Kriminelle Vereinigung
Verschwörungsideologien sowie Gewalt- und Tötungsphantasien
Vor dem Landgericht Mühlhausen ist der Prozess gegen zwei Männer aus der „Reichsbürger“-Szene wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung eröffnet worden. Zu der inkriminierten Gruppierung sollen auch zwei ehemalige Kreistagskandidaten der AfD und die Betreiberin einer Pferde-Ranch gehören.

In Fußfesseln werden die Angeklagten Steffen S. und Mike H. in den Verhandlungssaal des Landgerichts Mühlhausen geführt. Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen findet hier der Auftakt des Prozesses statt, in dem sie sich wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung als Rädelsführer und versuchter Nötigung bzw. Erpressung verantworten müssen. Doch bevor der Staatsanwalt die Anklageschrift verlesen kann, beschäftigen Anträge der Verteidigung die Vorsitzende Richterin. Das Verfahren solle eingestellt und die Anklage in Teilen nicht öffentlich verlesen werden, eine Verteidigerin zaubert einen Befangenheitsantrag aus dem Hut.
Knapp eine Stunde nach Beginn der Verhandlung startet dann die Verlesung der Anklage. Der Staatsanwalt rechnet den 52-jährigen Landwirt Steffen S. und den zwei Jahre älteren Mike H. der „Reichsbürger“-Szene zu. Ihre Ablehnung der Bundesrepublik sei auch die gemeinsame ideologische Grundlage für den Zusammenschluss mit zwölf anderen gesondert Verfolgten. Angeklagt sind insgesamt mehr als 300 Fälle, in denen S. aus Mühlhausen und H. aus Erfurt Drohschreiben an die Behörden verfasst haben sollen.
"Systemuntergang" erhofft
Dabei habe nicht nur die ideologische Haltung eine Rolle gespielt, sondern auch ein Gewinnstreben der Angeklagten. Beide hatten offenbar hohe Schulden, bei S. wurde zwischenzeitlich das Konto gepfändet. Anders als der selbst ernannte „Kommissar für Menschenrechte“ Mike H., der schon 2012 mit typischen „Reichsbürger“-Schreiben aufgefallen war, habe sich S. ab 2019 radikalisiert. Ein Jahr später habe er die Systemfrage gestellt, die Corona-Pandemie und der Angriffskrieg auf die Ukraine hätten für eine weitere Radikalisierung gesorgt. Er habe sich einen Systemuntergang erhofft, der seinem Handel mit Edelmetallen wirtschaftlichen Auftrieb geben sollte. Auch zur Lösung anderer Finanzprobleme seiner Familie habe er mit dem systematischen Verfassen von Drohschreiben im „Reichsbürger“-Duktus begonnen und dafür auch andere Familienmitglieder wie die Ehefrau, Tochter und den Sohn beteiligt.
Wenig später sei die Gruppierung in die militante Coronaleugner Szene erweitert worden. Spätestens 2022 sei dann H. der Gruppe beigetreten und neben S. zu ihrem Anführer avanciert. Gegen die anderen zwölf mutmaßlichen Mitglieder der Gruppierung wird noch ermittelt, in der Anklage werden sie „Gesondert Verfolgte“ genannt.
Dazu gehören Heike E. und Manfred D., die 2019 für die AfD zur Kreistagswahl im Unstrut-Hainich-Kreis kandidiert hatten. Während E. vor allem für die Verwaltung und als Schreibkraft zuständig gewesen sein soll, habe ihr Ehemann Manfred D. als Prozessbeobachter fungiert. Auch Yvonne B. gehört zu den gesondert Verfolgten. Sie betreibt im Eichsfeld einen Pferdehof, auf dem im Juni 2023 ein großes „Reichsbürger“-Vernetzungstreffen mit knapp 200 Teilnehmer*innen stattfand.
Es blieb nicht bei Drohbriefen
Die Staatsanwaltschaft attestiert B. eine „zentrale Rolle“ in der Szene. Zwischen 2020 und 2023 sei ein enger Kontakt zwischen ihr und dem Landwirt S. entstanden, auf der Ranch fanden offenbar Stammtische von Coronaleugnern mit bis zu 100 Personen statt. Ihren Schriftwechsel habe S. bearbeitet und wohl auch auf die „Reichbürger“-Methode zurückgegriffen. Als Absenderin entsprechender Schreiben liefen zeitweise 26 Ermittlungen wegen Rechtsbeugung.
Den beiden Angeklagten und den gesondert Verfolgten attestiert die Staatsanwaltschaft verbale und körperliche Aggressionen gegen Behördenvertreter*innen, Verschwörungsideologien, Zersetzungs- und Einschüchterungsmethoden, Gewalt- und Tötungsphantasien sowie eine gefährliche Nähe zu Waffen. Bei den Maßnahmen hätten sie es nicht bei Drohbriefen belassen. Dazu zählen auch gewaltsame Attacken wie der Anschlag auf einen Steuerfahnder, für den die Gruppierung zwei Kleinkriminelle angeheuert haben soll. Lediglich einer der gesondert Verfolgten habe sich später von der Gruppierung distanziert. Für den Prozess vor dem Landgericht sind bislang Termine bis zum 10. Juli dieses Jahres angesetzt.