Verschwörungsideologischer „Silberjunge“
Der AfD-nahe, verschwörungsideologische Publizisten Thorsten Schulte hat sich am Samstag in einer Rede vor Kritikern der Corona-Einschränkungen in Dortmund als vermeintlich Linker von Rechts präsentiert. Er rief zur Bildung einer Querfront auf.
Der auch als „Silberjunge“ firmierende Autor und Redner gastierte bei den „Corona Rebellen“ eines Dortmunder Bündnisses aus den Gruppen „Nicht ohne uns“ und „Querdenken 231“. (bnr.de berichtete) Obschon die Veranstalter nach eigenen Angaben „extremistische Links- und Rechtsradikalität [...] kategorisch“ ablehnen, wurden auf der Kundgebung unter anderem Songs der extrem rechten Liedermacherin Julia Juls sowie des „identitären“ Rappers Chris Ares abgespielt. Der rechtsextreme YouTuber und ehemalige NPD-Mann Carsten Jahn aus dem Bergischen Land streamte Teile der Kundgebung mit rund 150 Teilnehmern live im Internet.
Ein Redner vor Schulte sprach von einem „aggressiven Virus“, das es aber nur in den „staatlichen Medien“ gebe. Jenes Virus zeige sich in der „medialen Komplizenschaft“ mit der Politik und es komme „noch ein großer Kampf auf uns zu“, so der sich als Journalist vorstellende Mann. Jener Redner, Andy F., ist Mitwirkender des sich unabhängig nennenden, verschwörungsideologischen „Freien-Medienportals“ (FMP). Bei einer Eventfirma aus Lünen kann er laut bnr.de-Recherchen als DJ für Feierlichkeiten gebucht werden. In seiner Rede deutete F. an, seit langem im Journalismus tätig zu sein – gleichwohl handelt es sich bei ihm nicht um einen Journalisten gleichen Namens, der seit den 1980er Jahre für renommierte Medienhäuser tätig ist. In Dortmund rief der Medienaktivist Andy F. in seiner Rede am Samstag zur „Revolution“ auf.
„Die Schweigespirale der Medien“ durchbrechen
Ganz so radikal wollte der in Hamm lebende Schulte danach nicht wirken. Gegen 15.00 Uhr ergriff er das Mikrophon und sollte es für 70 Minuten nicht mehr aus der Hand legen. In den letzten Jahren eher durch Reden und Gastauftritten bei der AfD aufgefallen, rief er nun zur Querfront zwischen Linken und Rechten auf. Der frühere Unternehmensberater und Investmentbänker gab sich dabei geläutert, präsentierte sich in seinem Sinne sogar antikapitalistisch.
Er liebe die „Wahrhaftigkeit“, sagte er. Mit seinem Auftritt am 1. Juni vor Pegida in Dresden habe nur die „Schweigespirale der Medien“ durchbrechen wollen, die ihn als Bestseller-Autor totschweigen würden. Sein am 25. Juni publiziertes und gemeinsam aufgenommenes Video mit dem völkisch-nationalistischen und rechtsextremen Rapper Chris Ares sei nur zustande gekommen, weil der befreundete Sänger sich von „Gewalt distanziert“ habe. Politik und Medien warf Schulte demgegenüber „teuflische Verdrehungen“ vor. Worte würden sinnentstellt. In Wahrheit sei die Demokratie heute keine solche mehr, sondern eine „Meinungsdiktatur“ und Politiker behaupteten, nur das beste für die Menschen zu wollen, würden aber das Gegenteil tun.
Vermeintlicher Antikapitalismus
Schulte wusste am Samstag genau, was er wie sagen musste. Teile der Rede wirkten wie eine Werbeshow für seinen YouTube-Kanal und sein Buch, das er am Ende zudem Käufern signierte. Ansonsten lieferte er ein Potpourri ab aus einem intellektuell wirken sollendem Referat, Populismus und einem Hauch von Demagogie. Sein vermeintlicher Antikapitalismus und die Kritik an der Finanzwirtschaft, an global agierenden Konzernen und gegen die Reichen und Mächtigen zielte gleichwohl weder auf den marktradikalen US-Präsidenten und Milliardär Donald Trump ab, noch auf die Neoliberalen in der AfD.
Auch sonst argumentierte Schulte am Samstag in Dortmund, wie es ihm nutzte. Die Medien? Lügen. In der Politik? Da sei der „Schmutz“ und auf den weise er hin. Zugleich nutzte er Politikerzitate aus den Medien oder erklärte einzelne Fragmente aus Spekulationen und strategischen Gedankenspielen von Politikern und Wissenschaftlern zu Fakten, mit denen er dann die eigene Verschwörungserzählung untermauerte. Manches verpackte er geschickt hinter Fragen oder harmlos wirkenden, ironischen Anspielungen. Zwischendurch streute er immer wieder Codewörter oder Namen ein, die die Kritik an Kapitalismus und Globalisierung zum Teil auch antisemitisch interpretierbar werden ließ bei seinen Anhängern.
„Pläne zur Vertiefung der Fremdbestimmung“
„Fremdbestimmt“ sei man, sagte Schulte angelehnt an den Titel seines Bestsellers. Die Mächtigen, meinte er, sehnten sich Krisen herbei, um ihre „Pläne der Vertiefung der Fremdbestimmung“ zu verwirklichen. Schon 2010 habe das Haus Rockefeller eine „Blaupause“ zum Umgang mit einem Virus vorgelegt, die Regierungen seien also frühzeitig informiert gewesen und müssten später nur noch „Pläne“ aus der Schublade ziehen. Hinweise folgten auf den Philanthropen und Verfechter für eine offene, liberale Gesellschaft, George Soros. Dass dieser Jude ist, erwähnte Schulte nicht. Ihn und andere – siehe Rockefeller– nannte der Verschwörungsideologe am Samstag gleichwohl „Spindoktoren“ und „fremde Einflüsterer“, Strippenzieher und Puppenspieler. Bundeskanzlerin Merkel sei in Wahrheit „nur eine Marionette“. Jene Verflechtungen stünden für eine „Reichstumsherrschaft, die voller Fremdherrschaft und Täuschung ist“.
Schon am 7. Juni war Schulte Redner bei einer ähnlichen Demonstration in Leonberg bei Stuttgart. Und Dortmund dürfte nicht das letzte Gastspiel vor einer solchen Klientel gewesen sein. Kürzlich hatten die „Corona Rebellen“ in Düsseldorf in ihren internen Chats mitgeteilt, den „Silberjungen“ als Redner einladen zu wollen. Außerdem rief Schulte am Samstag in Dortmund dazu auf, am 1. August eine „Großdemo“ in Berlin gegen die Corona-Maßnahmen zu besuchen. Die „Spaltung“ zwischen Rechten und Linken müsse man „überwinden“. Kommunisten und Nationalsozialisten hätten gleichwohl in jener neuen „APO 2.0“, die im Dienste der „Aufklärung 2.0“ stehe, keinen Platz. Es gehe darum, „Massen“ zu mobilisieren, denn dann könnten die Regierenden nicht mehr alles entscheiden.