Versuch der politischen Selbstverteidigung: Zur „Initiative gegen jeden Extremismusbegriff“ (INEX)

Im Jahre 2008 gründete sich in Sachsen ein Bündnis unterschiedlicher linker Akteure, das seither den Extremismus-Begriff auf’s Korn nimmt und allerlei Initiativen unterstützt, die sich gegen eine „Normalisierung“ des deutschen Nation-Diskurses richten. Dabei beruhen die wesentlichen Argumente weitgehend auf theoretischen Missverständnissen und rücken zugleich zahlreiche prominente Unterstützer der Initiative selbst in ein schillerndes Licht.

Mittwoch, 07. Oktober 2009
Mathias Brodkorb
Versuch der politischen Selbstverteidigung: Zur „Initiative gegen jeden Extremismusbegriff“ (INEX)
Die Rechtsextremismusforschung und der „Kampf gegen Rechts“ sind in Deutschland schon ganz merkwürdige Erscheinungen: Zwar besteht über die Notwendigkeit beider Dinge großer gesellschaftlicher Konsens, aber dennoch gibt es kaum ein gesellschaftspolitisches Feld, das ähnlich umstritten wäre. Allerorten veranstalten in Deutschland zahlreiche „Initiativen gegen Rechts“ immer wieder den ultimativen sozialistischen Wettbewerb „Wer ist hier der wirklich wahre Antifaschist?“. Jede kleinste Abweichung vom eigenen Pfad der Tugend wird dabei nicht selten gar als (ungewollte) Kollaboration mit der Gegenseite skandalisiert. Dieser Eindruck drängt sich auch bei einer näheren Beschäftigung mit der „Initiative gegen jeden Extremismusbegriff“ (INEX) auf. Anlass für die Gründung dieser Initiative sei dabei die Tatsache gewesen, dass seit „Anfang des Jahres 2008 (...) die außerparlamentarische Linke sowie links-alternative Kulturprojekte in Sachsen wieder einmal Ziel einer Diffamierungskampagne“ des CDU-geführten Innenministeriums sei. Demnach seien harmlose Linke unter der Führung von Minister Albrecht Buttolo staatlichen Repressionen unterworfen worden, um ihnen die „Existenzgrundlage“ zu entziehen. Die Wunderwaffe des ehemaligen Herrn Minister sei dabei die Extremismus-Theorie gewesen. Mit ihr wären unbescholtene Linke mit knallharten Nazis in einen Topf geworfen und somit Linke und Rechte verharmlosend gleichgesetzt worden. Kritik an der Extremismus-Theorie Nun wollen wir gar nicht den Versuch machen zu beurteilen, ob der Herr Buttolo wirklich so ein unanständiger Kerl ist, wie behauptet. Schon möglich, dass ein CDU-Innenminister bei seinem Kampf gegen Extremisten über das Ziel hinausschießt. Auch in anderen Fällen mussten ja bspw. Verfassungsschutzbehörden dabei gebremst werden, vorschnell mit dem Extremismus-Vorwurf um die Ecke zu biegen. Allerdings erschienen die Reaktionen von INEX auch dann nicht sonderlich plausibel: Was, bitteschön, kann denn die arme Extremismus-Theorie dafür, wenn Minister Buttolo mit ihr entweder nicht richtig umgehen kann oder will? INEX vermöbelt also schlicht den falschen Pappkameraden. Im Kern werden zwei Argumente gegen die Extremismus-Theorie ins Feld geführt, die beide in der Sache an eben jener völlig vorbeigehen: 1. Die Extremismus-Theorie unterstelle, dass es eine lupenreine demokratische Mitte und links wie rechts antidemokratische Ränder gebe. Das sei aber gar nicht der Fall, denn Antisemitismus, Rassismus etc. seien keine Randphänomene, sondern durchzögen auch die Mitte der Gesellschaft.
Dieser Hinweis ist so richtig wie in der Sache belanglos. Denn die Extremismus-Theoretiker sprechen nicht von einer soziologischen Mitte, sondern von einem politikwissenschaftlichen Modell. Es geht nicht um konkrete Menschen, sondern um Idealtypen politischer Ideologien. Es würde also kein einziger ernstzunehmender Extremismus-Theoretiker dieser Welt der These widersprechen, dass Personen, die soziologisch der Mitte der Gesellschaft zugerechnet werden müssen, politisch Extremisten sein können. Mit anderen Worten: Wer die Extremismus-Theorie zurückweist, weil sie angeblich die Mitte reinwasche, verwechselt schlicht Soziologie und Politikwissenschaft miteinander. 2. Die Extremismus-Theorie setze Linke und Rechte gleich. Dies erfolge in der Absicht, um sie als ideologische Waffe gegen „AntifaschistInnen“ einzusetzen. Auffällig am offenen Brief „Gegen jeden Extremismusbegriff“ vom 29. April 2008 der Initiative INEX, der wohl als Gründungsdokument verstanden werden darf, ist dabei die Tatsache, dass keine der Kritiken, die sich gegen die Extremismus-Theorie richten, auch an den Texten ihrer beiden Hauptvertreter, Uwe Backes und Eckhard Jesse, belegt wird. Jeder derartige Versuch müsste auch an der Realität scheitern. Bereits in ihrem Grundlagenwerk „Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland“ aus dem Jahre 1989 haben beide Autoren immer und immer wieder darauf hingewiesen, dass zwischen Links- und Rechtsextremisten „fundamentale Unterschiede“ bestehen. Backes hat in neuesten Texten gar selbst ausdrücklich der These widersprochen, dass Links- und Rechtsextremisten gleichermaßen von der bürgerlichen Mitte entfernt seien. Politische statt wissenschaftlicher Motive? Wie erklärt es sich nun, dass trotz aller offenkundigen Tatsachen eben diese in der Debatte keine Rolle spielen? Dies dürfte nicht zuletzt damit zu tun haben, dass die Kritiker selbst tun, was sie ihren Kontrahenten vorwerfen: nicht in wissenschaftlicher, sondern politischer Absicht agieren. Zwar beschweren sich die Vertreter von INEX in ihrer Grundsatzerklärung – übrigens zurecht - darüber, dass man heutzutage schneller zum Extremisten gemacht werde „als gedacht“, um allerdings nur wenige Zeilen später dieses Spiel selbst zu betreiben, wenn sie Eckhard Jesse eine „Nähe zu rechten Kreisen und Ideologien“ unterstellen. Der aktuelle sozialistische Wettbewerb „Wer ist denn hier der wahre Antifaschist?“ hätte somit schon einmal seinen Sieger und der Kritisierte wäre aufgrund einer abweichenden Auffassung der Kollaboration überführt. Dabei kann INEX keinesfalls nur unbedeutende Kleinstgrüppchen oder Personen zu den UnterstützerInnen zählen. Unfreiwillig komisch mutet es dabei an, wenn ausgerechnet das „Forum kritische Rechtsextremismusforschung“ aus Leipzig eine Erklärung gegen die Extremismus-Theorie unterschreibt und sich damit zugleich den eigenen Forschungsgegenstand zerstört. In die lange Liste der Erstunterzeichner reiht sich außerdem die unter Linksextremismusverdacht stehende Organisation „Rote Hilfe“ ebenso ein wie sächsische Landtagsabgeordnete der Linken, darunter gar der Sprecher für Verfassungsfragen Klaus Bartl, und die linke Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke. Aber auch die „Sprecherin für Strategien gegen Rechtsextremismus“ der Bundestagsfraktion der Grünen, Monika Lazar, ist mit von der Partie. Der eigene politische Standpunkt wird aus besagter Erklärung dabei nicht recht deutlich. Anders verhält es sich hingegen, wenn man sich die Veröffentlichungen und Unterstützungsaufrufe anlässlich der Feierlichkeiten zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit näher ansieht. INEX richtet sich dabei gleich gegen mehrerlei: gegen den Mythos einer politischen statt einer konsumistisch motivierten „Revolution“, gegen die Rehabilitierung der deutschen Nation infolge einer nunmehr 60 Jahre andauernden demokratischen Geschichte, gegen deutschen Staat und Nation überhaupt. Denn ein positiver Bezug auf Deutschland sei „nach Auschwitz nicht mehr möglich“. Jeder Versuch einer Normalisierung des Nation-Diskurses müsse folglich auf die Verharmlosung des Nationalsozialismus hinauslaufen. In einer eigens zum 20. Jahrestag angefertigten Broschüre wird schließlich die These aufgestellt, dass eine humanistische und aufgeklärte Gesellschaft in Deutschland eine Illusion bleiben müsse, „solange und weil sie sich als deutsche Nation konstituiert“. Folglich sei eine radikale Kritik an den herrschenden Zuständen nötig, „die über kapitalistische Zurichtung und nationalstaatliche Vergesellschaftung hinausweist“. Dass sich diese Argumentation dabei selbst in die Nähe völkischer Gedanken begibt, indem sie im Rahmen einer angeblichen Kollektivschuld eine nationale Schicksalsgemeinschaft der deutschen Auschwitz-Täter samt ihrer Nachkommen konstruiert, bleibt merkwürdig unbemerkt. Wenn der Verfassungsschutz zweimal klingelt Nun mag es an der mangelnden Phantasie des Autoren liegen, sich eine transnationale Weltkonstruktion schlicht nicht vorstellen zu können, in der sich die ohne Frage heute bestehenden Entfremdungsprozesse unter dem Druck bürokratischer Mammutsysteme nicht noch weiter verschärfen. Allerdings werden in Artikel 21 (2) des Grundgesetzes nicht nur jene Bestrebungen als verfassungswidrig klassifiziert, die die „freiheitliche demokratische Grundordnung“ beeinträchtigen oder beseitigen wollen, sondern auch jene, die den „Bestand der Bundesrepublik Deutschland“ gefährden. Es kann daher zumindest nicht verwundern, dass auch der Verfassungsschutz bisweilen interessiert nachfragt, was es denn mit dieser „Initiative zur Abschaffung jeder Form deutscher Nationalstaatlichkeit“ so auf sich hat und was ihre Vertreter konkret im Sinn haben. Am Ende kann zumindest der Eindruck entstehen, die Ablehnung der Extremismus-Theorie erfolge, um dem demokratischen Verfassungsstaat dessen Instrumente zur Unterscheidung von Demokraten und Anti-Demokraten aus der Hand zu schlagen, weil man fürchtet, man selbst oder nahe stehende Akteure könnten ebenfalls unter rechtsstaatlichen Beschuss geraten. Wir wären somit Zeugen eines Vorgangs politischer Selbstverteidigung. Einer solchen Interpretation wird von INEX jedoch ausdrücklich widersprochen: „Nicht die Angst, in die Schmuddelecke »linksextrem« gestellt zu werden, treibt uns an. Uns geht es darum, den Extremismusbegriff in der wissenschaftlichen und in der politischen Praxis ganz über Bord zu werfen.“, heißt es in einer weiteren Erklärung. Ausgerechnet eine wissenschaftlich überzeugende Auseinandersetzung mit der Extremismus-Theorie steht bis heute allerdings aus. Es hat daher einen gewissen Beigeschmack, wenn Monika Lazar, die jüngst erneut für die Grünen in den Bundestag einzog, in einer Dankeserkärung an die eigenen WählerInnen formuliert: „Auch die Bundesförderung für Demokratie und gegen Rechtsextremismus darf nicht in einem ‚Extremismus-Einheitsbrei’ enden, sondern muss weiterhin ganz klar gegen Nazi-Ideologien wie Rassismus und Antisemitismus geführt werden.“ An der Tatsache, dass Deutschlands Extremismus-Problem Nummer 1 am rechten und weniger am linken Rand zu suchen ist, kann kaum ein Zweifel bestehen. Allerdings ändert das nichts an der Tatsache, dass es dem demokratischen Verfassungsstaat im Ernstfall herzlich egal sein kann, von welcher Seite er bekämpft wird. Im praktischen Verwaltungshandeln muss er Extremisten unterschiedlicher Couleur nur dann und insofern gleich behandeln, als sie sich durch ihr anti-demokratisches Verhalten selbst gleichsetzen. Und das ist auch gut so!
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