Völkisches Jugendlager

Völkisches Zeltlager auf dem Immenhof

Erst trafen sich dort Reichsideologen und Familienlandsitz-Anhänger, die ein Dorf gründen wollen, jetzt findet auf dem Gelände ein Sturmvogel-Lager statt.

Freitag, 05. August 2022
Andrea Röpke
Blick in das Lager (c) isso.media
Blick in das Lager (c) isso.media

Die vier Mädchen in den Uniformen singen deutsches Liedgut, lächeln den Passanten freundlich zu, die spenden. Sie ständen in der Tradition des historischen Wandervogels und kämen aus Kiel, Rostock, Uelzen und Leipzig, berichteten die zünftig gekleideten Teenager. Dass sie zu einem rechtsextremen Bund gehören, verschwiegen sie. Der Sturmvogel-Deutscher Jugendbund ist eine Abspaltung der 1994 verbotenen Wiking-Jugend (WJ) und viele völkisch-gesinnte Rechtsextreme wurden in diesem, 1987 in Lippoldsberg von NPD-Urgestein Edda Schmidt mitgegründeten Bund, politisch sozialisiert. Eine ihrer Enkelinnen aus Uelzen ist unter den trällernden, vermeintlichen Wandervögeln in Lüneburg.

Der Potsdamer Politikwissenschaftler Gideon Botsch weist darauf hin, dass diverse völkische Gruppierungen das historisch verklärte und durchaus auch romantisierte Label „Wandervogel“ nutzen, um sich einen unpolitischen Anstrich zu verleihen. Dass die Sturmvögel öffentlich in ihrer Uniform auftreten, spricht für ein wachsendes Selbstbewusstsein in aufgeheizten politischen Zeiten.

Zeitgleich findet seit letztem Wochenende keine 40 Kilometer entfernt ein Sturmvogel-Sommerlager statt. Abgelegen und versteckt zwar, doch auf einem Areal, das zurzeit die öffentlichen Gemüter erregt. Etwa 40 junge Menschen des Sturmvogel-Deutscher Jugendbund halten sich auf dem „Immenhof“ auf. 

Der Leiter des jetzigen "Sturmvogel-Lagers" Wolfhard F. inmitten der uniformierten Kinder (c) isso.media
Der Leiter des jetzigen "Sturmvogel-Lagers" Wolfhard F. inmitten der uniformierten Kinder (c) isso.media

Ausgerechnet auf dem Skandal umwitterten Gelände im Bispinger Ortsteil Hützel haben sie ihr „Sommerlager“ für die Kleinen errichtet. Genau dort, wo Ende Juni Corona-LeugnerInnen, ReichsideologInnen und Anhänger der russischen Anastasia- Siedlungsidee sich tagelang trafen, stehen jetzt eine große schwarze Jurte und mehrere kleine Kohten. Ein hölzerner Fahnenmast trägt die Sturmvogel-Fahne in den Farben schwarz-weiß-rot. Das über 40 Hektar große Anwesen ist von Wald und Hecken verdeckt, eine Schranke versperrt den Zutritt über eine Nebenstraße. Neugierige sollen ferngehalten werden und doch zeugt das Verhalten von Trotz.

"Die Kinder sehen so besonders blond aus", berichten Einheimische

Unweit des „Immenhof“, in Dorfmark, hielt der antisemitische „Bund für Gotterkenntnis – Ludendorff“ jahrelang seine Ostertreffen ab. Der Leiter des jetzigen Sturmvogel-Lagers in Hützel, Wolfhard F. verfügt über Kontakt zu den „Ludendorffern“. So begrüßte er bei Brauchtumsfeiern in deren Haus im brandenburgischen Kirchmöser die ankommenden Gäste. Der Vater von Wolfhard F. gehörte gemeinsam mit Jens G. zum Deutsch Wandervogel, einem Bund, der als besonders militäraffin galt. Gegen Vater F., Jens G. und weitere Reservesoldaten ermittelt die Staatsanwaltschaft Lüneburg wegen des Verdachts auf Bildung einer kriminellen Untergrundgruppe.

„Der Fröhlichkeit die Türen auf“, das obligatorische, selbstgebastelte Lagerschild mit dem Motto in Frakturschrift ist dieses Mal in Richtung Wald gerichtet, also von der Straße abgewendet. Vier Autos stehen versteckt, von einem sind die Kennzeichen abmontiert. Sie kommen unter anderem aus Lüneburg. Blaue Trinkwassertanks sind auf einem Anhänger zu sehen, selbstgebaute Duschen. Zwei kleine Jungen mit Scheitelfrisuren schießen mit Pfeil und Bogen. Einheimische berichten von den Uniformierten: „Die Kinder sehen so besonders blond aus. Die fallen auf, irgendwie urdeutsch.“

Wolfhard F., der mitverantwortlich für das Lager auftritt, wurde 2018 als Teilnehmer der ungarischen Neonazi-Leistungsmärsche aufgelistet. Er übernahm das Auto eines Rechtsextremen aus Ludwigslust, das jetzt auf dem Immenhof-Gelände parkt. Ihm zur Seite steht eine junge Frau, die aus einer „Sippe“ der Neo-Artamanen in Koppelow stammt und bei den Feierlichkeiten zum 30-jährigen Bestehen des Bundes in Cossen dabei war. Ihre Brüder sind dem Bund entwachsen und inzwischen bei der Identitären Bewegung aktiv.

Bereits Kinder wähnen sich im Widerstand "gegen das System"  

Es sind nicht einfach altmodisch gekleidete, rückwärtsgewandte junge Leute, die da in Hützel das Zeltcamp durchführen. Seit 1945 existieren in der Bundesrepublik Inseln des Deutschtums, die bereits die Kinder als weiße Elite heranziehen. Bünde wie der Sturmvogel geben seit Jahrzehnten rechtsextremes Kulturgut ungehindert an die nächsten Generationen weiter. Von klein auf sind betroffene Kinder dazu bestimmt, das kulturelle Erbe deutschen Volkstums zu wahren. 

Bei der „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) wurde es sehr deutlich, im „Funkenflug“ wurde die „vorherrschende lebenswidrige Utopie der Gleichheit“ kritisiert. Wie die Großen wähnen sich bereit Kinder völkischer „Sippen“ im „Widerstand gegen das System“. Nach außen aber treten sie brav und angepasst auf. Doch immer wieder fallen Jugendliche dieser akademisch geprägten Familienverbände und Bünde mit politischen Statements in ihrem Umfeld auf. Sie weigern sich, während der Pandemie Masken zu tragen und bringen einen Regional-Zug in Niedersachsen zum Stillstand oder schmücken ihren Schulaccount mit einer Reichsfahne. 

Lager mit Uniformen und uniformem Denken (c) isso.media
Lager mit Uniformen und uniformem Denken (c) isso.media

Die Polizei soll seit Beginn des Lagers am letzten Wochenende schon mehrmals vor Ort gewesen sein. Einmal parkt ein Einsatzfahrzeug vor der Schranke, es fährt nach wenigen Minuten wieder. Der Sturmvogel steht seit zwei Jahren im jährlichen Verfassungsschutzbericht des Landes Niedersachsen – auf großes Interesse der Behörden stößt das Lager dennoch nicht. Ein Sprecher der Polizeidirektion Heidekreis lässt verlauten, dass bei einer Überprüfung ganz sicher keine verbotenen Aktivitäten oder Symbole festgestellt werden konnten.

"...es klangt nach Hitlerjugend"

Doch nach den Verboten von paramilitärischer Wiking-Jugend und HJ-ähnlicher HDJ sollte klar sein, dass die Aktivitäten dieses Bundes gegen die Demokratie ausgerichtet sind. Bereits Kleinkinder werden ideologisch geschult. Das biologistische Weltbild hinter Bünden wie dem Sturmvogel wird bei einem kurzen Blick deutlich: Kleine und ältere Mädchen, allesamt mit Zöpfen und Röcken, die kochen oder Geschirr wegräumen. Jungen, die miteinander balgen oder mit Holz werkeln. 2019 beim Pfingstlager des Sturmvogel im sächsischen Spechtshausen fielen Anwohner insbesondere die „gruseligen“ Gesänge am Abend auf. „Es klang nach Hitlerjugend und viel deutschem Pathos“, erinnerte sich einer. 

Sturmvogel-Fahrzeuge passieren die Schranke vom Immenhof. An einem Nachmittag erscheint ein Vertrauter des bisherigen Immenhof-Eigentümers.  Der Mann mit dem schwarzen Rauschebart kommt mit dem Quad herbeigefahren, Zigarette im Mund. Er unterhält sich mit uniformierten Jungen. Auf dem Immenhofgelände sind mehrere Firmen des Noch-Eigentümers Helmut Bierwirth angemeldet. Es geht dabei um Wasser, Wasserquellen, Brunnenrechte und Vermarktung. Doch Kaufmann Bierwirth, von dem die Süddeutsche schrieb, er habe mit einem berüchtigten Hamburger Clan zu tun und sei vorbestraft, hat Schulden. Daher steht das Immenhof-Gelände zum 5. Mal zur Versteigerung. Michaela B. aus Hamburg-Blankenese bot zuletzt 5,5 Millionen vor dem Amtsgericht in Soltau. Doch rechtsgültig wurde der Akt nicht. Ein neuer Termin ist für den 31. August anberaumt.  

Schon mehrfach stand das mit zahlreichen nutzbaren Gebäuden und vielen Ruinen ausgestattete Gelände vor einem Eigentümer-Tausch, bislang wurde nichts daraus. Seit den 1990ern gehört es offiziell Bierwirth. Ab 1933 wurde es von der Hitler-Jugend zur Schulung und Wehrertüchtigung genutzt, nach 1945 gehörte es bis zum Verkauf der AWO. „Ein Nazi-Grundstück“ soll es nicht werden, betonte Michaela B. gegenüber Journalisten, sie und „ihre Geldgeber“ würden Wasser fördern und wollten dann ein Gesundheitszentrum oder ähnliches errichten, sagte die Frau, die ihren Beruf als „Coach“ angibt. 

Spannend auch die Frage, wie genau sieht der Kontakt zwischen Immenhofbetreibern und Völkischen aus?  Die Jugendlichen oder ihre Eltern hätten „nach der Möglichkeit eines Ferienaufenthalts“ angefragt, behauptete Bierwirth gegenüber der „Böhme-Zeitung“. Das jetzige Zeltlager habe „keinerlei politischen Hintergrund“, betont der über 80-Jährige. So sieht es wohl auch sein Mitarbeiter, der ganz lässig mit dem Quad vorgefahren ist.  Im Juni hatte er den siedlungswilligen Reichsbürgern das Gelände gezeigt, sie herumgeführt. Nun fährt er zum Smalltalk mit dem Sturmvogel. 

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