Rezension

Von AfD-Vertreibungsfantasien und Aussteigern

Marcus Bensmann, Correctiv-Mitarbeiter, legt in seinem Buch „Niemand kann sagen, er hätte es nicht gewusst. Die ungeheuerlichen Pläne der AfD“ nicht nur Erkenntnisse zu den dort kursierenden Vertreibungsfantasien vor. Er geht auch auf Radikalisierungstendenzen und Russlandkontakte, TikTok-Nutzung und Spendenaffären ein.

Mittwoch, 10. Juli 2024
Armin Pfahl-Traughber
Teilnehmer einer AfD-Demonstration in Berlin
Teilnehmer einer AfD-Demonstration in Berlin

Im Januar 2024 veröffentlichte Correctiv ihre Recherche, welche mit der Bezeichnung „Geheimplan gegen Deutschland“ breit in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurden. Demnach hatten sich in einem Hotel diverse Personen getroffen, darunter auch einige AfD-Funktionäre, um ihren Gedanken über eine gegenüber Migranten eingeforderte Vertreibung nachzugehen. Mitunter bedienten sich in der Berichterstattung einige Medien auch einer dramatisierenden Wortwahl, welche Correctiv so gar nicht in ihrer Veröffentlichung genutzt hatte. Darin enthalten waren aber auch nicht die eigentlichen Aussagen zum dortigen Geschehen.

Jetzt legt Marcus Bensmann, seinerzeit zuständiger Correctiv-Mitarbeiter, dazu ein ganzes Buch vor: „Niemand kann sagen, er hätte es nicht gewusst. Die ungeheuerlichen Pläne der AfD.“ Darin finden sich nicht die seinerzeit gemeinten Aussagen im Originalton. Der Autor hat aber das gemacht, was er später in einem anderen Kontext empfiehlt: „genau lesen“. Und genau damit startet Bensmann das erste Kapitel.

Nicht nur zum „Geheimplan gegen Deutschland“

Anhand vieler anderer Aussagen von Björn Höcke über Maximilian Krah bis Martin Sellner zeigt er auf, dass die AfD offenkundig tatsächlich Migranten millionenfach vertreiben wollen würde. Krah meinte etwa 25 Millionen Menschen. Insofern braucht man mitunter gar keine Investigativ-Recherche, man muss nur die einschlägigen Bücher lesen. Bensmann beschränkt sich aber nicht nur auf diesen Fall, geht er doch in seiner Monographie auf ganz unterschiedliche Themenkomplexe ein.

Dies geschieht in lockerer journalistischer Form, mitunter ein wenig zu stark mit Betonungen, wobei diese dadurch keine geringere inhaltliche Berechtigung haben müssen. Und dann springt der Autor mit seinen zwölf Kapiteln ein wenig hin und her, sowohl bezogen auf thematische Gesichtspunkte, aber auch die zeitliche Sphäre. Leider werden nicht alle Informationen dezidiert nachgewiesen, findet sich doch zu jedem Kapitel weiter hinten nur ein Literaturverzeichnis. Gleichwohl verdient das Buch breiteres Interesse, legt es doch berechtigt immer wieder den Finger in die Wunde.

Kontakte zu diktatorischen Regimen

Dabei werden aktuelle und ältere Entwicklungen aufgegriffen und in einen inhaltlichen Kontext gestellt, wobei es konzentriert dann um kritikwürdige Besonderheiten der Partei geht. Da wird etwa die positive Einstellung gegenüber der Politik Putins kritisiert, ebenso die den Menschenrechten gegenüber dabei erfolgende Relativierung. Da geht es um die Beziehungen zu China, dem Iran und Syrien, alles diktatorische Regime und eben keine demokratischen Verfassungsstaaten. Es handelt sich zwar jeweils um Einzelpersonen, die aber von der Partei nur selten gemaßregelt werden. Bensmann ist hier bei der Kommentierung sogar recht zurückhaltend.

Danach geht es um die „Kaperung“ der Partei durch rechtsextremistische Netzwerke, womit die Auffassung von einem Entgrenzungsprozess im zeitlichen Verlauf vertreten wird. Beispielhaft zeigt dies das Agieren bestimmter Organisationen und Personen. Dann behandelt der Autor die „Identitäre Bewegung“ und die „TikTok“-Nutzung, jeweils immer wieder verbunden mit der Einflussstrategie der Neuen Rechten.

Plädoyer: „Gebt den Aussteigern aus der AfD eine Chance“

Mitunter erscheint der berechtigterweise konstatierte Radikalisierungsprozess aber zu eindimensional und geradlinig, etwa wenn es bei Björn Höcke um gegen drei Konkurrenten gerichtete „Streiche“ geht. In der Gesamtschau ist der beschriebene Prozess aber zutreffend dargestellt, auch und gerade hinsichtlich seiner letztendlichen Folgen für die Parteiorientierung. Am Buchende sind dann noch andere Fragen jeweils Thema, geht es doch etwa um Fehler der etablierten Parteien, aber auch um von ihnen erwartbare Gegenstrategien und Perspektiven.

Bensmann ist dabei kurz gehalten, aber inhaltlich treffend: „Westbindung gegen Russland“, „Geregelte Einwanderung versus Vertreibung“, „Die SPD muss zurück zur Kernwählerschaft“. Ganz zum Schluss plädiert er noch: „Gebt Aussteigern aus der AfD eine Chance“, eine Empfehlung aus unterschiedlichen Motiven. Die Gemeinten haben etwa über das Innenleben der Partei viel zu erzählen. Bilanzierend betrachtet steht das Buch für Einsteiger wie für Kenner für eine interessante Lektüre.

Marcus Bensmann; Niemand kann sagen, er hätte es nicht gewusst. Die ungeheuerlichen Pläne der AfD, Köln 2024 (Galiani Berlin), 255 Seiten

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