Völkische und die AfD
Die Frage, warum der AfD-Politiker Andreas Kalbitz 2007 tatsächlich an einem Kinder- und Jugendlager der rechtsextremistischen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) teilnahm, beschäftigt die Medien vor den kommenden Landtagswahlen. Der braune Verein stellte eine verschworene Gemeinschaft dar, die trotz Verbots bis heute besteht.
2018 veröffentlichte der „blick nach rechts“ die Meldung, dass der Spitzenkandidat der brandenburgischen „Alternative für Deutschland“, Andreas Kalbitz, zwei Jahre vor demVerbot der rechtsextremistischen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) an einem mehrtägigen Pfingstlager im niedersächsischen Eschede teilgenommen hatte. Diese Nachricht, die sich schnell verbreitete, schadete dem Aufstieg des einflussreichen Drahtziehers des völkischen AfD-„Flügel“ nicht. Kalbitz redete sich in der Öffentlichkeit heraus, er sei nur „als Gast“ bei der hochkonspirativen Erziehungstruppe dabei gewesen oder es habe sich ausschließlich um einen „Informationsbesuch“ gehandelt. Ihm sei zudem nicht klar gewesen, dass der Verein vom Verfassungsschutz als extremistisch eingestuft worden sei.
Neugierig auf die HDJ?
Diese Aussagen erscheinen wenig glaubwürdig, denn dem ehemaligen Münchener, der sich damals schon seit Jahren in rechtsextremen und revanchistischen Kreisen tummelte, dürfte kaum entgangen sein, dass ein Jahr zuvor, im Sommer 2006, heimlich aufgenommene Lagerbilder der HDJ mit „Führerbunker“-Schild und Kindern in Uniformen sowie Aufnahmen der Verfolgungsjagd eines „Gauführers“ der „Heimattreuen“ in den Medien hoch und runter liefen. Die Öffentlichkeit reagierte entsetzt, die HDJ wurde Thema. Als im November 2006 der rechtsextreme Bundesführer der HDJ beim „Märkischen Kulturtag“ im brandenburgischen Blankenfelde Journalisten tätlich angriff, war der aus Bayern zugezogene Kalbitz ganz in der Nähe wohnhaft. Der Sender RBB berichtete ausführlich über den Überfall. Dennoch war der heutige Spitzenpolitiker damals neugierig auf die HDJ?
Ungeachtet blieb bislang, dass es sich dabei um eine Organisation handelte, die gar nicht für den Familienvater geeignet war, sondern sich ausschließlich auf Kinder und Jugendliche ausrichtete. Ziel war die „soldatische Erziehung“ des Nachwuchses von Kameraden und Kameradinnen. Deren Fahrten, Schulungen und Zeltlager wiesen auch für die Behörden Ähnlichkeiten mit der „Hitlerjugend“ auf.
Mit weißem Hemd und kurzer Lederhose beim Rundtanz
Tatsächlich wirkte der dreifache Vater dann 2007 im Escheder Lagerleben der „Heimattreuen Deutschen Jugend“ keinesfalls außenstehend. Auf Fotos und Filmmaterial ist zu sehen, wie Andreas Kalbitz zwischen den Zelten herumläuft und mit der Ehefrau des NPD-Bauern plaudert, der sein Anwesen seit Jahren für rechtsextreme Veranstaltung zur Verfügung stellt. Mal geht er lachend an einem Thüringer Neonazi vorüber, dann eilt er zum Küchenzelt, in dessen Nähe sich bekannte NPD-Aktivisten unterhalten. Rigolf Hennig, verurteilter Holocaust-Leugner, schlendert für eine Stippvisite über den Platz.
Als Jugendliche sich zum germanischen Speerwurf aufstellen, schart Kalbitz hinter einem der Zelte eine kleine Gruppe junger Männer zum Gespräch um sich. Ein anderes Mal läuft der auffällige Mann mit Glatze und Nickelbrille neben Kindern durch das hölzerne Eingangstor des Lagers. Zum Rundtanz am nächsten Tag mit Kindern und Frauen trug auch Andreas Kalbitz dann das obligate feierliche weiße Hemd zur kurzen Lederhose. Im Laufe der Pfingsttage 2007 wird er die Polizei am Rand des Anwesens und auch die Kameras von Journalisten gesehen haben, es schreckte ihn nicht.
„Heimattreue Aktivisten“ als Mitarbeiter von AfD-Politikern
Zehn Jahre nach dem Verbot haben sich die personellen Netzwerke der ehemaligen Mitglieder der „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) keinesfalls zerschlagen. Der im März 2009 vom Bundesinnenministerium verbotenen braunen Jugenderziehungsorganisation wurde damals vorgeworfen, „für eine Reinwaschung und Erneuerung des Nationalsozialismus“ zu kämpfen. Inzwischen sind einige der heimattreuen Aktivisten als Mitarbeiter von AfD-Politikern wieder aufgetaucht.
Die meisten HDJ-Funktionäre und Zöglinge bewegen sich weiterhin lieber im Hintergrund des nationalistischen Spektrums. Ein NPD-Mann aus Ostvorpommern schickte seine Söhne zunächst zum „Sturmvogel-Deutscher Jugendbund“, nebenher beteiligten sie sich an „Identitären“-Aktionen, jetzt sollen sie eine neue Gruppe namens „Junge Bewegung“ ins Leben gerufen haben. Junge Frauen aus der HDJ heirateten u.a. einen bayrischen Wortführer der „Identitären Bewegung“ sowie einen Funktionär von „Ein Prozent für unser Land“.
Rechte Landnahme in Sachsen
Andere HDJ-Getreue hat es jetzt nach Sachsen verschlagen. In dem Bundesland, in dem die AfD sich bislang am stärksten setzen konnte, bauen Völkische ihre Schollen aus. „Im Osten geht die Sonne auf“ frohlockt die AfD in Ostdeutschland. „In dem von rechts geführten Kulturkampf gegen den Liberalismus der offenen Gesellschaft ist der Osten zum Projektionsort rechtsautoritärer Sehnsüchte und Planspiele geworden. Der Westen, so schallt es von rechtsaußen, sei an die kulturelle Dekadenz und die Islamisierung verloren“, warnte David Begrich, Mitarbeiter von Miteinander e.V. – Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in der Arbeitsstelle Rechtsextremismus in Magdeburg.
Auch der Raum Leisnig in Mittelsachsen ist längst von rechter Landnahme betroffen. „Hier wache ich“ steht auf dem Schild am Holztor des großen Hofes im Leisniger Ortsteil Naunhof, von dem aus Dankwart Strauch seine Versandhandelsgeschäfte betreibt. Mit seiner Familie ist der ehemalige Mitarbeiter eines rechten Verlegers aus Schleswig-Holstein übergewechselt. Im Adoria-Verlag kostet die Wandkarte Deutsche Reichsgebiete nur 9,80 Euro. Bücher über „Leibeszucht und Leibesschönheit“ mit Aktphotographien aus den 1930 und 1940er Jahren werden vertrieben. Bei Amazon firmiert Adoria Verlag e.K. dagegen in Oberhausen. Strauchs Ehefrau betreibt weiterhin ihren Naturwaren-Onlinehandel „Kind & Natur“, jetzt mit Sitz in Leisnig. Vom ehemaligen Dresdener HDJ-Kameraden Eric Kaden hat Dankwart Strauch das Unternehmen „Deutscher Buchdienst“ übernommen. Im März durchsuchten Beamte des Polizeilichen Terrorismus- und Extremismus Abwehrzentrums (PTAZ) ein Objekt in Leisnig wegen des Verdachts auf Volksverhetzung. Per Internet sollte Literatur aus der NS-Zeit im Internet vertrieben worden sein, sagte eine Sprecherin des Landeskriminalamtes der Nachrichtenagentur „dpa“. Bei der Durchsuchung wurden mehrere hundert Exemplare eines Buches beschlagnahmt, Teile davon könnten volksverhetzend sein.
Mit ehemaligen HDJ-Aktivisten beim Aufmarsch in Chemnitz
Ein paar Dörfer weiter haben sich Christian Fischer und seine Familie in einem anderen Ortsteil Leisnigs niedergelassen. Fischer aus Vechta in Niedersachsen gehörte zur HDJ-Einheit „Hermannsland“ und war „Stützpunktleiter“ der NPD-Jugendorganisation. Für eine „rassepolitische Schulung“ mit Kindern und Jugendlichen hatte er sich vor Gericht zu verantworten. In einem Interview nannte er gemeinschaftsfördernde Unternehmungen mit der Jugend als eines seiner politischen Ziele. Fischer besuchte mit einem HDJ-Kameraden den NSU-Prozess in München und zeigte sich als Sympathisant von „Der III.Weg“. Auch schloss er sich am 1. September vergangenen Jahres gemeinsam mit anderen Aktivsten der ehemaligen „Einheit Hermannsland“ dem vom AfD-„Flügel“ initiierten Aufmarsch in Chemnitz an. Mitangeführt von Andreas Kalbitz.*