Vielen „Lohmeyers“ den Rücken stärken!
Besucherrekord beim „Jamel rockt den Förster“-Festival – im Alltag muss das engagierte Künstlerehepaar in dem von Neonazis dominierten Dorf aber weiter mit Anfeindungen aus der Nachbarschaft leben.
Der Appell von „Tote Hosen“-Sänger Campino kann nicht deutlicher ausfallen: Auf dem antirechten Musikfestival in dem von Neonazis dominierten Dorf Jamel bei Wismar rief er dazu auf, überall den Mut und Zivilcourage zeigenden „Lohmeyers“ in Dörfern und Städten der Republik den Rücken zu stärken. Zum neunten Mal fand das zweitägige Musikfestival „Jamel rockt den Förster“ auf dem Grundstück von Birgit und Horst Lohmeyer statt, und es endete nicht zuletzt dank des bis wenige Stunden vor dem Auftritt geheim gehaltenen Spontanbesuchs der berühmten Düsseldorfer Rockband mit einem neuen Besucherrekord von 1400 Festivalgängern in dem 40-Einwohner-Dorf.
Für einen Schub an Besuchern hat auch der nächtliche Brandanschlag Mitte des Monats auf die Kulturscheune des engagierten Künstlerehepaars gesorgt, das seit seinem Umzug 2004 von Hamburg in das nahe der Ostsee gelegene Landleben Nordwestmecklenburgs von den einheimischen Bewohnern der rechten Szene attackiert, genötigt, gemobbt und bedroht wird. Die Festivalbesucher kamen mit Blick auf die Autokennzeichen aus dem gesamten Bundesgebiet. Und bundesweit ist auch die Resonanz auf die Brandstiftung, denn Tag für Tag gehen mehr Spenden ein, die einen Neubau einer Kulturscheune wahrscheinlich werden lassen.
„Georg Leber-Preis für Zivilcourage“
Dass sie nun schon seit Jahren den Neonazis die Stirn bieten, dafür erhielten Birgit und Horst Lohmeyer aus den Händen des IG Bau-Vorsitzenden Robert Feiger den „Georg Leber-Preis für Zivilcourage“. Feiger forderte in seiner Rede, Brandanschläge wie in Jamel und all die Übergriffe auf bewohnte und unbewohnte, geplante Flüchtlingseinrichtungen als das beim Namen zu nennen, was sie wirklich sind: Terrorakte. Und als die „Toten Hosen“ losrockten, lauschte auch die gar nicht so weit von Jamel entfernt wohnende Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) im Satire-T-Shirt mit „Storch Heinar“-Konterfei und dem Aufdruck „Den Nazis einen Vogel zeigen“ den engagierten Texten der Band wie etwa „Madelaine“ und „Europa“.
Zu diesem Zeitpunkt war die auf der anderen Straßenseite des Festivals auf dem Grundstück des in Jamel wortführenden, zeitweise NPD-aktiven Neonazis Sven Krüger aufgebaute Hüpfburg bereits verschwunden. Bei dem einschlägig verurteilten Abbruchunternehmer wurde zuvor mehrere Stunden lang die Einschulung zweier Dorfkinder feierlich begangen. Tatsächlich sammelten sich dort rund 50 rechtsextreme Krüger-Freunde samt Nachwuchs aus der Region mit szene-typischen Tattoos und Reichskriegsflagge im beziehungsweise am Auto. Die Polizei meldete nach dem Wochenende, dass sie nirgends in Jamel einschreiten musste.
Ein Klima der Angst in dem Sackgassendorf
Doch der braune Ungeist gehört in Mecklenburg-Vorpommern das gesamte Jahr über zum Alltag von Wochenend-Polizeiberichten. Während es in Jamel keine Vorkommnisse gab, wurden in Malchin (Landkreis Mecklenburgische Seenplatte) Garagentore mit Hakenkreuzen bemalt und in Pasewalk (Landkreis Vorpommern-Greifswald) ein syrischer Flüchtling auf offener Straße mit einem Faustschlag traktiert. Hat bereits das Dossier der Länderinnenminister für den neuerlichen Antrag eines NPD-Verbotsverfahrens auch einen Abschnitt um die Person Sven Krüger und damit zu Jamel enthalten, findet sich auch in der jetzt aktuell noch einmal für das Bundesverfassungsgericht nachgelegten Materialiensammlung eine ergänzende Bewertung zu Jamel und den dortigen, auch der NPD zuzuordnenden Umtrieben. Das berichtete jetzt die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“.
In Jamel gab es allerdings auch eine sehr grenzwertige Beobachtung: Immer wieder waren Festival-Besucher zu sehen, die sich in geradezu touristischem und Sightseeing-behaftetem Photo-Posing vor den dort von den Neonazis aufgestellten Symbolen in der offenbaren Absicht eines „Erinnerungsphotos“ ablichten ließen, sei es vor dem völkischen Wandbild im Dorf oder vor dem braun getünchten Infokasten beziehungsweise vor dem Holzwegweiser mit Kilometerangaben unter anderem in Hitlers österreichischen Geburtsort Braunau.
Für Familie Lohmeyer beginnt nun wieder ein Alltag mit allen nur denkbaren Anfeindungen aus der Nachbarschaft. Allein der Versuch eines Gesprächs des Autors dieser Zeilen am Gartenzaun einige Hausnummern weiter endet mit böswilligen Unterstellungen gegenüber den Lohmeyers. Die demokratischen, aufrechten Außenseiter in Jamel stehen seit dem Anschlag unter Polizeischutz. Es darf auch nicht verschwiegen werden, dass in dem Sackgassendorf nach wie vor ein Klima der Angst herrscht. Bei dem Brand der Scheune wurden auch einige Fenster des direkt daneben stehenden Wohnhauses beschädigt. Mehrere Glaser aus der Umgebung lehnten einen Reparaturauftrag ab. Dieser wird nun von einem schleswig-holsteinischen Handwerksbetrieb ausgeführt. Trotzdem zählt für die Familie Lohmeyer Campinos solidarische Botschaft der bekannten Fußball-Hymne: „You’ll never walk alone!“