Völkische weichen nach Thüringen aus

Die antisemitischen Ludendorffer weiten ihre Aktivitäten im Brauchtumsbereich aus. Eigene Räumlichkeiten reichen dafür nicht mehr.

Mittwoch, 12. Oktober 2022
Andrea Röpke
Der Gasthof im thüringischen Marlishausen, wo die Ludendorffer ihre Veranstaltung durchführen konnten. Foto: isso.media
Der Gasthof im thüringischen Marlishausen, wo die Ludendorffer ihre Veranstaltung durchführen konnten. Foto: isso.media

Der Herbstball der Ludendorffer war für den 8. „Gilbhard“ (Oktober) in Kirchberg an der Jagst (Baden-Württemberg) geplant. Ähnlich wie beim völkischen Tanz in den Mai im nahen Hüttlingen sollte dafür sogar eine regionale Stadthalle angemietet werden. Dazu kam es nicht, weil anscheinend die Vorlage eines Ausweises für die Anmeldung verweigert wurde. Auf Widerstand stießen die Mitglieder des antisemitischen „Bund für Gotterkenntnis-Ludendorff“ im Landkreis Schwäbisch Hall lange nicht. Seit 1972 trifft sich die Anhängerschaft der Mathilde Ludendorff im eigenen Domizil, dem „Jugendheim Hohenlohe“ in Herboldshausen.

Dort finden Recherchen des Journalisten Timo Büchner zufolge nicht nur eigene, sondern auch Veranstaltungen anderer neu-rechter und rassistischer Organisationen statt. Im Juni 2022 hatten erstmals 220 AntifaschistInnen gegen die Ludendorff-Sekte in Herboldshausen demonstriert und auf die neonazistische Vernetzung in der Region hingewiesen. Nicht nur Büchner betrachtet das geräumige Bauernhaus mit Anwesen im Dorf als politischen „Knotenpunkt“ in Baden-Württemberg. Daher sollte auch die größere „Festhalle“ in Kirchberg für den Herbsttanz angemietet werden. Doch die wurde aufgekündigt, nachdem die Behörden vom politischen Hintergrund der Veranstaltung in Kenntnis gesetzt worden waren. Das alljährliche Brauchtumsevent musste kurzfristig von den Organisatoren nach Thüringen verlegt werden.

Bekannter Szene-Treff

Die „Volkstanzfreunde“ wichen an keinen unbekannten Ort aus: Der Gasthof von Fabian Rimbach in Marlishausen bei Arnstadt gilt längst als vielfältiger Szene-Treff. Am letzten Samstag reisten mindestens 30, zum Teil voll besetzte Fahrzeuge mit überwiegend jungen Leuten und Kindern u.a. aus Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz, Brandenburg, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt an. Nicht alle der Anreisenden schienen mit Volkstanz vertraut, es schien eine eher offene, für Szeneinteressierte angedachte Veranstaltung zu sein.

Mehrere TeilnehmerInnen kamen aus Berlin wie Alrik D., der für den Einlass in Marlishausen sorgte. D. entstammt einer Ludendorff-„Sippe“, studierte an der Bergbauuniversität in Freiberg. Bekanntester Gast des Herbsttanzes war der neonazistische Blogger Nikolai Nerling, der seit längerem die Nähe zu dieser Organisation sucht. Es reisten AnhängerInnen der Identitären Bewegung aus Schwaben an sowie aus dem völkischen Kreis des Sturmvogel-Deutscher Jugendbund. Mit dabei auch eine Frau aus Brandenburg, die mehrmals an den Schetinin-Seminaren der ISKA Akademie im niedersächsischen Lüsche teilgenommen hatte. Mit Familie erschien die langjährige Ludendorff-Organisatorin Ingrid B. aus dem Saarland, die in Einladungen namentlich benannt wird. B. ist nebenher auch als Leiterin von Kinderfreizeiten des NABU-Nachwuchses in Zweibrücken tätig. Herbsttanz-Teilnehmer Gerfried Soyka zählte zu den Älteren – auch er entstammt einer bekannten Ludendorff-Familie. In Oberösterreich war Soyka als Lokalpolitiker der FPÖ tätig.

Kulturkampf

Fabian Rimbach betreibt nicht nur den Landgasthof am alten Bahnhof in Marlishausen, er braut zudem Bier, tritt für AfD als „sachkundiger Bürger“ an und nahm die szeneinterne Laienspielgruppe „Friedrich Schiller“ bei sich auf, als die 2018 für ihr „Tell“-Stück in Bischofswerda probten. Rimbach führte die „Schlesische Jugend“ als Bundesvorsitzender an. Dennoch findet seine Immobilie im aktuellen Verfassungsschutzbericht Thüringens als rechtsextremer Szenetreffpunkt keine Erwähnung mehr. Dabei fand dort noch im Juli 2022 ein „Lesertreffen“ der „Deutschen Warte“ statt, an dem u.a. Axel Schlimper von der mittlerweile aufgelösten Europäischen Aktion, diverse NPD-Mitglieder und eine Frau aus der Kerngruppe des Anastasia-Landsitzes „Weda Elysia“ teilnahmen. Im April 2022 fand der Bundesparteitag der NPD-Jugendorganisation „Junge Nationalisten“ in dem Lokal statt, wie Fotos von Recherche Nord belegen.

Ähnlich wie am Ludendorff-Standort im brandenburgischen Kirchmöser bemühen sich die „Gottgläubigen“ um personellen Zulauf. Deren Kulturkampf wird über Volkstanz-, und Musik als identitätsstiftendes Merkmal geführt. Ebenso wie einige extrem rechte Bünde und völkische Organisationen treten auch die Ludendorffer offensiver auf, über vermeintlich harmloses Brauchtum scheuen sie weniger die Öffentlichkeit. Als Motto für die Einladung zum Herbsttanz wurde ausgerechnet ein dem 1914 von einem Nazi in Paris ermordeten Sozialisten Jean Jaurès zugeschriebenes Bonmot verwendet: „Tradition ist die Bewahrung des Feuers, nicht die Anbetung der Asche“. Und mit einem abgewandelten Zitat von Victor Hugo heißt es weiter: „Der Tanz drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist“. Entwendete Worte, die dazu dienen, einem innigen elitären Volksgefühl unauffällig Ausdruck zu verleihen.

„Radikal antisemitisches und antichristliches völkisch-religiöses Deutungssystem“

Die selbsternannte Religionsgemeinschaft basiert auf der von Mathilde Ludendorff im Laufe der 1920er Jahre begründete ideologischen Grundlage, der „Deutschen Gotterkenntnis“. Ihr Ehemann, der General des Ersten Weltkriegs und Erfinder der Dolchstoß-Legende, Erich Ludendorff, sah in der „Deutschen Gotterkenntnis“ das „größte Geschenk“ an die Menschheit und die „größte Revolution, die die Welt seit Jahrtausenden, ja je erlebt“ habe, schreibt Journalist Büchner in einem umfassenden Artikel für die Boell-Stiftung in Baden-Württemberg.

Die Historikerin Annika Spilker dagegen hält diese Ideologie für ein „radikal antisemitisches und antichristliches völkisch-religiöses Deutungssystem“. Spilker promovierte zur Biographie und Ideologie Mathilde Ludendorffs. Die fanatische Ärztin war der Ansicht, jede „Rasse“ besitze die Fähigkeit zum „ureigenen Gotterleben“. Allerdings stünden die „Edelrassen“ der Gotterkenntnis näher. Während des Nationalsozialismus überwarfen sich die Ludendorffs mit Hitler, dennoch blieb die „Gotterkenntnis“ als Religion geduldet. Nach 1945 war der Bund zunächst von den Alliierten verboten, bildete sich jedoch schnell wieder. Als das Ludendorff-Netzwerk 1961 durch das bayerische Innenministerium verboten wurde, bestand es, Recherchen von Büchner zufolge, aus knapp 4.000 Mitgliedern. 1976 hob das Bundesverwaltungsgericht das Verbot aufgrund von Verfahrensfehlern auf.
 
Neben dem Jugendheim Hohenlohe betreibt eine Seminar- und Ferienhof GmbH von Anhängern den Hof Märkische Heide in Kirchmöser bei Brandenburg. Beide Immobilien dienen vor allem dem völkischen und rechtsbündischen Nachwuchs als kulturelle Begegnungsstätte, aber auch NPD-Jugend und Identitäre Bewegung sind anzutreffen.

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