Verstricktes NSU-Unterstützernetzwerk

Im NSU-Verfahren belasten neue Erkenntnisse zwei Neonazi-Helfer. Die Generalbundesanwaltschaft entscheidet sich nicht im Falle von neun weiteren mutmaßlichen Unterstützern.

Donnerstag, 19. November 2015
Andrea Röpke

Seit rund drei Jahren ziehen sich neun Ermittlungsverfahren der Generalbundesanwaltschaft gegen weitere Beschuldigte wegen des Verdachts der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung hin. Unter ihnen sind die Ehefrau des Zwickauer Mitangeklagten André E., die beiden ehemaligen Chemnitzer „Blood&Honour“-Größen Thomas S. und Jan W., ein ehemals führender Thüringer Neonazi sowie mutmaßliche Waffen- und Wohnungsbeschaffer aus der rechten Szene. Insider gehen davon aus, dass die Karlsruher Behörde die Ermittlungen bereits abgeschlossen hat, die Verfahren aber „offen hält“. Denn bisher  wurden weder Einstellungen noch Anklageerhebungen bekannt.

Dabei scheint vor allem die Zwickauer Ehefrau des Mitangeklagten tief verstrickt. Über Jahre besuchte sie Beate Zschäpe in ihrem Versteck, half  bei der Abtarnung und fuhr „Gerri“ und „Liesl“, also Böhnhardt und Zschäpe,  2011 zur Autovermietung in Schreiersgrün. Mit dem Fahrzeug brachen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt  zu ihrer letzten Raubtour auf. Bevor sie in Eisenach ankamen, sollen sie nach neuesten Erkenntnissen noch den verletzten Freund André E. in einer Leipziger Klinik besucht haben. Der Handwerker war wenige Tage zuvor von einem Stallgebäude gestürzt.

Eine Art Totenschrein für die verstorbenen Freunde

Wie eng die Bande zwischen dem Kerntrio und dem rechten Ehepaar waren, belegen auch die Hinweise, dass Susann und Andrè E. Beate Zschäpe nach dem Brand ihres letzten Unterschlupfes in Zwickau mit neuer Kleidung versorgten, außerdem errichteten sie in ihrer heimischen Wohnung eine Art Totenschrein für die beiden verstorbenen Freunde. Susann E. könnte sicherlich einige unklare Frage zum geheimen Leben des NSU in Sachsen beantworten, doch die Generalbundesanwaltschaft ermöglicht es ihr und den anderen zu schweigen. Denn die beschuldigten Neonazis profitieren von der zögerlichen Haltung, sie können so ganz einfach vom Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch machen.

Mit Hochspannung wird im NSU-Verfahren in München auf die angekündigten Aussagen der Hauptangeklagten Beate Zschäpe als auch ihres Mitangeklagten Ralf Wohlleben gewartet. Aufklärung bei der Enttarnung des rechten, militanten Helfernetzwerkes erwarten von ihnen wohl nur die wenigsten. Zu fest scheinen beide in Milieu oder Ideologie verankert. Gerade im Rückblick auf die bisherigen Aussagen ihrer Mitangeklagten Andre E. und Holger G. muss der Wahrheitsgehalt der angekündigten Aussagen genauestens  hinterfragt und überprüft werden.

Zwickauer NSU-Helfer kein einfacher Mitläufer

So soll Andre E. bei seiner Verhaftung Ende 2011 gegenüber Beamten angegeben haben, bereits 2001 ausgestiegen zu sein. Diese Behauptung entspricht nicht der Realität, sie könnte dem Selbstschutz gedient haben. Im Münchner Prozess schweigt E. seit Beginn. Obwohl der Angeklagte bis zuletzt Kontakt  zum Trio hatte, befasst sich das Gericht relativ wenig mit seiner Person. Dabei waren Andre E. und auch sein Zwillingsbruder Maik nie einfache Szene-Mitläufer. Bereits frühzeitig organisierten sie eine eigene Kameradschaft im Erzgebirge, propagierten per eigener Zeitung den weißen Rassenkrieg und bauten sich bundesweite Kontakte auf.

Auf dem Computer von Andre E. wurde inzwischen eine Einladung zu einer völkischen Veranstaltung mit Abendprogramm und einer Führung durch die Burg Schönfels gefunden, die ihm zugeordnet wird. Ein Vortrag sollte über „Artgemeinschaften und germanische Bräuche“ aufklären und „völkische Tänze“ sollten vorgeführt werden. Die Kontakttelefonnummer in der Einladung wurde den Behörden zufolge zum damaligen Zeitpunkt vom Angeklagten benutzt. Wenige Monate später reiste E. mit Familie zur Sommersonnenwende der „Artgemeinschaft – Germanische Glaubensgemeinschaft“ nach Ilfeld. Den Zugang zu dieser äußerst konspirativen Organisation erhalten nur Gäste, die langfristig über die nötigen Kontakte verfügen.

Fotos, die ebenfalls bei E. gefunden wurden, zeigen eine Gruppe von Neonazis in Schweden 2005. In den Medien war bereits zu lesen, dass André E.s Neonazi-Bruder sich in dem Jahr am so genannten „Salem-Marsch“ beteiligte. Diese Aufnahme aber zeigt vier Männer beim Hitlergruß in Schweden. Sie sind zum Teil vermummt. Die beiden in der Mitte sehen sich sehr ähnlich, sind jedoch unscharf. Ob es sich dabei um die Zwillingsbrüder handelt, lässt sich so nicht zweifelsfrei klären. Doch die Frage ist spannend, da der NSU für sein Bekennervideo auch eine Videosequenz des Salem-Marschs 2005 nutzte. Unklar ist bisher, wer Urheber der Dateien ist und von wem die Filmaufnahmen stammen?

Neue DVD belegt umfangreichen Austausch von Dateien

Der aufgefundene Ordner „Schweden“ bei André E.  umfasst 61 Bilddateien, 11 Videodateien und zwei Audiodateien. Überwiegend soll das Material von eben diesem Gedenkmarsch der Neonazi-Szene in Salem handeln. Doch „eine eindeutige Identifizierung“ anhand der Fotos sei nicht möglich, so das Fazit der Spezialisten vom Bundeskriminalamt.

Tatsächlich ist seit langem klar, dass  E. und das Trio sich sehr vertraut haben müssen, denn sie tauschten auch Dateien mit privaten und rechten Inhalten aus.  Eine im Zwickauer Brandschutt aufgefundene externe USB-Festplatte, „EDV 11“, enthält dieselben Bilderordner wie zwei Festplatten, die bei Andre E. festgestellt wurden. Eine zunächst falsch etikettierte DVD, die nun vom BKA ausgewertet wurde, bestärkt diese Vermutung noch. So soll die Generalbundesanwaltschaft den Datenaustausch zwischen mutmaßlichem Helfer und Kernzelle nochmal bestätigt haben und darüber hinaus habe es auch noch einen Austausch einer Vielzahl von rechtsextremen und nationalsozialistischen Publikationen gegeben. Auch die rassistischen „Turner Tagebücher“ sollen demnach zwischen E.s Wohnsitz in Zwickau und dem Unterschlupf des NSU getauscht worden sein.

SMS belasten „ausgestiegenen“ Unterstützer

Der willige Helfer und Mitangeklagte Holger G. aus Lauenau bei Hannover zeigte sich reuig zu Prozessbeginn. Ebenso wie E. will er ausgestiegen sein, genoss sogar zeitweilig den Zeugenschutz des BKA. Dabei war früh klar, dass G. seine Kontakte auch bis in die militante Neonazi-Szene nicht aufgab. Neue Erkenntnisse der ermittelnden Behörden bestätigen nun, dass G. die rassistische Ideologie bis zuletzt mit seinen Freunden Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe teilte. Eine 2011 sichergestellte Speicherkarte seines damaligen Sony Ericsson-Handys belastet G. So verschickte er noch am 2. November 2011 – also zwei Tage vor dem Tod von Böhnhardt und Mundlos in Eisenach und der Enttarnung des NSU – eine SMS mit folgendem Inhalt: „Ein weißer mann schrieb einmal an die wand des rathauses in jena. Nur scheiße ist braun, und neger auch (smilys) . So urlaub war gut und erholsam jeden tag 10 stunden schlafen usw.  Lediglich meine frau hat mich ausgeplündert (smily). Wie geht’s wie stehts?“ Zudem fanden sich im Gerätespeicher und auf der Speicherkarte  des Telefons Bilder des Reichsadlers, von Hakenkreuzen und der Reichskriegsflagge, ferner Audiodateien der Bands „Stahlgewitter“und „Gigi &  die braunen Stadtmusikanten“ aus Meppen sowie diverse Audiodateien mit rechtsextremen Sprüchen, Witzen und Parolen.

Vertreter der Nebenklage im Prozess vor dem Oberlandesgericht in München gehen davon aus, dass G. nicht die Wahrheit sagte, als er nach seiner Einlassung in der Hauptverhandlung behauptete, sich nach seinem 30. Geburtstag im Jahr 2004 endgültig von der Szene gelöst zu haben. Die Juristengruppe, die Ende Oktober 2015  einen dementsprechenden Beweisantrag einbrachte, ist der Ansicht, dass der Angeklagte niemals ausgestiegen ist und weiterhin eine Nazi-Ideologie hegt. Ihren Antrag untermauern sie mit zahlreichen Belegen und Fotos, die G.s politische Aktivitäten nach 2004 aufzeigen. Die Verteidigung des Angeklagten baut aber anscheinend darauf auf, dass er sich geläutert zeigt und angibt, parallel zum Szene-Ausstieg auch den Kontakt zum Trio verringert zu haben. Es könnte aber augenscheinlich anders ausgesehen haben, womöglich hat der schlaksige Mann den Terror des NSU auch aus tiefster politischer Überzeugung unterstützt?

Immerhin will Holger G. nach eigenen Angaben mit dem Trio noch 2006  in den Urlaub gefahren sein. Im selben Jahr gab er den AOK-Ausweis der Freundin eines Kameraden aus Hannover an Beate Zschäpe weiter. Zuletzt 2011 versorgte der Getreue G. noch Uwe Böhnhardt mit seinem eigenen neuen Reisepass. So handelt kaum jemand, der mit einer rechten Untergrundtruppe nichts zu tun haben will – eher einer, der deren Fanatismus und Überzeugung teilt.

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