Rezension

Veröffentlichung vor hundert Jahren: „Das Spinnennetz“

Joseph Roths Roman „Das Spinnennetz“, der vor hundert Jahren erschienen ist, thematisiert den Aufstieg des Nationalsozialismus und Rechtsextremismus in der Weimarer Republik. Die Charakterzeichnung der Hauptfigur steht für eine Mitläuferfigur. Deren Ideologisierung lässt Verlaufsformen erkennen, welche auch den Rechtsextremismus der Gegenwart prägen.

Freitag, 27. Oktober 2023
Armin Pfahl-Traughber
Der österreichische Autor Joseph Roth im Jahr 1926
Der österreichische Autor Joseph Roth im Jahr 1926

Vor hundert Jahren erschien erstmals Joseph Roths „Das Spinnennetz“, ein früher literarischer Beitrag zum aufkommenden Nationalsozialismus und Rechtsextremismus in der Weimarer Republik. Eine Buchausgabe kam indessen erst 1967 auf den Markt. Die „Arbeiter-Zeitung“ (Wien) druckte den Fortsetzungsroman vom 7. Oktober bis 6. November 1923 ab. Jahrzehntelang wussten daher nur wenigen Kenner um diesen ersten Roman von Roth. Er wurde 1894 geboren und stammte aus einer jüdischen Familie. Nach einem Literatur- und Philosophiestudium schrieb Roth für verschiedene Zeitungen. Anfang der 1920er Jahre verließ er dann Österreich, bot ihm doch Berlin ein größeres Wirkungsfeld. Dort nahm er auch die politische Entwicklung des damaligen rechtsextremistischen Lagers intensiv wahr. Als „Der rote Joseph“ schrieb Roth auch für den „Vorwärts“, was seine eher linke politische Verortung erklärt. Gleichwohl war er kein theoretisch gefestigter Sozialist. Bereits am 30. Januar 1933 emigrierte Roth nach Frankreich, wo er 1939 verarmt und vereinsamt starb. Heute zählt er zu den bekanntesten österreichischen Schriftstellern.

Sein Fortsetzungsroman „Das Spinnennetz“ schildert eine rechtsextremistische Verschwörung. Ausgangspunkt der Handlung ist die Hauptperson, ein Leutnant Theodor Lohse. Er kehrt halt- und perspektivlos aus dem Krieg zurück, muss bei einer jüdischen Familie als Hauslehrer arbeiten und findet Kontakt zu dem aufkommenden nationalistischen Milieu. Lohse wird Mitglied einer geheimen „Organisation S II“ und erfährt dort persönliche Wertschätzung. Immer mehr verstrickt er sich in deren Machenschaften. So denunziert Lohse einige Linke bei der Polizei, ermordet einen Konkurrenten in der Organisation und steigt ebendort zu einer wichtigen Figur auf. Lohse zeigt sich immer mehr berauschst von der erfahrenen Macht über andere Menschen, niederträchtig und skrupellos kann er hochrangige Funktionen in diesen politischen Kreisen einnehmen. Gar als „Chef des Sicherheitswesens“ darf sich Lohse verstehen. Gleichzeitig geht er als offizieller Polizeiangehöriger gegen Linke vor. Schließlich nimmt Lohse eine Führungsfunktion im nationalistischen Lager ein. Dann bricht die Romanhandlung ab.  

Psychogramm liefert Einsichten zur Erklärung des gegenwärtigen Rechtsextremismus

Eine Besonderheit in der literarischen Darstellung in „Das Spinnennetz“ besteht darin, dass die Ereignisse aus Lohses persönlicher Sicht gesehen werden. Dadurch entsteht ein plastisches Bild von der Charakterstruktur und Denkweise eines Mitläufers. Gleichwohl stellt eine solche Herangehensweise ein Risiko dar, einerseits kann sie auf eine Apologie, andererseits auf eine Psychologisierung hinauslaufen. Roth vermied auch direkte Wertungen. Sie ergeben sich aber indirekt durch die Darstellung eines brutal und skrupellos Handelnden. Sein Denken und Empfinden prägt den Romaninhalt. So heißt es etwa zu den antisemitischen Einstellungen: „Wie überhaupt die Juden seine langjährige Erfolglosigkeit verursacht hatten und ihn an der schnellen Eroberung der Welt hinderten“. Die Gründe für ein persönliches Scheitern werden projiziert, hier eben auf das Feindbild von den Juden. Die beschriebenen Ereignisse verraten den psychologisch reflektierenden Schriftsteller. Gerade das geschilderte Psychogramm macht den Roman heute noch lesenswert, liefert er doch auch Einsichten zur Erklärung des gegenwärtigen Rechtsextremismus.

Der Abdruck des Fortsetzungsromans endete nur kurz vor Hitlers gescheiterten nationalsozialistischen Putschversuch von 1923. Der Autor schildert seine Hauptfigur auch als einen Möchtegern-Hitler. Es heißt etwa: „Gläubiger waren sie, leichter entflammt, feurig, ehe sie kamen, lodernd, wenn sie aufgenommen waren. Eine Gefahr war Hitler. War Theodor Lohse eine Gefahr? Täglich nannten jenen die Blätter. Wann sah man Theodors Namen?“ Diese und andere Aussagen brachten dem Fortsetzungsroman später den Ruf ein, es habe sich um eine literarische Vision der kommenden Zukunft gehalten. Zu dieser Einschätzung kann man auch andere Wertungen formulieren. Gleichwohl sah Roth die Zukunft sehr realistisch. Bereits 1933 schrieb er in einem Brief an Stefan Zweig: „Inzwischen wird es Ihnen klar sein, daß wir großen Katastrophen zutreiben. Abgesehen von den privaten – unsere literarische und materielle Existenz ist ja vernichtet - führt das Ganze zum neuen Krieg. Ich gebe keinen Heller mehr für unser Leben. Es ist gelungen, die Barbarei regieren zu lassen. Machen Sie sich keine Illusionen. Die Hölle regiert.“

Joseph Roth, Das Spinnennetz (1923), München 2004 (deutscher taschenbuch verlag), 127 Seiten, 7 Euro

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