„Volksverräter“ und „Lügenpresse“
Wahrheit, Mitte, Freiheit – alles ganz normale Wörter. Oder etwa nicht? Die Rechten haben längst begonnen, unseren Wortschatz zu unterwandern. Sie wollen die Deutungshoheit gewinnen – und offenbaren dabei ihre eigenen Wahnvorstellungen.
Inzwischen kennt sie fast jeder: die berüchtigten „besorgten“ Bürger. Sie marschieren durch deutsche Städte und skandieren rechte Parolen – Neonazis wollen sie aber keine sein. Sie sind pauschal gegen Muslime und Araber, dennoch sehen sie sich selbst nicht als Rassisten. Ob auf der Straße oder im Internet: Sprüche, die vor kurzem noch als rechtsextrem galten, sind heute wieder salonfähig.
Nun hat ein Autorenteam im „Wörterbuch des besorgten Bürgers“ die Sprache der Rechten unter die Lupe genommen. Die Autoren stellen fest, dass AfD, Pegida und Co. die Diskussionskultur in Deutschland deutlich verschoben haben. Den Rechtspopulisten gehe es nicht um die Debatte, den Austausch von Argumenten. Vielmehr gelte für sie „Meinungsfreiheit statt Redefreiheit“, heißt es im Vorwort des kleinen Buches.
Nicht immer fallen die rechten Wutbürger dabei verbal mit der Tür ins Haus. Häufig verschleiern sie ihre Gesinnung mit „Umdeutungen, Erfindungen und rhetorischem Nebel“, wie das Buch zeigt.
Demokratie ohne Minderheitenschutz
Zum Beispiel, wenn es um das Demokratieverständnis der Besorgten geht: Sie werden – wie etwa die ehemalige Pegida-Frontfrau Tatjana Festerling – nicht müde, ihre Verbundenheit zur Demokratie zu beteuern. Sie reden „unablässig von Wahrheit und Demokratie, meinen damit allerdings ziemlich schräge Sachen“. Denn: Die Demokratie sei für den Besorgten „um alle Formen von Minderheitenschutz bereinigt“. Besorgte Bürger fänden ausschließlich die eigene Meinung legitim – sind sie doch überzeugt, für das gesamte „deutsche Volk“ zu sprechen. Im Wörterbuch heißt es dazu: „Die Besorgten selbst sehen sich als Volk und Mehrheit, auch wenn Wahlergebnisse etwas anderes nahelegen.“
Alle möglichen Begriffe in unserem Wortschatz, die auf den ersten Blick harmlos erscheinen, haben die neuen Rechten mittlerweile für sich besetzt: So beanspruchen die „besorgten“ Bürger etwa, die politische „Mitte“ zu sein. Das überrascht insofern, als viele ihrer Ideen – von der „Bürgerwehr“ bis zum „Schießbefehl“ – ziemlich extrem erscheinen. Allerdings steckt wohl eine Strategie dahinter: „Die besorgte Sprache bedient sich auch jener Begriffe, die üblicherweise zum liberalen oder demokratischen Sprachgebrauch gehören.“
Die Grenzen verschwimmen
Damit scheinen die Grenzen zur Rhetorik der Konservativen und Liberalen langsam zu verschwimmen: Während Pegida-Gründer Lutz Bachmann Geflüchtete offen als „Viehzeug“ verunglimpfte, sprach Wolfgang Schäuble (CDU) 2015 von einer menschlichen „Lawine“ – und verglich die Aufnahme schutzsuchender Menschen kurzerhand mit einer Naturkatastrophe. Die Leute am rechten Rand wird es gefreut haben, geht die Sprache der besorgten Bürger doch oft in die gleiche Richtung: Menschen, die vor Krieg und Gewalt fliehen, werden zu „Asylforderern“, „Rapefugees“ und „Invasoren“ – zu einer angeblichen Bedrohung für „Abendland“ und „Volksgemeinschaft“.
Vor allem Begriffe wie „Volksverräter“ und „Lügenpresse“ zeigen: „An einigen Stellen kippt die Rhetorik offen nach rechts“, schreiben die Herausgeber. Das stimmt. Wortschöpfungen wie „Umvolkung“ – ein Begriff, der es 2016 sogar auf den Twitter-Account der CDU-Bundespolitikerin Bettina Kudla schaffte – stehen in direkter Tradition der völkischen Bewegung der 1920er Jahre. Eine Zeit, in der sich der Nationalsozialismus noch in der Vorbereitungsphase befand.
„Sprache schafft Realität“
Zu zeigen, wie weit sich rechtsextreme Einstellungen schon in unserer Sprache festgesetzt haben, ist eines der Hauptverdienste des kleinen Buches, das wie ein Nachschlagewerk angelegt ist. Obwohl es oft bissig und witzig geschrieben ist, geht es weit darüber hinaus, sich nur über den beschränkten Horizont dumpfer Pegida-Mitläufer lustig zu machen. Das wäre zu einfach. Die Analyse geht tiefer: Sie zeigt die Gefahren auf, die von den besorgten Bürgern und ihrem rechten Vokabular ausgehen. Denn, wie die Herausgeber richtig feststellen: „Sprache schafft Realität.“
Robert Feustel, Nancy Grochol, Tobias Prüwer, Franziska Reif (Hrsg.), Wörterbuch des besorgten Bürgers, Mainz 2016, Ventil Verlag, 149 Seiten, 14 Euro; ISBN 978 3 95575 068 8.
Der Text erscheint mit freundlicher Genehmigung von vorwärts.de