Nikolai Nerling

„Volkslehrer“ entzieht sich Strafverfolgung

Die Liste der extrem rechten Akteure, die Deutschland den Rücken kehren und auswandern, ist womöglich um einen bekannten Namen reicher. In einem Video verkündete der als „Volkslehrer“ auftretende rechtsextreme Videoblogger Nikolai Nerling, dass sein Aufenthalt in Brasilien von längerer Dauer sein könnte. In Deutschland warten die Strafverfolgungsbehörden auf ihn.

Montag, 24. Januar 2022
Thomas Witzgall
Nikolai Nerling Brasilien

Zunächst sei es angeblich nur ein längerer Urlaub gewesen, der den früheren Berliner Grundschullehrer nach Brasilien geführt haben soll. Nun soll das Land seine temporäre neue Heimat werden. Der Grund ist recht profan: Bei einer Rückkehr droht Nikolai Nerling laut eigener Aussage ein Haftbefehl, dazu kämen weitere Verfahren und Strafzahlungen.

Der Grund für die freiheitsentziehende Maßnahmen ist aber wohl Nerlings geringstes Problem. Er hätte einen Strafbefehl wegen eines Verstoßes gegen das Infektionsschutzgesetz erhalten und diesem nicht widersprochen. Und aus der angedachten Geldstrafe sei wegen der Nichtbegleichung eine sogenannte Erzwingungshaft geworden. Soll heißen: Zahlt der Antisemit die Geldstrafe von nach seinen Angaben 150 Euro, wäre die Angelegenheit wohl erledigt. Vorerst. Aber er will nicht.

Mit Verfassungsbeschwerde gescheitert

Schwerer belasten dürften ihn die Geldstrafe aus seiner Verurteilung wegen seines Auftritts vor einer Schülergruppe in der KZ-Gedenkstätte Dachau aus dem Februar 2018. Das Urteil des Landgerichts München, 6.000 Euro (150 Tagessätze) ist seit längerer Zeit rechtskräftig, da die Revision dagegen verworfen worden war.

Alle bislang angerufenen Gerichte hatten in seiner Aussage vor den Jugendlichen eine strafbare Verharmlosung der Shoah und damit Volksverhetzung erkannt. Nun scheiterte Nerling auch mit einer Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht. Absolut letzter Strohhalm für den Videoblogger ist nun der Gang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Aber auch hier stehen die Chancen schlecht, wie er in dem Video selbst einräumt, aber nicht wie er meint, weil die Europäische Union Holocaustleugnung via Resolution nun stärker verurteilen wolle.

Offene Verfahren

Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union kennt in Artikel 54 eine klare Klausel, um Missbrauch der Rechte auszuschließen. Wer ein in der Charta niedergelegtes Recht – im Fall von Nerling die Meinungsfreiheit – nutzen will, um andere Rechte abzuschaffen oder einzuschränken, kann sich nicht auf die Erklärung berufen. Deshalb waren Klagen von Antisemiten und Rassisten vor dem Gerichthof im Straßburg eher selten von Erfolg gekrönt.

Zusätzlich zur Geldstrafe warten nach Prozessende auf Nerling auch noch Gerichtskosten.
Dann gibt es zusätzlich laut seiner Auskunft noch offene Geldforderungen von über 1000 Euro wegen nicht gezahlter Rundfunkbeiträge, die der Videoblogger ebenfalls aus politischen Gründen verweigert. Zudem berichtet er noch von zwei offenen Verfahren. Anzeigen gegen ihn soll es auch für sein Video über die verstorbene Esther Bejarano geben.

Wiedereinreise nur mit Impfung

Das alles führte zu dem Entschluss, seine Videos zumindest vorerst von Brasilien aus drehen zu wollen, statt in Deutschland mit mehreren juristischen Auseinandersetzungen konfrontiert zu werden. Getrübt wird seine Aussicht auf ein Leben in dem südamerikanischen Land von aktuellen coronabedingten Beschränkungen. Aus einer Reise nach Paraguay wird nichts. Das Land verlange nun bei Einreise eine Impfung gegen Covid. Und auch bei einer Wiedereinreise würde Brasilien einen Nachweis verlangen – Nerling ist laut Eigenaussage ungeimpft.

Über die Verschärfungen der Regeln hatte jüngst auch die Deutsche Welle berichtet. Gerade Paraguay sei seit 2015 zum „Mekka für Demokratiefeinde und Verschwörungstheoretiker aus Deutschland“ geworden. Deutsche stellen dort nach Menschen aus Brasilien oder Argentinien die drittgrößte Einwanderergruppe. Ein politisch eher linksliberales Pärchen, das sich vor Ort für den Umweltschutz einsetzt, berichtete dem Sender von verschiedenen Wellen. Zuerst seien es Reichsbürger gewesen, seit Corona nun auch „sehr viele Heilpraktiker, Wunderheiler und rechte Impfgegner.“

Paraguay, Philippinen, Türkei

Das Paar berichtet auch von zunehmenden Bedrohungen. Die politisch rechten Aktivisten würden mit wildesten Versprechungen Gleichgesinnte anlocken. Die Realität schaue aber gerade für Pandemieleugner dort längst anders aus, etwa Maskenpflicht in Innenräumen und drakonische Strafen weit über dem deutschen Niveau. Und während Deutsche wegen der Ablehnung der Impfung ins Land kämen, warten Einheimische laut Artikel sehnsüchtig auf Impftermine im von Corona gebeutelten Land.

Ins Ausland abgesetzt hatten sich zum Schutz vor Strafverfolgung etwa Attila Hildmann, wohl gewarnt durch einen Maulwurf in der Justiz. Ein anderer Einpeitscher, der Verschwörungsideologe und Qanon-Anhänger, Oliver Janich, lebt seit Längerem auf den Philippinen. Auch auf ihn dürften in Deutschland einige Verfahren warten. Er hatte am Tag der Amtseinführung des neuen US-Präsidenten auf seinem Telegram-Kanal gefordert: „Hängt Biden. Hängt Soros. Hängt sie alle, verdammt nochmal.“

Ebenfalls im Januar 2021 fand Janich, alle Bundestagsabgeordneten, die für eine bestimmte Verfassungsänderung stimmen würden, sollten hingerichtet werden. Anlass für die Forderung war die gemeldete Einigung von Union und SPD, Kinderrechte in das Grundgesetz aufzunehmen. Auch im Dezember 2021 wollte er alle Regierungsmitglieder standrechtlich hingerichtet wissen.

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