Notorische Shoah-Leugnerin

Ursula Haverbeck-Wetzel steht wieder einmal vor Gericht

Achteinhalb Jahre nach der erstinstanzlichen Verurteilung wird vor dem Hamburger Landgericht die Berufung von Ursula Haverbeck-Wetzel gegen eine Gefängnisstrafe wegen Volksverhetzung verhandelt. Die heute 95-Jährige hatte zum wiederholten Male bestritten, dass Auschwitz ein Vernichtungslager war. Wegen der überlangen Verfahrensdauer dürfte das Idol der Neonazi-Szene aber wohl sehr glimpflich davonkommen.

Freitag, 07. Juni 2024
Joachim F. Tornau
Ursula Haverbeck am Landgericht Hamburg mit ihrem Verteidiger Wolfram Nahrath, Foto: picture alliance/dpa/dpa Pool | Markus Scholz
Ursula Haverbeck am Landgericht Hamburg mit ihrem Verteidiger Wolfram Nahrath, Foto: picture alliance/dpa/dpa Pool | Markus Scholz

Auf dem Papier ist Ursula Haverbeck-Wetzel eine unbescholtene Bürgerin. Sie habe das auch nicht gewusst, gibt Richterin Judith Riede zu: Aber zum 90. Geburtstag bekommt man vom Staat ein blütenweißes Vorstrafenregister geschenkt. Alles getilgt, was da einmal eingetragen war. Wie viel das bei Haverbeck-Wetzel war, lässt sich an dem Leitz-Ordner ablesen, den Riede am Freitag im Hamburger Landgericht trotzdem an die Verfahrensbeteiligten verteilt. Er enthält sämtliche Urteile, die die 95-Jährige bereits kassiert hat, fast durchweg wegen Volksverhetzung. Er ist randvoll.

Ohne zu übertreiben, kann man sagen: Ursula Haverbeck-Wetzel hat ihr Leben dem Leugnen der Shoah gewidmet. Bis zum Verbot 2008 leitete sie das rechtsextreme Schulungszentrum „Collegium Humanum“ im ostwestfälischen Vlotho. Danach tingelte sie als Vortragsrednerin weiter durchs Land, veröffentlichte ein Video nach dem anderen und verkündete stur die immer selbe Botschaft: dass der millionenfache Massenmord der Nazis an den Jüdinnen und Juden Europas nicht bewiesen sei. Äußerlich die freundliche Oma, ideologisch von unvergleichlicher Verbohrtheit.  

Noch wach für ihr Alter

Was sie zur Ikone der Neonazi-Szene hat werden lassen, drückt Haverbeck-Wetzel im Hamburger Gerichtssaal so aus: „Ich habe 30 Jahre meines Lebens investiert.“ Die Witwe eines ehemaligen NSDAP-Funktionärs ist für ihre Mission sogar schon ins Gefängnis gegangen, in hohem Alter. Zweieinhalb Jahre lang saß sie ein, bis zum November 2020, da war sie 92 Jahre alt. Und das soll nicht das letzte Mal gewesen sein: Zwei weitere Verurteilungen zu Gefängnisstrafen schweben über der Rechtsextremen, die vor Gericht im Rollstuhl erscheint, aber immer noch wach und rüstig wirkt.

Über ihre Berufung gegen die ältere dieser beiden Verurteilungen wird nun in Hamburg verhandelt. Im November 2015, vor achteinhalb Jahren also, verurteilte sie das Amtsgericht der Hansestadt zu einer zehnmonatigen Haftstrafe wegen Volksverhetzung. Am Rande des Lüneburger Auschwitz-Prozesses gegen den ehemaligen SS-Mann Oskar Gröning hatte Haverbeck-Wetzel verkündet, Auschwitz sei „kein Vernichtungslager, sondern ein Arbeitslager“ gewesen. Dasselbe behauptete sie in einem ausführlichen Interview mit dem NDR-Magazin „Panorama“ – und beantwortete die Nachfrage, ob es denn dann keine Massenvernichtung der Jüdinnen und Juden gegeben habe, mit einem klaren „Nein“.

Einschlägige Kronzeugen

Beim Prozessauftakt werden die Fernsehbilder gezeigt. Haverbeck-Wetzel nickt, als sie ihre Sätze von damals hört, protestiert nur, als ihr Alter genannt wird. Nicht mehr 86 Jahre sei sie alt, sondern fast 96. Was die Seniorin, adrett gekleidet in schwarzem Kostüm und weißer Bluse, dann zum Anklagevorwurf sagt, könnte sie wohl auch im Schlaf erzählen, so oft hat sie es heruntergebetet. „Ich habe nie den Holocaust geleugnet, ich habe lediglich Fragen gestellt“, sagt sie. Man müsse „sachlich untersuchen“, was tatsächlich passiert sei. Als sei das eine offene Frage. Und die Justiz müsse dabei, so wie sie selbst es getan habe, auch mit „der Gegenseite“ sprechen. Als Kronzeugen beruft sich die Angeklagte auf prominente Shoah-Leugner wie Germar Rudolf, Wilhelm Stäglich oder Udo Walendy, fast allesamt längst gestorben. Eine Entschuldigung hat Haverbeck-Wetzel aber auch parat: Seit ihren „furchtbaren Stürzen“ würden ihr manchmal nicht mehr die richtigen Worte einfallen, das tue ihr leid.

Staatsanwältin Friederike Brümmer hat zu alledem nur eine einzige Frage: „Haben Sie Auschwitz jemals selbst besucht?“ „Nein“, antwortet die Angeklagte. Aber dafür habe sie Menschen, die wie sie wegen Volksverhetzung verurteilt worden seien, besucht, im Gefängnis.

200 Bücher sollen angeblich Position Haverbecks stützen

Verteidigt wird die notorische Shoah-Leugnerin wie zuletzt immer von Szene-Anwalt Wolfram Nahrath. Seine Mandantin sei „verzweifelt“, sagt er, weil die Shoah vor Gericht stets als „offenkundige Tatsache“ gelte – und Beweisanträge, mit denen sie das in Zweifel ziehen möchte, deshalb grundsätzlich abgelehnt werden. „Ihre zentrale Aussage ist, dass unklar ist, was da stattgefunden hat.“ Es gebe 200 Bücher, behauptet Nahrath, die die Position der Angeklagten stützen würden. „Frau Haverbeck beklagt, dass dieser Diskurs unterbunden worden ist.“ So formuliert man, wenn man sich selbst nicht strafbar machen möchte.

Den Vorschlag des Gerichts, den Schuldspruch aus dem Jahr 2015 zu akzeptieren und die Berufung auf das Strafmaß zu beschränken, lehnt Haverbeck-Wetzel ab. Stattdessen fordert ihr Anwalt, das Verfahren ganz einzustellen. „Ich bitte hier nicht um Gnade, das würde auch Frau Haverbeck nicht wollen“, sagt er. Doch eine weitere Haftstrafe würde für eine 95-Jährige „lebenslänglich“ bedeuten.

Ladung zum Haftantritt

Dabei hatte die Strafkammervorsitzende Judith Riede zuvor bereits deutlich gemacht, dass der Prozess für die Angeklagte ohnehin sehr glimpflich ausgehen dürfte. Die überlange Verfahrensdauer, geschuldet unter anderem der Corona-Pandemie und krankheitsbedingten Ausfällen, sei wohl als rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung zugunsten von Haverbeck-Wetzel zu berücksichtigen. Hinzu kommt der Rabatt, den das deutsche Strafrecht Intensivtäter*innen gewährt: Was in Hamburg als Strafe herauskommt, muss mit der jüngsten Verurteilung der Shoah-Leugnerin zu einer Gesamtstrafe zusammengezogen werden. Im April 2022 verhängte das Berliner Landgericht eine einjährige Gefängnisstrafe, die Haverbeck-Wetzel nach dem Willen der Justiz auch tatsächlich antreten soll. Nach längerem Streit um ihre Haftfähigkeit ist eine Ladung zum Haftantritt in einem Justizkrankenhaus mittlerweile ergangen.

„Endlich Urlaub“ gefordert

Alles in allem, sagt Richterin Riede, könnte am Ende eine Gesamtstrafe stehen, die „faktisch, gegebenenfalls, möglicherweise“ auch nicht länger ausfalle als die bereits rechtskräftigen zwölf Monate Gefängnis. Am 26. Juni will das Landgericht sein Urteil verkünden. Bis dahin muss Haverbeck-Wetzel noch zweimal nach Hamburg kommen, zu ihrem Leidwesen. „Ich gehe auf die hundert zu“, sagt sie, „und möchte endlich einmal Urlaub bekommen.“

Im Saal sitzen etliche Gleichgesinnte, in einer Pause winken sie der Angeklagten freundlich zu. Die allermeisten von ihnen sind ähnlich betagt wie ihr Idol. Bei der erstinstanzlichen Verhandlung vor achteinhalb Jahren waren jedoch noch deutlich mehr gekommen. Es sind eben nicht alle so zäh wie Ursula Haverbeck-Wetzel.

Kategorien
Tags