„Kampfverband“
Völkisch-heidnische „Artgemeinschaft“ verboten
Kurz nach dem Ende der Hammerskins verbietet das Innenministerium auch die „Artgemeinschaft“. Ein überfälliger Akt, die Organisation bot jahrzehntelang rechtem Terror und neonazistischer Militanz Obhut. Ein neuer Verein könnte die gefährliche Arbeit fortführen.
Alles an ihr war toxisch. Die „Artgemeinschaft – Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung“ ist eine Gruppierung, die in ihrem Selbstverständnis rassistisch und antisemitisch ist. In ihrer Anhängerschaft verbinden sich strenges völkisches Milieu mit neonazistisch-militantem Kameradschaftsspektrum.
Die „Artgemeinschaft“ wurde von dem Vorsitzenden der Nordischen Glaubensgemeinschaft Wilhelm Kusserow 1951 gegründet, 1980 übernahm der Neonazi und NPD-Chef in Hamburg, Jürgen Rieger, die Führung. Der beim Amtsgericht in Berlin-Charlottenburg ansässige eingetragene Verein ist naturreligiös und antichristlich ausgerichtet. Rassismus pur drücken „Artbekenntnis“ und „Sittengesetz“ aus, nach denen die Mitglieder leben sollen. Zentraler Gedanke des Völkischen ist die Vormachtsstellung der eigenen „Rasse“, die Höherwertigkeit eines blutsbestimmten Volkes. Seit Generationen wachsen Kinder in diesen Familien mit Feindbildern, Volkstum und Verschwörungsideologien auf.
„Kein Schönwetterverein“
Die jährlich mehrmals stattfindenden Lager und Brauchtumsveranstaltungen sind insbesondere auch für die junge „Gefährtschaft“ ausgerichtet. „Die Artgemeinschaft ist kein `Schönwetterverein´“, hatte der 2009 verstorbene Rieger erklärt und ergänzt: „Die Artgemeinschaft ist gezwungen worden, ein Kampfverband zu sein, der um die Möglichkeiten einer artgemäßen Lebensführung kämpfen muss.“
Nach außen hin versuchte die ca. 150 Mitglieder starke Organisation als neuheidnische „Religionsgemeinschaft“ Anerkennung finden. Das elitäre Ziel der „Wahrung, Einigung und Mehrung der germanischen Art“ sprach zahlreiche Neonazis an. Zuletzt führte der ehemalige Magdeburger Kameradschaftsaktivist Jens Bauer den vom Verfassungsschutz als antisemitisch-revisionistisch eingestuften Verein. Bauer soll sich nach einem Zerwürfnis zurückgezogen haben.
Neue Vereinsvorsitzende
Sabrina S. aus der unterfränkischen Gemeinde Hausen wurde mit zahlreichen Gegenstimmen zur neuen Vorsitzenden gewählt – laut Vereinsregister ist sie seit Juni neue Chefin. An ihrer Seite als Stellvertreter der Aktivist der Berchtesgadener Kameradschaft Alexander D. sowie Julia C., langjähriges Vorstandsmitglied, verheiratet mit einem NPD-Aktivisten. Enge Kontakte pflegen beide zur noch aktiven HDJ-nahen „Einheit Hermannsland“ um Gerd Ulrich in Detmold. Dort werden seit Jahren Kinder und Jugendliche zur gemeinsamen Freizeitbetreuung abgegeben.
Über D.s Teilnahme an einem Neonazi-Treffen im Haus des antisemitischen „Bund für Gotterkenntnis-Ludendorff“ berichtete am 30. August Timo Büchner für die Lokalzeitung in Hohenlohe. Fotos zeigen das seit 2020 amtierende Vorstandsmitglied der „Artgemeinschaft“ mit dem verurteilten Rechtsterroristen Martin Wiese. Als Drahtzieherin gilt zudem das Vorstandsmitglied Ute L. aus Schillingsfürst, Ex-Ehefrau von NPD-Liedermacher Frank Rennicke.
Konspirative Treffen im Südharz
Hausdurchsuchungen finden zur Zeit auch im sächsischen Leisnig statt, wo sich einige ehemalige Mitglieder der verbotenen HDJ niedergelassen haben. Die in der Stadt wohnhaften Aktivisten Christian Fischer und Lutz Giesen besuchten seit Jahren mit Familien die geheimen Lager der „Artgemeinschaft“ im Gasthaus Hufhaus in Harztor, einem Ortsteil von Ilfeld im Südharz.
In der abgelegenen Wanderherberge „Hufhaus“ bei Ilfeld gab es zum Beispiel zur Sommersonnenwende ein volles Programm für jung und alt. Es begann mit einer „Thing“ genannten Versammlung, Runenlehrkurse folgten, danach gab es Volkstanz und einen „Germanischen Sechskampf“.
„Politische Befreiung des Landes“
Die Artgemeinschaft versteht sich als „Kampfverband“, dessen Ziel die „politische Befreiung des Landes“ ist. „Orientalismus“ sowie Juden- und Christentum werden als Feindbilder betrachtet. In den 1990er Jahren traf sich die Anhängerschaft im Neonazi-Schulungszentrum Hetendorf 13 in der Lüneburger Heide, oft gemeinsam mit der paramilitärischen „Wiking-Jugend“.
2004 erwarb Jürgen Rieger ein 26.000 Quadratmeter großes ehemaliges Bundeswehrgelände im niedersächsischen Dörverden. Das Geld für den „Heisenhof“ stammte aus der Hinterlassenschaft des Bremer Lehrers Wilhelm Tietjen, der Mitglied in der „Artgemeinschafts“-nahen „Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung“ war. Diese aus Akademikern zusammengesetzte Altnazi-Organisation unterstützte Riegers Pläne zur „Arier-Züchtung“. Gegenüber der „Bild“ sprach Rieger, der auch die „Rudolf-Heß-Gedenkmärsche“ in Wunsiedel organisierte, provokant von „Super-Ariern“. Unter Jens Bauer trat die „Artgemeinschaft“ zuletzt immer öffentlicher in den Sozialen Medien auf. Bauer selbst organisierte zuletzt Corona-Proteste in Zeitz mit Lutz Giesen.
Umfeld der NSU-Kerntruppe
Die „Artgemeinschaft“ stand immer auch in Verbindung mit rechtem Terror. So fanden nicht nur Mitglieder von „Blood & Honour“ sowie „Combat 18“ dort Unterschlupf, bis 2011 war auch der Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke Mitglied, bis ihm wegen ausgefallener Zahlungen gekündigt wurde. Auch Jens G. nahm an Brauchtumsfeiern teil, gegen den völkisch-gesinnten Reserveoffizier der Bundeswehr ermittelt die Staatsanwaltschaft Lüneburg wegen des Verdachtes einer terroristischen Untergrundgruppe. Mit dabei waren auch enge Vertraute der NSU-Kerntruppe um Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt.
Hausdurchsuchungen finden heute morgen auch in den Praxisräumen des Mediziners Gerhard H. in Essen statt. Er hatte an einem Treffen in diesem Jahr in Ilfeld teilgenommen. H. verfügte über Kontakte zum Thüringer NPD-Kader Thorsten Heise, nahm 2011 an einem geheimen Treffen in dessen Haus im Eichsfeld teil. Die Söhne von H. sind beim „Freibund“ und der Identitären Bewegung aktiv.
Neue Strukturen
Sabrina S., Vorsitzende der „Artgemeinschaft“, führte den Verein nur kurz an, ist aber seit Jahren im Vorstand. Ihr Haus auf einem ehemaligen Brauereigelände wurde heute durchsucht. Mehrere Einsatzwagen und der Katastrophenschutz sind anwesend, Beamte fordern telefonisch Verstärkung an, berichten Augenzeugen.
Auf die Adresse ist auch ein relativ neuer Verein namens „Stiftungswerk – Zukunft – Heimat“ angemeldet. Im Impressum wird der nur wenige Kilometer entfernte Ort Ostheim angegeben, der jahrelang auch als Anlaufadresse für die „Artgemeinschaft“ galt. Auf der Website heißt es, das Stiftungswerk wolle „das Bewährte der Vergangenheit erhalten“. Brauchtum, Volkstanz, elitäre Gemeinschaft sollen wie in der „Artgemeinschaft“ erhalten bleiben.