V-Mann mit langem Strafregister
Am Dienstag wird der NSU-Untersuchungsausschuss im Brandenburger Landtag vor der Sommerpause zu seiner konstituierenden Sitzung zusammentreten. Der Ausschuss soll unter anderem die Rolle eines früheren Neonazis und V-Manns untersuchen.
Im April wurde der Untersuchungsausschuss vom Brandenburger Landtag eingesetzt. Der Ausschuss unter Vorsitz von Holger Ruprecht (SPD) will unter anderem die Vorgänge um einen ehemaligen Neonazi und Spitzel des brandenburgischen Verfassungsschutzes im Zusammenhang mit dem NSU-Trio aufklären.
Der wegen Mordversuchs an einem Flüchtling im Gefängnis einsitzende Neonazi S. hatte sich 1994 dem brandenburgischen Verfassungsschutz als V-Mann angedient. S. war der wichtigste Hinweisgeber auf die späteren NSU-Terroristen. Um die Jahrtausendwende war er am Aufbau rechtsterroristischer Strukturen und der Planung von Anschlägen gegen politisch Andersdenkende beteiligt.
Führende Rolle beim „KuKlux-Klan“
S. war 1995 wegen gemeinschaftlich begangenen versuchten Mordes zu acht Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Fünfeinhalb Jahre, teils als Freigänger, saß er in der JVA Brandenburg ab. Am 8. Mai 1992 wurde der Flüchtling Steve E. im brandenburgischen Wendisch-Rietz von Neonazis mit Sprüchen wie „Heil Hitler!“ und „Jetzt mach’ ich den Neger platt!“ angepöbelt und dann zusammengeschlagen. Ihr bewusstloses Opfer warfen die Neonazis in den nahegelegenen Scharmützelsee. Der Notarzt rettete E.s Leben. S. (Jg. 1970) wurde für schuldig befunden, an der Aktion maßgeblich beteiligt gewesen zu sein.
Zum Zeitpunkt seiner Verurteilung war S. „Grand Dragon“ der „White Knights of the KuKlux Klan“ und „Bezirksführer“ des „Internationalen Hilfskomitees für nationale politisch Verfolgte und deren Angehörige“ (IHV). Zuvor amtierte er zeitweilig als Gefangenenbetreuer bei der konkurrierenden neonazistischen „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige“ (HNG). Vom Gefängnis aus hielt er regen Kontakt zu Gleichgesinnten. Mehrere Leserbriefe von ihm wurden in rechtsextremen Szeneblättern wie „Einheit und Kampf“, dem Mitteilungsblatt des Bundesvorstandes der Jungen Nationaldemokraten, veröffentlicht.
Militantes Neonazi-Blatt weiter betreut
Schon wenige Wochen nach Antritt seiner U-Haft diente sich der Verurteilte dem Verfassungsschutz als V-Mann an. Von Juli 1994 bis Sommer 2000 stand der Neonazi im Solde des Landes Brandenburg. In dieser Zeit kassierte er für seine Spitzeldienste 25 000 Euro
Unter den Augen des Verfassungsschutzes betreute S. im Gefängnis das von ihm veröffentlichte Neonazi-Blatt „United Skins“ ungehindert redaktionell weiter. Die Publikation galt als eine der militantesten in der Szene. Propagiert wurden „Blood&Honour“(B&H)-nahe Bands sowie deren CDs und Inhalte. In „United Skins“ wurde immer wieder Gewalt glorifiziert: „Nach unserer Einstellung haben die, die nur darauf bedacht sind, ihr Leben zu genießen, in dieser Zeit des Kampfes um Leben und Tod unserer Rasse das Überleben nicht verdient“, war in der 13. Ausgabe zu lesen.
Der Satz stammt aus dem 1978 veröffentlichten rechtsterroristischen Roman „The Turner Diaries“. Als „eines der sehr wenigen Beispiele für einen opferbereiten Aktivisten“ wurde in „United Skins“ der US-amerikanische Rechtsextremist Scott Scedeford gefeiert, der wegen mehrerer Banküberfälle zu 60 Jahren Haft verurteilt worden war. Scott gehörte der rechtsterroristischen „Aryan Republican Army“ an, die auch Kontakt zu Timothy McVeigh hielt. McVeigh verübte am 19. April 1995 den Bombenanschlag auf das Murrah Federal Building in Oklahoma City, in dessen Folge 168 Menschen starben. Inspiriert wurde McVeigh durch die Lektüre der „Turner Diaries“.
Möglicher Hinweis auf Waffenbeschaffung
Beteiligt war S. während seiner Inhaftierung auch an der Produktion der Neonazi-Zeitschrift „Der Weiße Wolf“. In dieser Publikation tauchte bereits 2002 die Abkürzung NSU auf; das ist die erste bislang bekannte Erwähnung des NSU. Ende August 1997 wurde S. in den offenen Vollzug verlegt. Der Verfassungsschutz stattete ihn mit einem Mobiltelefon aus. Am 25. August 1998 um 19.21 Uhr ging auf dem Telefon von S. eine vom Chemnitzer „Blood&Honour“-Sektionschef verschickte SMS ein: „Hallo, was ist mit den Bums?“ Das Wort „Bums“ wird als möglicher Hinweis auf eine Waffenbeschaffung gedeutet.
Die Waffe, auf die der Chemnitzer offenbar wartete, soll für das untergetauchte Neonazi-Trio bestimmt gewesen sein. Bei einer Telefonüberwachung von ihm war das thüringische Landeskriminalamt (LKA) auf das „Diensttelefon“ von S. gestoßen. Als Besitzer des Empfängertelefons ermittelte das LKA das brandenburgische Innenministerium. Daraufhin sah die Zielfahndung des thüringischen LKA von weiteren Maßnahmen ab. Nach einem Hinweis des Bundesamtes für Verfassungsschutz an den Brandenburger Verfassungsschutz am 25. August 1998 wurde das Telefon angeblich abgeschaltet und dem V-Mann ein neues Handy ausgehändigt. Die Nachricht soll ihn deshalb angeblich nicht mehr erreicht haben.
Von August bis Oktober 1998 informierte S. den Verfassungsschutz mehrfach über Bezüge zu dem Trio. Er sagte, dass es drei medienbekannte Flüchtige in Sachsen gebe, die mit geborgten Pässen nach Südafrika ausreisen wollen. Eine dieser Personen habe anonym einen Artikel für die B&H-Publikation „White Supremacy“ geschrieben. Nach einem Konzert der B&H-Sektion Südbrandenburg am 5. September 1998 in Hirschfeld meldete S. der Behörde, dass W. den Auftrag haben solle, „die drei Skinheads mit Waffen zu versorgen“. Das dafür erforderliche Geld habe die B&H-Sektion Sachsen bereitgestellt. Die Gelder stammen aus Einnahmen aus Konzerten und CD-Verkauf. Auch über mögliche Banküberfälle berichtete S.
„Combat 18“-T-Shirt bei NPD-Aufmarsch
Ende 1999 trat S. in die NPD ein. Er machte in der Partei schnell Karriere. Im November 1999 wurde er in den Kreisvorstand des NPD-Verbandes Spreewald gewählt. Im Auftrag des Verfassungsschutzes Brandenburg ließ er sich am 23. Januar 2000 in den Vorstand des NPD-Landesverbandes Berlin-Brandenburg wählen – und zwar als Landesorganisationsleiter.
Während seiner V-Mann-Zeit betätigte sich S. als Waffenzwischenhändler und besorgte dem Sänger der Skinband „Proissenheads“ ein Gewehr und Patronen. Die Waffe hatte er kurzzeitig in seinem Ladenlokal in Königs Wusterhausen deponiert. Am 9. Dezember 2002 wurde er vom Amtsgericht Potsdam wegen illegalen Waffenbesitzes zu einer Geldstrafe von 1800 Euro verurteilt.
Am 17. Juni 2000 war S. Mitorganisator eines NPD-Aufmarsches von 600 Neonazis. Er trug dabei ein „Combat 18“-T-Shirt. S.s großer Traum, so sein einstiger Neonazi-Weggefährte Nick Greger, war der Aufbau eines deutschen Ablegers von „Combat 18“, der militant gegen politische Gegner vorgehen sollte. Am 10. Juni 2000 wurde auf Anordnung der Staatsanwaltschaft Potsdam die Wohnung von Greger in Berlin durchsucht. Im Keller fanden die Fahnder eine funktionsfähige Rohrbombe, Material zum Bau einer weiteren Bombe und Propagandamaterial der „Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei/Auslands- und Aufbauorganisation“ (NSDAP/AO) aus den USA. Im Verhör berichtete Greger umfassend über die von S. und ihm gegründete konspirative Neonazi-Zelle, die sich bewaffnen und Bombenanschläge gegen politisch Andersdenkende durchführen wollte. Im Sommer 2000 wurde die V-Mann-Tätigkeit von S. enttarnt.
Solidaritätssingle für „verfolgte Kameraden“
Er hatte da schon eine lange rechtsextreme Vergangenheit hinter sich. Im September 1991 zelebrierte er gemeinsam mit Dennis Mahon, dem US-amerikanischen Imperial Dragon der „White Knights of the Ku-Klux-Klan“ (WKKKK), eine spektakuläre Kreuzverbrennung. Veranstaltet wurde das Spektakel in Halbe, Landkreis Königs Wusterhausen. Zum Zeitpunkt der Kreuzverbrennung war S. selbst Grand Dragon der „White Knights of the KuKlux-Klan“. Ziele seines Klans definierte der Kapuzenmann in dem österreichischen Skinzine „Stahlfront“: „Unsere Ziele sind: Schaffung eines deutschen Deutschlands ohne Verniggerung/gegen Rassenvermischung/gegen die verjudete Politik/gegen Fremdvölker/gegen Hetze aus Presse, Funk und Fernsehen gegen junge Deutsche!“
Am 8. Dezember 1991 waren in einer von S. angemieteten Wohnung in Berlin vier Rohrbombenkörper, chemische Substanzen und KKK-Flugblätter von der Polizei entdeckt worden. Die Generalbundesanwaltschaft leitete gegen S. und weitere 33 Klan-Beschuldigte ein Verfahren wegen des Verdachts auf Gründung beziehungsweise Mitgliedschaft oder Unterstützung einer Teilorganisation des amerikanischen KKK ein. Das Verfahren wurde jedoch später eingestellt.
Im Frühjahr 1994 erschien bei dem von S. geführten Label United Skins Records die limitierte Solidaritätssingle für „verfolgte Kameraden“ der Szeneband „Noie Werte“. Für ihre Bekenner-DVDs wählte der NSU Jahre später zwei Lieder von „Noie Werte“.