Vom „Witz“ zur Tat?

Zunehmend versuchen rechte Gruppierungen über menschenverachtende Humor im Netz junge Menschen anzusprechen. Der rassistische Terroranschlag in Neuseeland hat gezeigt, dass der Zynismus im Netz ein ernstes Problem ist.

Donnerstag, 25. April 2019
Fabian Jellonek

Die Facebook-Gruppe ist nicht öffentlich. Wenn die deutsche Jugend lacht, dann geht sie vorher ins digitale Kellergeschoss. Wer Einblick in die geschlossene Gruppe „Memeflak – Trve Autism“ hat, versteht schnell warum: Ein Großteil der hier geposteten „Witze“ sind justiziabel. Das Titelbild ist eine Montage aus dem Film „Amercian History X“. In der verwendeten Szene tritt ein Neonazi das Gesicht seines Opfers auf die Bordsteinkante. Die Macher der Gruppe haben das Gesicht des am Boden liegenden Schauspielers durch ein Foto des Fernsehmoderators Jan Böhmermann ersetzt. Es ist einer der harmloseren Posts in der Gruppe.

Die meisten der hier ausgetauschten Memes sind stramm antisemitisch. Viele leugnen den Holocaust, andere feiern ihn ab. Vom 15. März an werden zahlreiche Beiträge gepostet, in denen der Attentäter von Christchurch als Held dargestellt wird. Bis dahin tauchen vor allem zwei Personen in der Gruppe als Heldenfiguren auf: Adolf Hitler und Anders Breivik. Mitglieder der Gruppe verlinken auch auf andere Internetangebote, beispielsweise auf Ego-Shooter-Games, in denen der Spieler möglichst viele Homosexuelle, Juden oder Linke töten muss. 

Hitler und Breivik als Heldenfiguren

Die Gruppe zählt derzeit 340 Mitglieder. Viele von ihnen scheinen jünger als 30 zu sein, manche sind vielleicht noch nicht mal volljährig. Den „Humor“ der Gruppe teilt man parteiübergreifend. Julian B., Funktionär der neonazistischen Kleinstpartei „Der III. Weg“ ist Mitglied. Genauso wie die Aktivistin Raphaela H., die in der Vergangenheit an Propagandavideos der „Identitären Bewegung“ (IB) mitwirkte. Auch Robert M. ist mit dabei. M. sitzt als Beisitzer im Vorstand der „Jungen Alternative Mittelrhein-Westerwald“.

Aber neben zahlreichen Accounts mit tiefbrauner Biografie finden sich in der Gruppe auch Mitglieder, die ansonsten keine Bezüge zur rechten Szene zu erkennen geben. Das Profil eines jungen Mitglieds aus Frankfurt sieht aus, wie viele Profile junger Menschen: Fotos mit Freunden, Fotos mit ironisch übertriebener Inszenierung von Reichtum. Mit „Gefällt mir“ markiert der User ironische Facebook-Seiten, Fernsehstars und auch Jan Böhmermann, dem in der geschlossenen Gruppe im Meme-Format das Gesicht zertreten wird.

Ins Menschenverachtende übersteigerte Ironie

Humor, oder präziser Zynismus, scheint das Mittel der Stunde zu sein, mit dem rechte Organisationen über ihre Filterblase hinaus wirken. Im Szenejargon ist martialisch vom „Memekrieg“ die Rede. Mit Memes sind in dem Fall Bild-Text-Collagen gemeint. Die müssen nicht besonders ansehnlich gestaltet sein, um weite Verbreitung zu finden. Wichtiger sind Aspekte wie Ironie (im rechten Fall ins Zynische, Menschenverachtende übersteigert) und die möglichst harsche Verunglimpfung von Personen oder Organisationen, über die aktuell im Netz getextet wird. Außerdem wichtig: Das Zitieren aus dem inzwischen recht umfassenden Bild- und Wortschatz der rechten Netzkultur.  Diese wird auch als „Memekultur“ bezeichnet. Unabhängig vom konkreten Format gilt auch hier: Der Content muss nicht schön sein, wichtiger ist, dass er Reaktionen hervorruft, gerne auch Empörung oder Entsetzen. Schlagfertig soll alles wirken.

Bnr.de berichtete bereits über den Youtube-Kanal „Outdoor Illner“ von einem „Identitären“ aus dem Raum Trier, dem die rechte Netz-Szene das Prädikat vergibt, er verstehe die Memekultur. Inzwischen versuchen sich auch „Identitäre“ aus dem Ruhrgebiet im Feld „Humor“. Unter dem Namen „Ruhrpott Roulette“ produzieren Marius K. und Kai Alexander N. seit einigen Wochen YouTube-Videos. N. war zuvor in die Programmierung von Martin Sellners Herzensprojekt „Patriot Peer“ eingebunden. Auch unter seiner Mitarbeit ging die lange Zeit versprochene App nicht an den Start. Nun bemüht er sich mit so genannten Prank-Videos im Netz um Aufmerksamkeit. In der ersten Folge läuft er mit seinem Kompagnon durch die Stadt und erzählt Passanten ungefragt: „Ich bin rechts“. Verkauft wird das als krasse Aktion. Krass ist allenfalls, dass die beiden mit der Masche auch noch meinen, Kinder nerven zu müssen. Ihr erfolgreichstes Video wurde auf YouTube über 100.000 Mal angeschaut.

Rechter „Humor“ ist nicht harmlos

Natürlich sind solche Zahlen mit größter Vorsicht zu genießen. Sie können auch für wenig Geld in kurzer Zeit eingekauft werden. Dennoch zeigen die Fälle: Bei der Ansprache junger Menschen im Netz geht es derzeit wenig um politische Themen und Inhalte. Viele Menschen suchen auf YouTube und Co. nach Zerstreuung. Sie suchen Videos, die schocken und krasse Reaktionen provozieren. Die rechte Szene scheint das verstanden zu haben. Bedenklich ist dabei vor allem, dass mit der angeblichen Satire Schritt für Schritt Grenzen verschoben werden und im Falle der Facebook-Gruppe „Memeflak – trve autism“ selbst die Verherrlichung des Holocausts und rechten Terrors normalisiert wird.

Der Attentäter in Christchurch bewarb während seines brutalen Terrorakts einen YouTuber, der vom Disney-Konzern gefeuert wurde, weil er in seinen Prank-Videos antisemitische und menschenverachtende Parolen einbaute. In seinem Manifest berief er sich auf das Gedankengut der „Identitären Bewegung“. Rechter „Humor“ ist nicht harmlos. 

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