Studie
Vertrauen in die Demokratie: Problemfall AfD und der Glaube an Verschwörungsmythen
Das Vertrauen der Deutschen in die Demokratie ist trotz vielfältiger Krisen stabil. Einerseits. Andererseits: Menschen, die sich abgehängt fühlen, die ein Herz für die AfD, für Rechtsextremismus und Verschwörungserzählungen haben, hadern sehr stark mit der aktuellen Demokratie.

Heute präsentierte die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) ihre neue Studie „Demokratievertrauen in Krisenzeiten. Wie blicken die Menschen in Deutschland auf Politik, Institutionen und Gesellschaft?“ Die Auswertung fußt auf repräsentativen Umfragen aus dem Spätsommer 2022. Die Einschränkungen wegen der Corona-Pandemie nahmen seinerzeit stark ab. Zugleich hatte im Februar 2022 der russische Angriffskrieg auf die Ukraine begonnen und die erneuten Debatten um die Klimakrise nahmen an Fahrt auf. Im Sommer waren Inflation und der Anstieg bei den Lebensmittel- und Energiepreisen schon deutlich wahrnehmbar. Mancher befürchtete einen „heißen Herbst“ oder „Wutwinter“ in Sachen Sozialproteste.
Erstaunlicherweise stellte die FES-Studie demgegenüber fest: Im Vergleich zu einer vorangegangenen Studie von 2019 sind die Menschen trotz aller Krisen heute etwas zufriedener mit dem Funktionieren der Demokratie. Insgesamt stieg der Wert der Zufriedenen gegenüber 2019 um zwei Prozentpunkte an. Gleichwohl warnen die Forscher und Wissenschaftler, dies sei nur bedingt respektive kein wirklicher Grund zum Aufatmen. Denn nach wie vor sind demnach nur 48,7 Prozent aller Befragten zufrieden mit der Demokratie. Eine knappe Mehrheit ist also unzufrieden. Ein hohes Maß an Unzufriedenheit äußerten indes AfD-Anhänger. „Unter [den 100 Prozent der befragten] AfD-Wähler_innen befinden sich 94 Prozent Unzufriedene“, wird festgestellt.
Demokratische Problemzone AfD
AfD-Anhänger respektive die Wähler der vom Verfassungsschutz unter Rechtsextremismus-Verdacht beobachteten Partei haben in nahezu allen Bereichen der FES-Studie Niedrig- oder Spitzenpositionen – allerdings jeweils konträr zu den anderen Befragten. Unter den Befragten der AfD haben nur 38 Prozent noch Vertrauen in die heutige Demokratie. Sorge vor der Zuwanderung haben 91 Prozent der AfD-Wähler. Zugleich haben 78 Prozent derselben keine Angst vor einer Bedrohung durch Rechtsextremismus. Und 95 Prozent haben keine Sorgen wegen des Klimawandels.
Rund zwei Drittel der AfD-Wähler vertraut der Regierung gar nicht. Formuliert man die Frage anderes, nämlich, wie viele der Befragten mit AfD-Präferenzen der Bundesregierung und dem Bundestag (noch) vertrauen, wird es kaum besser: Lediglich 5,4 Prozent vertrauen der Regierung und nur 5 Prozent dem Bundestag. Beides sind wichtige Zentren und Entscheidungsgremien des heutigen demokratischen Rechtsstaates. Da verwundert es kaum, dass unter den AfD-Wählern 86 Prozent unzufrieden mit den auch durch diese beiden Gremien beschlossenen Corona-Schutzmaßnahmen waren.
Coronavirus als Biowaffe und Angstmache
Beinahe drei Viertel der AfD-Anhänger stimmten der Aussage voll und ganz respektive eher zu „Die Regierung hat die Bevölkerung in der Coronakrise gezielt in Angst versetzt, um massive Grundrechtseinschränkungen durchzusetzen.“ Dass es sich beim Coronavirus um eine Biowaffe handelt, denken 48 Prozent der AfD-Wähler laut der Studie, wobei 25,9 Prozent dem voll und ganz und 22,3 Prozent dem eher zustimmen. Zugleich sind 82 Prozent der AfD-Anhänger Freunde der direkten Demokratie und 75 Prozent befürworten lokale Bürgerräte als Möglichkeit der direktdemokratischen Einbeziehung.
Teils große Unterschiede bei der Zufriedenheit gibt es je nach sozialer Lage. Menschen, denen es ökonomisch schlechter geht, die niedrigere Bildungsabschlüsse haben oder sich der Unter- oder Arbeiterschicht zurechnen, sind deutlich unzufriedener, als diejenigen, denen es materiell gut geht. Nur 32,8 Prozent der Befragten, die sich der Unter- oder Arbeiterschicht zuordnen, sind mit dem Funktionieren der Demokratie zufrieden. In der oberen Mittel- und Oberschicht sind 64,2 Prozent mit der heutigen Demokratie zufrieden.
Schlichte Welt der direkten Demokratie?
Auch zwischen Menschen im Osten und im Westen haben die Unterschiede im Vergleich zu 2019 weiter zugenommen: Im Westen ist die Zufriedenheit mit der Demokratie um zweieinhalb Prozentpunkte gestiegen, im Osten hat sie um zwei Punkte abgenommen. In den einwohnerstarken alten Bundesländern ist nun gut die Hälfte (52%), in den neuen Bundesländern jedoch wenig mehr als ein Drittel der Menschen (34%) mit dem Funktionieren der Demokratie zufrieden. Die Zustimmung zur direkten Demokratie oder aber einem demokratischen System, in denen Experten stärker in Abstimmungsprozesse und Entscheidungen involviert sind (Expertokratie), stieg generell an.
Jedoch stellt die Studie schon im Vorwort fest: „Paradoxerweise werden beide Modelle gerade von denjenigen überproportional präferiert, die angeben, sich nicht für Politik zu interessieren.“ Die beiden zunächst positiv wirkenden Phänomene sind also in Wahrheit teils auch anders zu bewerten. Die Menschen, die etwa direkte Demokratie oder Volksentscheide befürworten (siehe AfD), bevorzugen laut FES-Studie oft auch bei komplexen Sachverhalten eine einfache Abstimmungsmöglichkeit (Ja/Nein). Gleichwohl gaben die Befragten an anderer Stelle an, dass die aktuellen Probleme und anstehende politische Entscheidungen kompliziert sind.
Expertokratie oder Scharlatanerie?
Wirklich definiert wurde bei den Fragen der Studie auch nicht, was oder wer Experten sind, die demokratische Prozess in der Expertokratie wissenschaftlich begleiten sollen. Wissenschaftsfeinde sprachen während der Pandemie und der Impfdebatte wahren Experten ihr Fachwissen ab und attestierten Scharlatanen zugleich angeblich Expertise. Die FES-Studie zeigt demgegenüber in einem anderen Kapitel, dass die Unzufriedenheit mit der Demokratie und der aktuellen Lage häufig mit einem Glauben an Verschwörungsmythen zu tun hat.
Für die Macher der Studie ist letztgenanntes eine beunruhigende Erkenntnis. Denn Verschwörungserzählungen verfangen zumindest in Teilen der Bevölkerung und finden gerade im rechten politischen Spektrum relativ hohe Zustimmung. Derlei korreliert laut der FES-Studie fast immer mit einer negativen Bewertung der Demokratie. Jene Radikalisierung spaltet also die Gesellschaft und ist auch eine Gefahr für die Demokratie, fasst die Studie diese Erkenntnisse zusammen.
Unschuldslämmchen Putin?
Über solche Gefahren für die Demokratie dürften sich das Gros der Befragten, die Forscher und Wissenschaftler einig sein. Über mehr Feindseligkeit in der Gesellschaft sorgen sich 80 Prozent aller Befragten. Und mehr als zwei Drittel befürchten eine weitere Zunahme des Rechtsextremismus. Nur die Anhänger einer Partei teilen solche Sorgen und Ängste seltener oder gar nicht: die AfD-Wähler. Sie stimmten allerdings mehrheitlich auch der Aussage zu „Die westliche Welt hat sich gegen Russland und Putin verschworen, um die eigene Macht auszubauen.“ AfD-Wähler glaubten das zu 38,2 Prozent voll und ganz und zu 18,9 Prozent stimmten sie dem eher zu.