Verschwiegener bester Kamerad
Im NSU-Verfahren geben Neonazi-Zeugen ungehindert die Ahnungslosen und gerieren sich als Aussteiger – so auch der Immobilienhändler Alexander S. Seine Aussagen sind mehr als zweifelhaft.
Sie sind beste Freunde, sogar Kameraden. Der eine, Holger Gerlach, kaufte der Frau des anderen für 300 Euro die Krankenkassenkarte ab und gab sie weiter an seine Freundin, die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe. Die nutzte sie zum Überleben in der Illegalität. Und dennoch will der beste Freund und Kamerad Alexander S., gelernter Kaufmann aus Hannover – er fuhr jahrelang mit „Holli“ zu Demonstrationen und Konzerten, sie konsumierten gemeinsam Drogen, telefonierten 2011 in wenigen Monaten 95 Mal zusammen – nicht mal nachgefragt haben, wofür die Krankenkassekarte dienen sollte?
Diese Kernthese tischte Alexander S. dem Senat des Oberlandesgerichtes in München unter Vorsitz von Richter Manfred Götzl auf. Götzl kennt die Neonazi-Szene nicht, sie interessiert ihn im Allgemeinen auch nicht besonders. Sonst könnte er wissen, dass politische Geheimnisse in engen Kameradenkreisen geteilt werden. Es gibt Tabus, aber selten wird individuell vorgegangen. Untergrund und Straftaten zählen zum Kampf der Szene. Wenn ein Neonazi dem anderen persönliche Papiere oder Waffen übergibt, dann gehört das ebenso zur politischen Strategie wie Falschaussagen vor Gericht.
Seit früher Jugend Nationalsozialist gewesen
In München aber wird gegen auffällige Erinnerungslücken und offenkundige Lügen von Neonazi-Zeugen wenig Druck gemacht. Immerhin ist der Zeuge Alexander S. bereits wegen einer Falschaussage zu Jugendarrest verurteilt worden. Er steht dem Angeklagten besonders nahe, hat Kontakt zum Gerlach-Verteidiger aufgenommen, einen Besuchstermin im Knast beantragt und nach eigenen Angaben und denen seiner Ehefrau, den mutmaßlichen Terrorhelfer Gerlach mehrere Male im Zeugenschutz des BKA getroffen. Bei diesen Meetings, eines fand noch am Tag von Gerlachs Entlassung aus der Untersuchungshaft statt, sei dann aber nur belangloses Zeugs in einer Eisdiele oder im Seehaus in Isernhagen besprochen worden, „wer der neue Superstar wird oder über Bauer sucht Frau“. So will er es dem Gericht weismachen. Man habe nur nebenbei über die Vernehmung Gerlachs durch das Landeskriminalamt in Niedersachsen gesprochen.
Arrogant versuchte der bis an den Hals tätowierte langjährige Neonazi im Zeugenstand den Eindruck zu vermitteln, sein Freund Holger Gerlach und er verfügten längst nicht mehr über Szene-Kontakte und hätten auch niemals richtig tief drin gesteckt im braunen Sumpf. Zudem betonte der clevere Redner, der seinen Spitznamen mit „Bäbie“ angibt, immer wieder den starken Drogenkonsum, so als habe „Holli“ gar nicht gewusst, was er da eigentlich mit der verhängnisvollen AOK-Karte getan habe.
Alexander S. räumte offen ein, seit früher Jugend Nationalsozialist gewesen zu sein, er lernte im Stadtteil Langenhagen Kameraden kennen und stieß später zur berüchtigten „Kameradschaft Algermissen“ von Tanja Privenau.
Die Namen von „Blood&Honour“-Größen gekannt
Als der Neonazi Dieter Riefling Ende der 1990er Jahre von der „Arischen Bruderschaft“ um Thorsten Heise verprügelt worden war, gehörte S. zum bewaffneten Pulk von „Blood&Honour“-Anhängern, die sich auf nach Northeim machten, um den Hildesheimer B&H-Anführer zu rächen. Auch daran erinnert sich S. Er nennt die Namen anderer damals führender Aktivisten. So kannte S. die Größen von „Blood&Honour“, besuchte wohl auch „Hammerskin“-Konzerte, will aber nirgends wirklich mitgemacht haben.
Etwa 1999 habe er den aus Jena nach Hannover gezogenen Neonazi Holger Gerlach kennengelernt, der stammte aus den Reihen des „Thüringer Heimatschutzes“ (THS) und war ebenso Polit-Routinier wie er. Auch Gerlach verfügte über radikalste Kontakte. Gemeinsam kannten sie Markus Z., damals „Blood&Honour“-Aktivist und Musikhändler. Gerlach stellte seinem Freund in Hannover Ralf Wohlleben vor und zeigte seine Enttäuschung über den als Spitzel enttarnten THS-Anführer Tino Brandt. Von Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos aber will S. nichts gewusst haben. S. kennt viele Details und Schwächen („kleines Spielproblem“, „Ecstasy und Speed“) aus dem Leben Gerlachs, aber von Urlauben oder Geldzuwendungen dann doch nichts. Im Laufe der Vernehmung mehren sich die Widersprüche in S.s Aussage und vor allem auch die Anzeichen für offensichtliche Lügen.
So behauptet S., sich mit Ausländern angefreundet und mit Juden zusammen gearbeitet und sich daher von der Neonazi-Szene entfernt zu haben. Das sei etwa 2004 gewesen. Im selben Jahr aber fuhr er mit Neonazis wie Sebastian Walther aus Hannover zur Feier des 30. Geburtstags von Gerlach ins „Braune Haus“ nach Jena. Der mutmaßliche Aussteiger brachte sogar die Sägespäne für das Feierritual des Treppenfegens mit, daran erinnert er sich noch. Auf die Nachfrage einer Nebenklage-Vertreterin, dass das doch rechtes Umfeld sei, kontert der Zeuge selbstbewusst: „Sind Sie schon mal aus Versehen auf so einer Feier gewesen?“
Freund trägt Shirt der rassistischen „Artgemeinschaft“
Zu Sebastian Walther, genannt Bassi, will der Zeuge S. dann keinen Kontakt mehr gehabt haben, wenig glaubwürdig, weil bei Gerlach beschlagnahmte Photos die Clique immer wieder gemeinsam zeigten. Noch im November 2011 lud „Bassi“ Gerlach zur Mitreise zum „Hammerskin“-Konzert nach Mailand ein. Die Anreise sollte über Düsseldorf erfolgen, ein Auto mit Kameraden müssten sie voll bekommen. Auch an den Neonazi Manuel Bense aus Lauenau, genannt „Manni“, erinnert sich der Zeuge kaum. Als ihm Photos vorgelegt werden, die Manni mit „Combat 18“-Shirt 2006 in Bad Nenndorf zeigen, erkennt er Terrorgruppe und Neonazi. Noch am 5. November 2011 hatte Bense Gerlach eine warnende SMS mit dem Inhalt „Die bullen stehen bei euch vorm haus“ geschickt. Auch den Chef der verbotenen Kameradschaft „Besseres Hannover“, Marc-Oliver Matuszewski, will S. seit 2005 nicht mehr kennen, man habe sich nur noch ein paar Mal in der Stadt getroffen. Sein enger Kumpel Gerlach dagegen besuchte kurz vor der Verhaftung 2011 mit Kameraden noch einen Prozess gegen Matuszewski.
Alexander S.s Ehefrau hatte als verbliebenen Freund ihres Ehemannes in einer ersten Befragung vor dem OLG München den Tätowierer Sascha O. benannt. Doch auch der entpuppt sich inzwischen als szenenah. Dessen Laden in Hannover gilt als Treffpunkt auch für rechte Hooligans. Vor Gericht versuchte S. offen zu relativieren, Sascha O. sei bestimmt kein Rechter. Als ihm die Nebenklage ein Foto zeigte, auf dem der Tätowierer ein Shirt der extrem rassistischen „Artgemeinschaft – Germanische Glaubensgemeinschaft“ trägt, wird das Verhalten des Zeugen ganz offensichtlich.
Doch Richter Götzl droht ihm weder Beugehaft bei Aussageverweigerung noch Bestrafung bei Falschaussage an. Wenn die Nachfragen der Nebenklage-Vertreter dagegen in Richtung „Blood&Honour“ oder „Combat 18“ gehen, interveniert der Vorsitzende schnell. „Können Sie mir erklären, wie hier der Bezug zum Verfahrensgegenstand ist“, fragt er, als Rechtsanwalt Yavuz Narin das Foto eines befreundeten Kameraden mit dem Konterfei der Terrortruppe vorlegt. Narin kontert: „Blood&Honour predigte die Strategie des NSU. Gerlach und der Zeuge weisen eine Nähe dazu auf“. Er darf weiterfragen. Am späten Nachmittag wird Alexander S. dann entlassen.