Völkische Erziehung

In den Reihen des „Sturmvogels − Deutscher Jugendbund“ finden sich bekannte Familiennamen der Szene – der Nachwuchs trifft sich in regionalen „Lagern“, man ist um gemäßigte Außenwirkung bemüht.

Donnerstag, 07. Januar 2010
Andrea Röpke/Andreas Speit

Es ist Mittagszeit in der Jugendfreizeitstätte Recknitzberg im Landkreis Bad Doberan. Ein bellender Schäferhund bewacht das an einer Sackgasse gelegene Gebäudeensemble inmitten von Wald und Feldern. Rund 40 Jugendliche und Kinder aus dem Raum Hamburg, Winsen/Luhe, Plön und Nordwestmecklenburg sind kurz nach Weihnachten Ende Dezember 2009 angereist, um für einige Tage ihr „Winterlager“ in Mecklenburg-Vorpommern zu verbringen.

Politische Arbeit unter dem Deckmantel Familie und Brauchtum

Sie gehören dem „Sturmvogel − Deutscher Jugendbund“ an und tragen lange Röcke, Zimmermannshosen und Jungenschaftsjacken, dazu grüne Fahrtenhemden mit dem schwarzen Vogelsymbol vor schwarz-weiß-rotem Hintergrund auf dem Ärmel. Wenige Jugendliche sind für die Kleinen zuständig. Sie fühlen sich ungestört, scheinen aber, wie andere kleine Jugendbünde aus dem völkisch-nationalen Lager, seit dem Verbot der neonazistischen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) aufgeschreckt und argwöhnisch. Im Visier der Behörden sind sie bundesweit nicht. Doch Journalisten gelten als feindlich, Fragen werden nicht beantwortet, in szeneüblicher „Notfall“-Manier wird stattdessen sofort versucht, die Kamera zu entreißen. Ganz so harmlos und unpolitisch wie der „Sturmvogel“ sich nach außen darzustellen versucht, mag er nicht sein.

In seinen Reihen finden sich seit der Gründung immer wieder bekannte Familiennamen der Szene. Viele der rund 200 bundesweiten Anhänger haben durch Familie und Verheiratungen Kontakte von bündischen Gruppen bis hin zu ehemaligen Akteuren der verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“, von der NPD bis ins öko-neuheidnische Spektrum. Sie sind eng vernetzt, politische Arbeit wird unter dem Deckmantel Familie und Brauchtum getarnt.

Jungen- und Mädchenarbeit „grundsätzlich getrennt“

1987 hatten sich Mitglieder der militanten „Wiking-Jugend“ unter Führung von Rudi Wittig abgespalten und den „Arbeitskreis Junger Familien“ gegründet. Auch sie waren „volkstreu eingestellte Deutsche“, die Kameradschaft von Kindern und Jugendlichen im Alter von drei bis 18 Jahren fördern und Eltern bei der Erziehung zur Seite stehen wollten. Schulungen, Lager und Fahrten in regionalen kleinen Gruppen standen auf dem Programm. So genannte Horste wurden vor allem in Bad Oeynhausen, Bad Soden, Berlin, Ebenhausen, Garding, Hamburg, Köln, München, Siegburg, Rheinbach, Toppenstedt und Wölfersheim aktiv. Wie bei der „Wiking-Jugend“ blieb auch die Jungen- und Mädchenarbeit „grundsätzlich getrennt“. Eine Vereinsregistereintragung war nicht vorgesehen, durch das „Edlen-Wahlrecht“ sollten nur die Horstführungen die Bundesführung bestimmen.

Sie sind angetreten, um das „große deutsche Kulturerbe“ zu bewahren, schreiben in Runen, geben den Monaten germanische Namen und begrüßen sich mit „Heil“, ansonsten werden harte Parolen vermieden. Ihre Zelte sind schwarz und heißen Jurten. Sie verehren Hermann Löns, wie auch die verbotenen Organisationen „Wiking-Jugend“ und „Heimattreue Deutsche Jugend“, und halten wie sie Kletterübungen und Sonnwendfeiern ab. Immer sind die „Sturmvögel“ um gemäßigte Außenwirkung bemüht. Kinder und Jugendliche sollen sich nebenher gezielt beim Roten Kreuz oder in Feuerwehren engagieren, heißt es intern.

Doch unter den Aktivisten tauchten in der Vergangenheit auch Namen wie die langjährige NPD-Aktivistin Edda Schmidt aus Bisingen auf. Schmidt ist heute mehrfache Großmutter und Chefin der Partei-Unterorganisation „Ring Nationaler Frauen“  (RNF).

Aggressiv auftretender „Sturmvogel“-Anhänger will Journalisten den Weg versperren

Ein erstes „Sturmvogel“-Lager fand auf dem Gelände der in extrem rechten hessischen Kreisen sehr bekannten Familie Godenau in Sebbeterode statt. Roy Godenau ist heute stellvertretender Kreisvorsitzender der NPD in Nordhessen. Seine Frau Ingeborg wurde als Lehrerin aufgrund ihrer politischen Tätigkeit von den Behörden beobachtet. Die Kinder nahmen schon früh an völkischen Lagern teil. Eine der Töchter lebt heute mit der eigenen Familie im Landkreis Nordwestmecklenburg. Deren Familienfahrzeug nutzte ein aggressiv auftretender junger Anhänger des „Sturmvogel“ in Recknitzberg bei dem Versuch, Journalisten den Weg zu versperren.

Auch Rudi Wittig, der erste Bundesführer des „Sturmvogels“, lebt heute in Nordwestmecklenburg. Seine Verwandten scheinen in alle Landesteile verstreut. Eine Nichte ist mit einem NPD-Kreisvorsitzenden verheiratet, die Kinder besuchten HDJ-Lager, andere Verwandte scheinen im „Sturmvogel“-Spektrum aktiv. Vor Jahren warb Wittig dafür, ein „geeignetes Grundstück beziehungsweise Haus/Schloss/Burg in zentraler Lage Deutschlands“ für ein „Bundeszentrum“ der Gruppe zu suchen.

Lieder-CD mit 15 „Volks- und Fahrtenliedern“ im „Antiquariat Curiosum“

Von der Organisation wurde in den letzten Jahren wenig wahrgenommen. Ihre Schriften werden nur in vertraute Hände gereicht, Aktivisten tragen Tarnnamen, Amtsträger werden nicht offen benannt. Auch Wittig arbeitet zurückgezogen. Vom Gut Goldebee, in der Nähe von Wismar aus, betreibt er sein „Antiquariat Curiosum“. Im Angebot: Eine Lieder-CD mit 15 „Volks- und Fahrtenliedern“ des „Sturmvogels“. Wohl aufgenommen beim Godenau-Nachwuchs im Umland. Wittig vertreibt auch ein aktuelles Buch über den historischen „Wehrwolf“, verlegt in Toppenstedt, vertrieben unter anderem durch den Pommerschen Buchdienst der NPD in Anklam.

Man kennt sich. In Toppenstedt residiert der Berg-Clan. Großvater Uwe Berg stand früher dem im Oktober vergangenen Jahres verstorbenen Hamburger Rechtsanwalt und Neonazi Jürgen Rieger und seinen Organisationen nahe. Er belieferte die Himmler-Tochter mit Büchern und NS-Accessoires oder sprach von seiner großen Kinderschar als „eigenem Lebensborn“. In seinem renovierten Fachwerkhaus lagern einschlägige Bücher bis unters Dach, darunter rassistische Werke von Autoren wie Hans F.K. Günther („Der nordische Gedanke“) oder Ludwig Fahrenkrogs „Das Deutsche Reich“.

Seit 1987 existiert in Toppenstedt im niedersächsischen Landkreis Winsen-Luhe ein „Horst“ des „Sturmvogels“. Markus Eickhoff aus Wulfsen ist verantwortlich für Spenden und die Homepage. Aus seiner Region beteiligten sich Anhänger am aktuellen Winterlager in Recknitzberg.

Bei eisiger Kälte eilten am 1. Januar dieses Jahres Eltern mit ihren Kleinbussen heran, um die Kinder des „Sturmvogel“-Lagers abzuholen. Mit dabei: „Heimattreue“ aus Plön, die bereits 2007 am HDJ-Lager in Dratum-Ausbergen teilgenommen hatten. Einige Kinder aus dem Umfeld des ehemaligen „Sturmvogel“-Bundesführers Wittig haben es an diesem frostigen Tag nicht weit, ihre Familien haben sich inzwischen in der Region angesiedelt. Elmar Mehldau, Herr auf Gut Goldebee und damit Nachbar von Wittig, war vor langen Jahren Herausgeber des „Sturmboten“ − heute will er dem „Sturmvogel“ nicht mehr angehören, wie er gegenüber diversen Medien bekräftigte. Mehldau engagiert sich jetzt für die Gemeinde Benz als deren ehrenamtlicher engagierter Bürger.

„Heimattreue“ aus Plön beim Winterlager mit dabei

Auch Rudi Wittig hat Karriere gemacht: der Antiquariatsbetreiber fungiert als Regionalbeauftragter der „DHV − Die Berufsgewerkschaft“, einem nicht ganz unumstrittenen, mitgliederstarken Verband, der aus dem „Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verband“ hervorgegangen sein soll und in der Vergangenheit mit der völkisch-antisemitischen Angestellten-Gewerkschaft in Verbindung gebracht wurde. Wittigs sehr konservative Gewerkschaft gilt bei der IG Metall und dem DGB eher als „Erfüllungsgehilfe der Arbeitgeber“, auch von „Scheingewerkschaft“ ist in diesem Metier die Rede.

Das Innenministerium in Schwerin räumte nun laut „Ostsee-Zeitung“ ein, man werde den „Sturmvogel“ jetzt wohl überprüfen müssen. Immerhin war er bundesweit bisher nicht Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes.

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