Wahlkampf als Eskalationsevent
Mit Provokationen und Tumulten hat am Montag die in dieser Woche stattfindende Wahlkampf-Tour der braunen Kleinstpartei „Die Rechte“ (DR) durch Nordrhein-Westfalen begonnen.
Angekündigt hatte die neonazistische Partei die Kundgebungstour durch verschiedene Städte anlässlich ihres Europawahlkampfs schon länger. Als Abschluss wird am Samstag ein´ großer Aufmarsch in Dortmund stattfinden unter dem Motto „70 Jahre BRD? – Wir feiern nicht!“ Der bisherige Wahlkampf war wegen der an die NS-Parole „Die Juden sind unser Unglück!“ erinnernden Losung „Israel ist unser Unglück!“ sowie Plakaten mit der Aufschrift „Wir hängen nicht nur Plakate!“ durch unterschiedliche Medienberichte und Strafanzeigen wegen des Verdachts auf Volksverhetzung geprägt. Auch wenn die Neonazis üblicherweise an der „Lügenpresse“ kaum ein gutes Haar lassen, dankten sie oder deren Kader und Verbände zuweilen ironisch den „Systemmedien“ wegen jener Berichte.
Anders hätte man die mediale Reichweite wohl auch nicht erreichen können als Miniaturpartei. Zwecks Provokation war die DR am 18. Mai in Pforzheim (Baden-Württemberg) sogar provokativ mit ihrem Lautsprecherwagen vor die Synagoge gefahren. Abgespielt wurden vor deren Toren, berichtet die DR später auf ihrer Homepage, „Worte unserer Spitzenkandidatin Ursula Haverbeck“. Jene Spitzenkandidatin für die Europawahl dichtet die DR offiziell zur „Dissidentin“ um und nennt Haverbeck-Wetzel eine „politische Gefangenen“ der Demokratie. In Wahrheit bestreitet die rüstige Seniorin seit langem den Holocaust, hat mit ihren Aussagen gegen den Straftatbestand der Holocaust-Leugnung verstoßen und sitzt deswegen nach ordentlichen Gerichtsverfahren ihre Haftstrafe ab.
„Abschiebezüge“ sollen rollen
Provozieren will die DR auch mit ihrer Kundgebungstour, die bis Freitag noch in NRW stattfinden soll, dem Bundesland mit dem stärksten und aktivsten Landesverband der Neonazi-Partei. Hat es zuvor im Internet unter Nazigegnern noch Spekulationen darüber gegeben, die Tour werde am Montag in Köln ausgerechnet vor der Synagoge starten, teilt die Partei kurz vor Beginn der Versammlung mit, man werde in Köln am „Kölnberg“ Wahlkampf betreiben – ein stark durch Migranten geprägtes Problemviertel am Rande der Domstadt. Die Polizei hält sich anfangs zurück und während sich nahe der Kundgebung erste Zaungäste und Gegendemonstranten sammeln, fahren sogar noch einzelne PKWs im Schritttempo zwischen diesen und den Neonazis die Straße entlang. Bald jedoch wird die Stimmung aggressiver.
Was auch so kalkuliert ist. DR-Bundesgeschäftsführer Michael Brück hält in der Hochhaussiedlung, die als sozialer Brennpunkt gilt, eine fremden- und asylfeindliche Rede. Mittels Lautsprecherwagen beschallt die DR die angrenzenden Hochhäuser und die dort lebenden Migranten mit der Rede. Brück betont, man sei die Partei für die wenigen hier noch lebenden „Deutschen“ und wolle dereinst „Abschieben! Abschieben! Abschieben!“ Auch am „Kölnberg“ werde aufgeräumt. Ihm folgt der DR-Bundesvorsitzende Sascha Krolzig als Redner. Man wolle sich dafür einsetzen, dass „Abschiebezüge“ rollen, sagt Krolzig und wettert gegen die schleichende Islamisierung“ und die „Hintermänner der Überfremdungsmaschinerie“. Er bezeichnet George Soros – einen Juden – als „Umvolkungslobbyisten“. Beide Redner geben großen Teilen der hier lebenden Menschen in leicht verständlichen Worten zu verstehen, das man sie rauswerfen werde aus Deutschland. Aggressive Gegenreaktionen sind vorprogrammiert.
Mediale Öffentlichkeit generieren
Vom „Kölnberg“ aus streamt der Medienbeauftragte des DR-Bundesvorstandes, Markus Walter, beide Reden live via Facebook ins Internet. Der Neonazi von heute ist flexibel: dient Soros als klassisches Feindbild und Jude, der im Hintergrund als Teil einer Verschwörung die Strippen zieht, nutzt man das soziale Netzwerk des aus einem jüdischen Elternhaus stammenden Mark Zuckerberg, um antisemitische Propaganda zu verbreiten. Auf ihrer Homepage, teilweise auch via Twitter und Facebook bieten die Partei oder deren Verbände und Kader eine eigene, regelmäßig aktualisierte Berichterstattung mit Fotos und Kurztexten an. Auch das gehört zur Strategie. Hat die Partei Wochen zuvor zuerst nur diese Wahlkampf-Städtetour ohne Ortsangaben angekündigt, veröffentlicht sie nun in der Nacht alle Orte des Folgetages vorab. Man hoffe auf Gegenprotest, heißt es dazu vollmundig. Denn Gegenprotest bedeutet Eskalation – und Eskalation generiert bestenfalls wieder mediale Öffentlichkeit.
Haben sich am „Kölnberg“ spontan rund 30 bis 40 Migranten und einige Antifaschisten versammelt, um gegen den braunen Spuk zu demonstrieren, ändert sich das Bild kurz darauf in Brühl im Rhein-Erft-Kreis. Hier eskaliert die Situation tatsächlich für wenige Minuten, die zum Teil überfordert wirkenden Streifenbeamten mühen sich ab, Tumulte wieder zu beenden. Denn nachdem am Vortag durchgesickert war, dass die DR eine Kundgebung in Brühl abhalten will, stehen den acht bis zehn Neonazis bis zu 200 Menschen auf dem Brühler Marktplatz unmittelbar gegenüber und kreisen sie zum Teil fast ein. Der Protest ist so laut, Krolzigs Rede ist trotz Lautsprecheranlage manchmal kaum zu verstehen. Es folgen gegenseitige Provokationen. Letztlich nutzt ein Mann die unübersichtliche Lage und will der Tonanlage den Strom kappen.
Dritte Kundgebung fast ohne Publikumsverkehr
Die Neonazis halten den Mann fest, angeblich im Sinne der Jedermann-Festnahme und ungeachtet dessen, dass Polizisten vor Ort sind. Eben dann entfällt das Recht auf Jedermann-Festnahme, denn dann dürfen nur Polizisten Personen festsetzen und kontrollieren. Es folgt eine kurze Rangelei zwischen Neonazis, Polizisten und manchen Gegendemonstranten. Ein Aufsteller mit der antisemitischen Israel-Losung fällt um, Flyer liegen am Boden. Rund drei Minuten später ist das unübersichtliche Hin und Her fast beendet, die örtliche Polizei fordert Teile einer Einsatzhundertschaft an. Letztlich erstatten Vertreter beider Seiten gegenseitig Anzeigen. „Die Beamten fertigten Strafanzeigen, die Ermittlungen dauern an“, heißt es dazu später lapidar im Polizeibericht.
Kurz darauf hält die DR ihre dritte Kundgebung des Tages im von Brühl rund 25 Kilometer entfernt liegenden Kerpen ab. Unterdessen begleitet von einem größeren Aufgebot von Bereitschaftspolizisten findet diese auf einem Platz fast ohne Publikumsverkehr statt. Gegenproteste bleiben aus. Stolz verkündet die Partei über den Liveticker, man stehe nun auf dem „Marga und Walter Boll-Platz“. Er ist benannt nach einem lokalen Unternehmer-Ehepaar, die gleichnamige Stiftung fördert soziale Projekte und Einrichtungen.
Kundgebung durch ehemaliges KAL-Mitglied angemeldet
Nach der Eskalation in Brühl hat die DR-Kundgebung hier verspätet begonnen, beendet wird sie aber dennoch zeitig. Es hat fast den Anschein, die nachfolgende Kundgebung in Düren empfinden die Neonazis als attraktiver – denn Antifaschisten haben spontan zu Gegenprotesten mobilisiert. Der nächste Eskalationsevent wartet also schon auf den Reisetross. Polizeikreisen zufolge hat die Kundgebung in Düren ein alter Bekannter der Szene angemeldet, nämlich der ehemalige „Kameradschaftsführer“ der 2012 verbotenen „Kameradschaft Aachener Land“ (KAL), Rene L. aus Vettweiß (Kreis Düren).
Der Gegenprotest in der städtischen Fußgängerzone wartet schon auf die Neonazis. Und er ist sehr laut, als diese eintreffen. Die Polizei riegelt die DR-Kundgebung ab, sie findet in Düren fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Vorstandsmitglied Walter darf selbst ans Mikrophon. Neben Parteikadern und Aktivisten etwa aus Dortmund gehört zur Reisegruppe der acht bis zehn Neonazis weiterhin auch der altgediente „Kamerad“ Siegfried Borchardt („SS-Siggi“) an, der vor Wochen wieder aus der Haft entlassen worden ist. Neben Ex-KAL-Chef L. ist auch eine Handvoll, teils noch minderjähriger Mitglieder der Neonazi-Gruppe „Syndikat 52“ (S52) vor Ort.
Braune Erlebniswelt im Wahlkampf
Die Rechtsextremen leben nach der Ruhe in Kerpen auf. Grund dafür: der Gegenprotest. Bleiben die Neonazis zuerst auf Abstand, steuern einige bald schon auf die Gegendemonstranten zu, Walters Rede scheint ihnen egal zu sein. Hinter der Polizeikette halten sie provokativ ihre antisemitischen Wahlplakate hoch. Ein Nazigegner ruft, dass sei „Volksverhetzung“. Brück posiert mit einem Plakat vor der Polizeikette, dahinter stehen die überwiegend jungen Gegendemonstranten aus der linksalternativen Szene. Ein „Kamerad“ macht Aufnahmen vom DR-Geschäftsführer, vielleicht Material für den Erzählband und die Heldengalerie über die Stahlgewitter im Straßenwahlkampf. Die Antifaschisten werden noch lauter, hämische Rufe sowie die üblichen Parolen wechseln sich ab. Erste Wortgefechte durch die Polizeikette hindurch folgen.
Erneut also, ähnlich wie in Köln und Brühl, lebt hier die braune Erlebniswelt Wahlkampf auf. Angespornt davon traut sich sogar ein schmächtiger, fast völlig vermummter S52-Junge nach vorne, macht mit seinem Smartphone in „Anti-Antifa“-Manier Fotos oder Videoaufnahmen von den Linken. Die Wahlkampf-Tour durch NRW zeigt an diesem Montag einmal mehr, dass die Neonazis auf Provokation, Gegenprotest und Eskalation setzen – und hoffen. Kerpen war dabei am ersten Tag der Tour der langweilige Part.
Am heutigen Dienstag führt die Reise nach Westfalen, neben Gütersloh, Ahlen und Hamm steht Vlotho auf dem Programm. Der Termin ist gestern von den Behörden aus schon durchgesickert und es werden schon ab Montagmittag Gegenproteste geplant. Ein neues Eldorado für die DR?