige BAO-Leiter Geier aufgrund einer neuen Tätigkeit – und es sei zum ersten Mal vom „NSU“ als „rechte Vereinigung“ die Rede gewesen. Zwar könne er keine exakten Angaben zum Zeitpunkt der Zusammenkunft mehr machen, doch genau erinnere er sich an die fragliche Aussage. „Die kam von oben, von der BAO-Leitung“, berichtet Pitz. Dem Beamten zufolge sei die Leitung der BAO entweder durch einen Hinweise des Landesamtes für Verfassungsschutzes aus Thüringen oder aus Sachsen darauf aufmerksam gemacht worden.

In Erwartung an die wegen dieses Hinweises neu zu bearbeitende Spuren rief er bei seinem Kollegen, Kriminalhauptkommissar Karl Richter vom Polizeipräsidium Mittelfranken, an. Bezugnehmend auf die Besprechung wollte er wissen, ob „die rechte Spur weiter gemacht wird“, schildert Pitz dem Ausschuss. Richter habe aus diesem Grund bei seinen Vorgesetzten nachgefragt und später in Form eines Anrufs mitgeteilt, dass die „Spur gestorben“ sei.

Nach dieser Aussage herrschte bei den Abgeordneten ein hektisches Treiben. Der Ausschussvorsitzende Franz Schindler (SPD) ließ die Sitzung unterbrechen, eine Beratung in nicht-öffentlicher Sitzung folgte. Was beratschlagt und besprochen wurde, bleibt der Öffentlichkeit verborgen. Erst nach einiger Wartezeit öffneten sich die Türen von Saal 2 wieder.

Energisch wollen die Abgeordneten Pitz nun auf einen genauen Zeitpunkt festlegen. Doch der Analyst erinnert sich nicht und Nachforschungen könne er nicht anstellen. Nach seiner Versetzung von München weg sei ihm sein „Outlook gekillt“ worden, erzählt Pitz mehrfach. Und obwohl er sich an kaum einer der anwesenden Personen noch an einen Zeitpunkt erinnern kann, ist er sich ganz sicher: Die Bezeichnung „NSU“ ist als „Hinweis unter einer von vielen“ bei einer Besprechung samt Erklärung vor mehreren Spurensachbearbeitern gefallen. Den Hinweis habe er damals außerdem so verstanden, als ob der angesprochene NSU mit den Mordtaten in Verbindung gebracht worden wäre, sagte Pitz am Dienstag im Ausschuss aus.

Nie von NSU-Hinweis gehört?

Konträr gegenüber standen dem die Aussagen des anschließend vernommenen Karl Richter. Der Kriminalhauptkommissar des Polizeipräsidiums Mittelfranken habe seinerzeit regelmäßig mit Pitz zusammengearbeitet und soll laut Angaben des Analysten bei der Besprechung anwesend gewesen sein, bei der erstmals ein Hinweis auf den NSU gegeben worden sei. Doch Richter erinnerte sich an nichts von alledem. Weder habe er die Bezeichnung vor Auffliegen der Terrorzelle im November 2011 gekannt – noch habe ein Telefongespräch mit Pitz stattgefunden, das sich explizit auf diese Besprechung und den Hinweis bezog. „Ich habe mehrfach mit Pitz telefoniert, aber nicht mit diesem Inhalt“, so Richter. Zudem habe er dem Spurenanalysten niemals rückgemeldet, dass die Spur gestorben sei. Und dass der Hinweis in seiner Abwesenheit geäußert und ihm deshalb entgangen ist, halte er überdies nicht für „möglich und auch nicht für wahrscheinlich“, sagte er auf Nachfrage. „Wenn so ein Hinweis gekommen wäre, wären wir doch sicher auf den Zug aufgesprungen!“

Ergebnislose Gegenüberstellung: Pitz – Richter

Nachdem Pitz mit der Aussage Richters konfrontiert und erneut
einvernommen wurde, hielt er weiterhin an seiner Aussage fest. Allmählich standen die Abgeordneten vor einem Rätsel, Diskussionen entbrannten. Wessen Aussage sollte man als glaubwürdig bewerten – und sollte man die Zeugen zur Wahrheitsfindung vielleicht vereidigen, wie von Professor Bausback (CSU) angeregt? Wirklich einig wurden sich die Parlamentarier nicht, weswegen der Ausschussvorsitzende Franz Schindler erfolgreich ein Novum im Ausschuss vorschlug: Die beiden Beamten sollten in einer weiteren Vernehmung gegenübergestellt werden und so direkt mit den gegenteiligen Aussagen des jeweilig anderen Zeugen konfrontiert werden.

Wirklich genützt hat jedoch auch diese Taktik nichts. Sowohl Pitz als auch Richter hielten eisern an ihrer Aussage fest, keiner wich von seiner Variante ab – die Situation blieb also unverändert. Erneut standen die Abgeordneten vor einem Rätsel, erneut erfolgte ein Ausschluss der Öffentlichkeit und eine weitere Beratung in nicht-öffentlicher Sitzung. Am Ende bleiben beide Zeugen unvereidigt, die Aussage von keinem der Beiden wurde als unglaubwürdig eingestuft und eine weitere Klärung des Sachverhalts müsse stattfinden, hieß es. Ob das noch im Rahmen dieses Ausschusses zu schaffen ist, gilt es abzuwarten. Die Zeit aber ist knapp, schon im nächsten Monat soll der Abschlussbericht öffentlich vorgestellt werden.

Ebenfalls noch nie vom NSU gehört…

Ähnlich wie Karl Richter äußerte sich Georg Schalkhauser. Er war am 01. Juni 2006 zur BAO gekommen, war ein Jahr lang Leiter der Geschäftsstelle Steuerungsgruppe und in relevante Entscheidungen eingebunden. „Jeder war an einer Klärung interessiert. Es gab zwar teilweise unterschiedliche Ansichten, aber eine Spur wäre nicht ignoriert worden“, betonte der Kriminaldirektor vor dem Untersuchungsausschuss. Auch er will erst 2011 von der Bezeichnung „NSU“ und deren Bedeutung gehört haben. Schalkhauser: „Wenn jemand ‚Terrorgruppe NSU’ gesagt hätte, dann wäre das sicher im System gelandet“. Zudem sei ihm keine formale Besprechung mit Anwesenheit von Konrad Pitz und Karl Richter erinnerlich.

Pitz sei ferner als „schwieriger Mensch“ bekannt gewesen, sagte Schalkhauser in Anspielung auf einen unklaren Vorfall. Genaue Hintergründe hierzu blieben der Öffentlichkeit verborgen, Details sollten von den Vertretern des Innenministeriums nur in nicht-öffentlicher Sitzung genannt werden. Das Verhältnis der Kollegen Pitz/Richter sei aber „ausgezeichnet“ gewesen, so Schalkhauser.

Dass es eine gemeinsame, informelle Besprechung mit Anwesenheit der Kollegen Pitz und Richter gab, könne er allerdings nicht ausschließen. Beispielsweise sei er bei der Verabschiedung des BAO-Leiters Geier aufgrund eines Urlaubs nicht anwesend gewesen, bei der mitunter beide teilgenommen haben könnten. Sofern dies so gewesen ist, habe ihn aber noch immer keine auf die Nachfrage von Pitz basierende Anfrage des Kollegen Richter erreicht.

Vertreter der Justiz als Zeugen

Als weitere Zeugen sagten zwei Referenten des Justizministeriums und der damals für die Mordermittlungen zuständige Staatsanwalt Dr. Walter Kimmel vor dem Landtagsausschuss aus. Dr. Christoph Strötz arbeitete bis zum 1. März 2005 im Justizministerium in der Staatsrechtsabteilung und bekam die Berichte der zuständigen Staatsanwaltschaften im Falle der bundesweiten Mordserie auf den Tisch. Dabei seien die Berichte aus Nürnberg deutlich „schmaler“ gewesen als etwa die aus München, erinnert sich Strötz. Bei der Nürnberger Staatsanwaltschaft habe er sogar erst Anfragen müssen, nachdem in einer Mitteilung der Münchner Staatsanwaltschaft die Fälle aus Nürnberg zitiert worden sind.

Während sich die Mitteilungen aus Nürnberg über die Hintergründe ausgeschwiegen haben, wurde in den Münchner eine Verbindung zur „Rauschgiftszene“ hergestellt. Aus heutiger Sicht ist Strötz nach wie vor der Meinung, dass eine Übergabe an das BKA nicht möglich gewesen wäre. Gleichwohl sei ein Sammelverfahren durch die Staatsanwaltschaft wohl nicht „ausgeschlossen gewesen“. Strötz will
daher auch bereits 2001 auf die Notwendigkeit einer Zusammenführung der Ermittlungen hingewiesen haben, erläuterte er den Abgeordneten.

Die Entscheidung hierüber obliege allerdings nicht dem Ministerium, sondern den zuständigen Staatsanwaltschaften alleine. Deshalb habe er auch erst mit Beginn seiner Tätigkeit als Generalstaatsanwalt in München aktiv eine „Zusammenlegung der Ermittlungen bei der Staatsanwaltschaft vorantreiben“ können. Fortan befanden sich die Ermittlungen dann in der Verantwortung der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth, geleitet von Dr. Walter Kimmel.

In seiner Zeit im Ministerium habe sich der Minister und später die Ministerin nicht nach der Mordserie erkundigt, auch auf der Justizministerkonferenz sei diese seiner Erinnerung nach kein Thema gewesen. Besprochen worden sei die Mordserie aber nach seiner Amtszeit im Bayerischen Justizministerium bei einer Besprechung im November 2006 in der Schwarzkopfhütte, bei der Alexander Horn seine „Operative Fallanalyse“ mit Schwerpunkt Einzeltäter/Serientäter-Theorie vorgestellt hat. Die Anwesenheit eines Präsidenten des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz halte er für möglich, dies sei so üblich gewesen.

In seiner Funktion als Staatsanwalt habe er sich damals Neonazis als Täter nicht vorstellen können. „Mein Vorstellungsbild von Neonazis war ein anderes“, eine derart professionelle Vorgehensweise habe er nicht für möglich gehalten, räumte Strötz vor dem Ausschuss ein. „Zunächst habe ich auch in Richtung der Organisierten Kriminalität gedacht. Erst mit der Vorstellung der Operativen Fallanalyse von Alexander Horn hat sich mein Bild erstmals gewandelt.“ Seine Intention sei aber ohnehin eine Zusammenführung der Verfahren gewesen.

Störtz Nachfolger im Ministerium, Hans Kornprobst, leitete das Referat vom 01. März 2005 bis zum 31. März 2007 und war in dieser Zeit insbesondere mit der Zusammenführung der Ermittlungen befasst. Nachdem der Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft München I in einem Bericht die Zusammenlegung der Verfahren empfohlen hat, klärte Kornprobst diesen Vorschlag zunächst mit den zuständigen Staatsanwaltschaften und dem verantwortlichen Ministerium ab und gestattete nach Einverständnis von „allen Seiten“ eine Konzentration. „Ansonsten kann ich zu ihren Fragen recht wenig beitragen“, beteuerte Kornprobst am Dienstag.

Keine Fehler bei Bewertung der Zeugenaussage

Als letzter Zeuge trat der heutige leitende Oberstaatsanwalt Dr. Walter Kimmel vor den NSU-Untersuchungsausschuss. Kimmel leitete maßgeblich die Ermittlungen im Falle der bundesweiten Mordserie und war Herr des Verfahrens gewesen. Vor dem NSU-Untersuchungsausschuss sollte er allen voran erklären, wieso bei der Aussage der Zeugin Maria Wagner (Name geändert) und dem dazu angefertigten Protokoll Diskrepanzen gibt – und wie sich dies auf die Ermittlungen ausgewirkt hat. Obwohl Wagner gegenüber der Polizei bei der Vorführung der Videoaufnahmen aus der Kölner Keupstraße die Täter zweifellos identifiziert hat, ist später im Protokoll nur mehr von „ziemlich sicher“ die Rede. In der 26. Sitzung hatte der Beamte Karl-Heinz Ruppe eine Abänderung des Protokolls aus heute unklaren Gründen zugegeben, nachdem er zuvor lange auf seiner Version beharrt hatte.

Kimmel wies im Landtag Kritik zurück. Wenngleich nur von „ziemlich sicher“ berichtet wurde, wären auch mit einer anderen Formulierung „keine anderen Konsequenzen“ gezogen worden. Der Hinweis von Frau Wagner, dessen Detailgenauigkeit Kimmel selbst vorgetragen hat, sei selbstverständlich ernst genommen worden. Ein „Abgleich auf breitester Ebene“ sei erfolgt. Doch eine Abfrage nach Fahrrädern, wie sie sowohl in Nürnberg als auch in Köln aufgefallen sind, wäre „praktisch unmöglich“, sagte Kimmel. Stattdessen seien alle Mordanschläge von 1998 an nochmals überprüft worden. Banküberfälle hingegen ließ man aus. Ansonsten wiederholte Kimmel zumeist Aussagen, die er in der ersten Vernehmung tätigte.

Fader Beigeschmack

Nach über 9 Stunden endete die 28.
Sitzung mit vielen offenen Fragen. Insbesondere die Vernehmung des Kriminalbeamten Konrad Pitz sorgte für etliche Irritationen – und führte unter anderem zu einem komplett umgeworfenen Zeitplan, wegen dem die ursprünglich geplante Vernehmung der Bayerischen Justizministerin Beate Merk (CSU) kurzfristig ausfallen musste. Endgültig geklärt ist der Wahrheitsgehalt der Aussage bislang nicht, die Informationslage ist nach wie vor dünn. Dass die CSU – ohne konkrete Details überprüft zu haben – den Zeugen aber bereits für unglaubwürdig erklären lassen wollte, hinterlässt so oder so einen faden Beigeschmack – unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Aussage.

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