„Vereinte Patrioten“

Von der Corona-Leugnung zum Reichsbürger-Terror

Sie sollen Sprengstoffanschläge und die Entführung von Gesundheitsminister Karl Lauterbach geplant haben: Vor dem Oberlandesgericht Koblenz hat der Terrorprozess gegen die „Vereinten Patrioten“ begonnen, die von einer Wiederkehr des deutschen Kaiserreichs träumten. Angekündigt wird ein Geständnis, aber keine Reue.

Mittwoch, 17. Mai 2023
Joachim F. Tornau
Die Angeklagte Elisabeth R. wird in den Verhandlungssaal gebracht, Foto: picture alliance/dpa/dpa POOL | Boris Roessler
Die Angeklagte Elisabeth R. wird in den Verhandlungssaal gebracht, Foto: picture alliance/dpa/dpa POOL | Boris Roessler

Die Frau, die die Chefideologin gewesen sein soll, betritt den Saal auf Socken und Zehenspitzen. Elisabeth R., 75 Jahre alt und habilitierte Theologin, wird von der Bundesanwaltschaft beschuldigt, das weltanschauliche Rüstzeug für einen geplanten Umsturz von „Reichsbürgern“ geliefert zu haben. Mit Terroranschlägen und einer Entführung von Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Und sie soll immer wieder darauf gedrungen haben, endlich loszuschlagen. Als sie am Mittwochmorgen von zwei Wachtmeisterinnen in den größten Sitzungssaal des Oberlandesgerichts im rheinland-pfälzischen Koblenz geführt wird, aber bemüht sie sich um ein Bild größtmöglicher Zerbrechlichkeit.

Schwer atmend klagt Elisabeth R. über einen Sturz und über eine Gehirnerschütterung. Die Verhandlung gegen sie und vier mutmaßliche Mitverschwörer einer Gruppe, die sich „Vereinte Patrioten“ nannte, hat kaum begonnen, da legt sie ihren Kopf auf die Arme und blickt nicht mehr auf. Nur eines muss sie dann doch noch loswerden: „Ich betone, wir haben hier nur die juristische Person Dr. R.“, unterbricht sie die Begrüßung durch die Senatsvorsitzende Anne Kerber. „Ich spreche gerne mit Ihnen als Mensch, nicht als juristische Person.“ Was wohl heißen soll: Elisabeth R. will keine Bürgerin der Bundesrepublik Deutschland sein – eines Staats, den sie für illegitim hält, wie sie in umfänglichen rechts-esoterischen Schriften und offenen Briefen kundgetan hat, die sich im Internet finden. Ihre Personalien gibt sie als einzige der fünf Angeklagten nicht an.

Finanzier noch nicht angeklagt

Es ist eine illustre Runde, die sich neben der zuletzt im sächsischen Flöha lebenden Vordenkerin jetzt vor dem Staatsschutzsenat verantworten muss: Da sind die einstigen NVA-Soldaten Sven B. (55) aus Falkensee bei Berlin, der seinen Geburtsort schnarrend mit „Neuruppin, Preußen“ angibt, und Thomas O. (56) aus Neustadt an der Weinstraße, der sich einen Namen als radikaler Gegner der Corona-Politik gemacht hat. Zusammen mit Thomas K. (51), einem Oberleitungsmonteur der Deutschen Bahn aus Niederbayern sollen sie den „operativen militärischen Zweig“ der Gruppe geleitet haben, wie Staatsanwalt Nikolaus Forschner beim Prozessauftakt vorträgt.

Den „administrativen Arm“ habe Elisabeth R. zusammen mit einem noch nicht angeklagten mutmaßlichen Finanzier sowie mit Michael H. (44) gebildet – einem Alleinunterhalter aus Bad Zwischenahn, dem bei den Umsturzplänen eine besondere Rolle zugekommen sei: Er habe eine „False Flag Aktion“ inszenieren sollen, bei der ein Schauspieler als falscher Olaf Scholz oder Frank-Walter Steinmeier die Abdankung der Bundesregierung und das Wiederinkraftsetzen der Reichsverfassung von 1871 habe bekannt geben sollen.

Unterstützung von Putin erhofft

Nach Darstellung der Bundesanwaltschaft sollte das der letzte Schritt eines dreistufigen Aktionsplans sein: Erst hätten die „Vereinten Patrioten“ durch Sprengstoffanschläge auf Strommasten und Umspannwerke einen längeren bundesweiten Stromausfall herbeiführen wollen, um Bundesregierung und Medien außer Gefecht zu setzen. Dann hätten sie in der „Operation Klabautermann“ Gesundheitsminister Lauterbach entführen wollen, live vor laufenden Kameras aus einer Talkshow. Die Entscheidung für den wegen seiner Corona-Politik verhassten SPD-Politiker soll das Ergebnis von Umfragen in einschlägigen Telegram-Gruppen gewesen sein. Das Ziel: bürgerkriegsähnliche Zustände herbeiführen und schließlich eine verfassunggebende Versammlung in Berlin einberufen, mit genau 277 Mitgliedern, auch das sollen Elisabeth R. & Co. bereits genau geplant haben. Unterstützung wollten sie sich laut Anklage bei Russlands Präsident Wladimir Putin holen.

Die Bundesanwaltschaft sieht in alledem unter anderem die Gründung einer terroristischen Vereinigung, Hochverrat, die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat sowie Verstöße gegen das Waffengesetz. Denn so sehr sich das Quintett, das über Telegram-Gruppen von Reichsbürgern und Querdenkern erst virtuell und dann auch im realen Leben zueinanderfand, selbst überschätzt haben mag, so lächerlich ihre Verschrobenheit anmutet: Sie hatten bereits einige Waffen, wollten in großem Stil weitere einkaufen – und waren laut Anklage bereit, sie auch einzusetzen. Die Ermordung von Lauterbachs Personenschützern sei für die Angeklagten ebenso nur ein „Kollateralschaden“ gewesen wie das Sterben von Menschen bei der Aktion „Silent Night“, wie der angestrebte Stromausfall genannt worden sein soll.

Verteidigung: Angeklagter wollte demokratische Grundordnung wiederherstellen

Beim Prozessauftakt kündigen fast alle Angeklagten über ihre Anwälte an, sich zu den Vorwürfen äußern zu wollen. Nur Thomas O., der Corona-Leugner aus Rheinland-Pfalz, will erst einmal schweigen. Der Brandenburger Buchhalter Sven B., der wie der Eisenbahner Thomas K. bereits im Ermittlungsverfahren ein weitgehendes Geständnis abgelegt hat, wird dabei wohl wenig Reue zeigen. Bevor dieser erste Prozesstag endet, ergreift Sven B. bereits kurz das Wort, um die Medien aufzufordern, sein Gesicht unverpixelt zu zeigen und seinen vollen Namen zu nennen. „Er steht zu dem, was er getan hat“, erklärt sein Verteidiger Philipp Grassl im Anschluss draußen auf dem Flur. „Sein Weltbild hat sich nicht geändert.“ Aber: Sein Mandant sehe sich weder als rechts noch als Reichsbürger und lehne auch die Bezeichnung Querdenker ab. „Aus Sicht unseres Mandanten wollte er die freiheitlich demokratische Grundordnung nicht beseitigen, sondern wiederherstellen.“

Die Anwälte setzen deshalb auf eine andere Verteidigungsstrategie: Sie monieren, dass verdeckte Ermittler der Polizei in der Gruppe aktiv waren, und sehen darin eine „rechtsstaatswidrige Tatprovokation“. Oder zumindest einen Grund für milde Strafen: „Es lief alles unter den Augen der Ermittler“, sagt Grassl. „Es war von Anfang an total ungefährlich.“

Martin Kohlmann als Wahlverteidiger

Andere Angeklagte scheinen dagegen jede Beteiligung leugnen zu wollen. „Absurd“ nennt Verteidiger Otmar Schaffarczyk die Vorwürfe gegen seinen Mandanten Michael H. Bemerkenswert allerdings: Der Alleinunterhalter aus Niedersachsen ist der einzige Angeklagte, der sich neben zwei Pflichtverteidigern auch noch einen Wahlverteidiger genommen hat. Und er wählte ausgerechnet Martin Kohlmann aus Chemnitz – den langjährigen rechtsextremen Aktivisten und Gründungsvorsitzenden der „Freien Sachsen“.

Auch von Elisabeth R., der mutmaßlichen Chefideologin, ist sicher kein Geständnis zu erwarten. An der Anklage stimme nur, dass die Seniorin nie Mitglied einer Telegram-Gruppe gewesen sei, sagt ihr Verteidiger Bernd Fiessler. „Ansonsten ist sie falsch.“ Eine Einlassung zum Anklagevorwurf habe er bislang aber leider „nicht ansatzweise“ vorbereiten können, bedauert der Jurist. „Die Kommunikation mit der Mandantschaft ist ein Riesenproblem.“ Elisabeth R. hebt auch bei diesen Sätzen nicht den Kopf.

Der Prozess wird sich bis ins kommende Jahr hinein ziehen. Mehr als 40 Verhandlungstage bis Januar 2024 sind bislang angesetzt.

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