Völkische Parallelwelt

Rechte Familien siedeln sich gezielt in Regionen mit Landflucht an. Mit Gleichgesinnten leben sie ihre völkische Ideologie aus und geben sie entsprechend an den Nachwuchs weiter.

Montag, 19. August 2019
Horst Freires

Militante Neonazis, hippe Aktivisten der „Identitären  Bewegung“, teils AfD-Politiker, NPD-Kader, Holocaust-Leugner und deutschtümelnde Tanzkreise: Sie alle eint als gemeinsame Klammer ein völkisches Denken. Die beiden Rechtsextremismus-Experten Andrea Röpke und Andreas Speit haben sich mit ihrem neuesten Buch „Völkische Landnahme“ auf eine journalistische Spurenrecherche begeben, die thematisch in der öffentlichen Wahrnehmung eher unterbelichtet ist – leider auch bei Sicherheitsbehörden.

Vierklang von Natur-, Tier-, Heimat- und Volksschutz

In Verfassungsschutzberichten bilden Hinweise auf Aktivitäten und Gruppierungen der völkischen Bewegung meist die Ausnahme. Niemand sagt uns, ob es an Erkenntnissen fehlt oder ob es an einer unterschätzten Bewertung liegt. Für ein genaueres Hinsehen will das renommierte Autorenduo jedenfalls sowohl die Alltagsgesellschaft wie auch den Sicherheitsapparat sensibilisieren, gerade weil Merkmale für braunes Gedankengut sich nicht immer auf den ersten Blick erschließen. Gleich auf den ersten Seiten wird in der Lektüre darauf hingewiesen, dass alles, was mit Ökologie zu tun hat, nicht automatisch politisch linksalternativ oder einer Präferenz für die Partei Bündnis 90/Die Grünen zuzuordnen ist. Vielmehr hat die rechte Szene das Thema Umwelt auch historisch schon immer für sich entdeckt und dann zu einem ideologisch nationalistisch-rassistisch ausgerichteten Vierklang von Natur-, Tier-, Heimat- und Volksschutz vereinnahmt.

Der Untertitel „Alte Sippen, junge Siedler, rechte Ökos“ beleuchtet bereits die Spannbreite der acht Kapitel. Und wie von Röpke/Speit gewohnt, folgt dann eine üppige Informationsdichte von „Anastasia-Bewegung“ bis „Wiking- Jugend“, die auf rund 180 Seiten Namen, Handlungsorte, Anlässe, Zusammenhänge und einordnende Bewertungen beinhalten, wobei manchmal auch der eine oder andere begleitende Exkurs einfließt. Selbst aktuelle Geschehnisse aus dem Frühjahr haben noch Eingang ins Buch gefunden. Ein Registerteil als Anhang bildet den Abschluss und stellt eine dankbare Arbeitshilfe dar, sodass das mit Schwarz-Weiß- Aufnahmen bebilderte Buch sich auch bestens als Nachschlagewerk eignet.

Erzieherisches Rüstzeug für eine rechtsextreme Karriere

Zu sehen sind gleich mehrere Fotos von Kinder-, Jugend- oder Familienlagern, obwohl die Protagonisten in der Regel stets auf Unauffälligkeit bedacht sind. Die Aufenthalte mit Brauchtumspflege und Runenkunde, Indoktrination und körperlichem Drill liefern bereits speziell für den Nachwuchs das geistige und erzieherische Rüstzeug für eine rechtsextreme Karriere, ganz egal, ob nun „Wiking-Jugend“, „Heimattreue Deutsche Jugend“ (beide verboten), „Sturmvogel“ oder „Bund für Gotterkenntnis“ („Ludendorffer“) als Veranstalter unterwegswaren oder sind. Die völkische Ideologie schweißt zusammen – von der Wiege bis zum Sterbebett. Generationenübergreifend wird das Konglomerat arischer, heidnischer und um die nordische Mythologie angereicherte Kultur wie eine Religion ausgelebt und kontinuierlich an Kinder, Enkel und Urenkel weitergereicht. Die Autoren benennen etliche Familienbeispiele und sezieren genau das dazu gehörende Umfeld.

Landnahme mit Kniebundhose und Trachtenkleid

In einigen Landstrichen hat sich dieser Personenkreis gezielt angesiedelt. Der Eindruck trügt nicht, dass sich völkische Anhänger gerade in Regionen, in denen Landflucht zu beobachten ist, hin orientieren und niederlassen. Und ehe man sich versieht, sprießen quasi so genannte national befreite Zonen. Nicht in Springerstiefeln, sondern mit Kniebundhose und Trachtenkleid. Das ist etwa in Gegenden von Mecklenburg-Vorpommern zu beobachten, am bekanntesten vielleicht in der winzigen Gemeinde Jamel bei Grevesmühlen, aber auch in Nordost-Niedersachsen in der idyllischen Lüneburger Heide, wo mittlerweile mindestens 60 Paare und Einzelpersonen aus dem völkischen Lager anzutreffen sind. Röpke und Speit beschreiben anschaulich, dass kulturell hegemoniales Streben und territoriale Erweiterungsbemühungen ganz im Sinne von Blut und Boden vor dem Hintergrund eines gesellschaftlichen Rechtsrucks mehr denn je Konjunktur haben – halt völkische Landnahme!

Andrea Röpke/Andreas Speit, Völkische Landnahme, Berlin 2019, Ch. Links Verlag, 208 Seiten, 18 Euro.

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