Rezension
Vertiefende Analysen zur Autoritarismusstudie
Seit 2002 legt eine Leipziger Forschungsgruppe alle zwei Jahre ihre Untersuchungen zu rechtsextremistischen Einstellungspotentialen vor. Die aktuelle Ausgabe blickt auch vergleichend auf die letzten 20 Jahre zurück. Darüber hinaus finden sich neben den allgemeinen Daten zu den Einstellungen auch gesonderte Untersuchungen, die Detailbetrachtungen zu besonderen Kontexten wie etwa dem Antifeminismus oder dem Verschwörungsglauben vornehmen.
Seit 2002, und damit seit über 20 Jahren, veröffentlicht eine Leipziger Forschungsgruppe um Oliver Decker und Elmar Brähler ihre Studien zur Verbreitung rechtsextremistischer Einstellungen in der deutschen Gesellschaft. Auch die neueste Ausgabe in Buchform, hier „Autoritäre Dynamiken in unsicheren Zeiten. Neue Herausforderungen – alte Reaktionen?. Leipziger Autoritarismus Studie 2022“ betitelt, enthält bedenkliche Erkenntnisse.
So gab es für doch sehr eindeutige Aussagen in einer Repräsentativbefragung recht hohe Zustimmungswerte (in Klammern die Angaben zu Befragten mit „teils/teils“, die sich nicht klar davon distanzieren wollten): „Was Deutschland jetzt braucht, ist eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert“: 14,5 Prozent (23,9 Prozent), „Eigentlich sind die Deutschen anderen Völkern von Natur aus überlegen“: 7,9 Prozent (18,9 Prozent) oder „Die Juden arbeiten mehr als andere Menschen mit üblen Tricks, um das zu erreichen, was sie wollen“: 6,4 Prozent (17 Prozent).
Einstellungsrückgang ohne Entwarnung
Gleichwohl konstatieren die Autoren im historischen Vergleich: „Insgesamt ist ein Rückgang bei manifest-rechtsextremen Einstellungen im Bereich der Neo-NS-Ideologie zu verzeichnen, insbesondere im Osten.“ Indessen gelte auch: „Gleichzeitig bleiben die Zustimmungswerte in den Dimensionen des Ethnozentrismus sehr hoch und steigen im Osten leicht an“. Außerdem heißt es: „Während die Wahlbereitschaft im Allgemeinen zugenommen hat, ist das Wählerpotenzial der AfD unter den Unentschiedenen weitgehend ausgeschöpft“.
Allein diese Aussagen und Einschätzungen motivieren zu kritischen Überlegungen. Darüber hinaus regen dazu die weiteren Ausführungen an, wird doch die Datenlage von den Forschern mit anderen Kontexten verbunden. So finden sich in den 13 Beiträgen der Buchausgabe der Studie auch Texte, welche das gemeinte Einstellungspotential mit anderen Themen in Verbindung bringen: Hierzu gehören Autoritarismus und Sozioökonomie, Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg ebenso wie Antifeminismus und Verschwörungsvorstellungen.
Detailerkenntnisse zu besonderen Themen, z.B. Antifeminismus
Bei all diesen Ausführungen mag man ein „rundes Ergebnis“ erwarten, was aber nicht unbedingt von der Datenlage und einer darauf gründenden Deutung gedeckt wäre. Hierzu gilt die schlichte Feststellung: Die Entwicklung ist offen, aktuell sind lediglich Momentaufnahmen möglich. Doch diese vermitteln bereits fragmentarisch wichtige Erkenntnisse, auf welche man trotz entsprechender Einschränkungen nicht verzichten möchte. Nicht alle Aufsätze passen indessen zum eigentlichen Projekt: Abhandlungen zu digitalen Herausforderungen oder zur gegenwärtigen Klimabewegung entsprechen nicht dem eigentlichen Thema. Dies mindert nicht ihre Qualität, gleichwohl gehören sie in einen anderen Zusammenhang.
Beachtenswert sind darüber hinaus viele Detailerkenntnisse, etwa wenn der hohe Autoritarismus mit anderen Faktoren in Verbindung gebracht wird. Auch ein dezidierter Antifeminismus ist immer wieder Thema, sehen die Autoren darin doch eine bedeutsame „Brückenideologie“ für rechtsextremistische Mobilisierung.
Autoritarismusanteile in der Mitte doch nicht so hoch
Gleichwohl können kritische Anmerkungen gemacht werden: So ist der Autoritarismus- und Rechtsextremismus-Zusammenhang nicht klar thematisiert. Beides mag sich partiell, muss sich aber nicht pauschal entsprechen. Beachtung verdienen dazu etwa die Daten, die autoritäre Einstellungen hinsichtlich der politischen Selbsteinschätzung zuordnen. Zwar sind die höchsten Anteile bei „Rechts außen“ und danach bei „Rechts“ auszumachen, danach kommen aber schon die Anteile bei „Links außen“.
Die geringsten Anteile bestehen demgegenüber bei „Links“ und „Mitte“, was die Frage aufkommen lässt: Bestehen die gemeinten Einstellungen tatsächlich in der politischen Mitte überproportional hoch, wie auch frühere Ausgaben der Leipziger Studien bereits in den Titelgebungen suggerierten? Darauf bezogene Anmerkungen sind für eine wissenschaftliche Kritik wichtig. Gleichwohl entwerten sie nicht die Autoritarismus-Arbeiten der Forschergruppe, die wie hier immer wieder wichtiges Datenmaterial mit interessanten Deutungen vorgelegt hat.
Oliver Decker/Johannes Kiess/Ayline Heller/Elmar Brähler (Hrsg.), Autoritäre Dynamiken in unsicheren Zeiten. Neue Herausforderungen – alte Reaktionen. Leipziger Autoritarismus Studie 2022, Gießen 2022 (Psychosozial-Verlag), 402 S.