Umfassende Einlassung angekündigt

Im Münchner NSU-Verfahren will Beate Zschäpe am Mittwoch aussagen. Die Nebenkläger erwarten von der Hauptbeschuldigten alles. Nur eines nicht – Aufklärung.

Dienstag, 08. Dezember 2015
Andreas Speit

Sie will reden. Ihre Stimme wird am 249 Verhandlungstag im Saal A 101 des Landgerichts München aber nicht zu hören sein. Die Hauptbeschuldigte im NSU-Verfahren Beate Zschäpe lässt ihren Rechtsbeistand Mathias Grasel eine Einlassung verlesen. Am Mittwochmorgen möchte Grasel mit dem Vortragen der über 50 Seiten beginnen. In 90 Minuten will er eine umfassende Aussage dargelegt haben. „Alles, was in dieser Erklärung steht, steht auf ihren Wunsch da drin. Die Worte stammen aus ihrem Mund und aus meiner Feder“, sagte Grasel und versicherte, Zschäpe sei erleichtert.

Seit den letzten Verhandlungswochen beschäftigt die Aussagebereitschaft von Zschäpe Gericht und Öffentlichkeit. Über Monate stimmte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl mit den neu hinzugezogen Wahlverteidigern Hermann Borchert und Grasel die Aussage ab – ohne Rücksprache mit den alten Rechtsbeiständen Wolfgang Herr, Wolfgang Stahl und Anja Sturm. Zwei Tag vor dem angesetzten Aussagetermin schien eine neue Verschiebung möglich. War am Montag doch ein Vermerk des Senats bekannt geworden, nachdem es der Hauptangeklagten physisch und psychisch äußert schlecht gehe. Ihre Mandantin sei völlig aus dem Gleichgewicht, sagte Borchert. Sie erleide Heulkrämpfe und Nervenzusammenbrüche. Bis Dienstagnachmittag sagte die Pressestelle des Gerichtes aber den Verhandlungstag nicht ab.

Aussage war Zschäpes „ursprünglicher Wunsch“

An dem Mittwoch möchten auch Borchert und Grasel festhalten. Zu „jedem Anklagepunkt“ werde seine Mandantin etwas sagen, versicherte Grasel dem „Bayrischen Rundfunk“. Zschäpe werde auf jeden Vorwurf eingehen. Sie werde sich nicht nur zur Brandstiftung im Unterschlupf des NSU in Zwickau äußern, sondern auch ausdrücklich zu den zehn Morden Stellung nehmen, die ihr und ihren Freunden Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt vorgeworfen werden, sagte Grasel. In der Erklärung werde genau dargestellt, „was sie von den Aktionen gewusst hat und was nicht“.

Und Rechtsanwalt Grasel merkte an, dass Zschäpe schon seitdem sie sich im November 2011 gestellt habe, aussagen wollte. Dies sei ihr „ursprünglicher Wunsch“ gewesen. Von Anbeginn hatte ihr aber ihre Alt-Verteidigung Stahl, Heer und Sturm davon abgeraten. Eine taktische Aussage, so befürchteten die Verteidiger, könnte zum prozessualen Selbstmord führen. Denn nach der Einlassung durch ihre Mandantin  würden die Fragen des Gerichts folgen, hatten die Rechtsanwälte im Sommer gewarnt. Der Streit um Aussage oder Schweigen Zschäpes dürfte das Verhältnis zwischen der Hauptangeklagten und ihren Anwälten Stahl, Heer und Sturm mit belastet haben.

Spekulationen über Zschäpes Motivation, nicht mehr schweigen zu wollen, geistern nicht nur unter den Prozessbeteiligten. Will sie aufklären, sich bekennen oder will sie sich unwissend, verführt geben? In den 248 Verhandlungstagen dürfte Zschäpe vor allem eines immer deutlicher geworden sein: Richter Götzl sieht die Vorwürfe der Anklageschrift der Bundesanwaltschaft nach der zweieinhalb Jahre dauernden Verhandlung für mehr oder minder bewiesen an. Für ihn war Zschäpe ein aktives gleichberechtigtes Mitglied einer terroristischen Vereinigung, die zehn Menschen ermordete, mindestens drei Bombenanschläge und 15 Banküberfälle verübt hatte.

Hauptbeschuldigte will sich nicht den Nebenklagevertretern stellen

Die von Rechtsanwalt Grasel groß angekündigte umfassende Einlassung könnte der Kritik von Nebenklägern und Nebenklagevertreter geschuldet sein. Denn hier wird die Aussage skeptisch betrachtet. „Was die Mandanten erwarten und was wahrscheinlich kommen wird, klafft vermutlich sehr weit auseinander“, sagte Gül Pinar, die Rechtsanwältin der Hamburger Familie des ermordeten Lebensmittelhändlers Süleyman Tasköprü. Die Erwartung sei natürlich, dass die Aussage Licht in die Sache bringen und endlich die Wahrheit offenbart werde. Aber: „Ich gehe mal davon aus, dass das nicht sein wird“, erklärte Pinar.

Mehmet Daimagüler, der die Nürnberger NSU-Opfer Abdurrahim Özüdogru und Ismail Yaşar vertritt, betonte ebenfalls: „Ich glaube nicht, dass Zschäpes Aussage viel zur Aufklärung beitragen wird.“ Es werde wohl eine taktische Einlassung sein, in der mögliche Schwachstellen der Anklage angriffen werden. Viel Hoffnung auf Aufklärung hat auch Gamze Kubasik nicht. Die Tochter von Mehmet Kubasik, der in Dortmund mutmaßlich vom NSU erschossen wurde, meinte auch schon: „Ich befürchte, sie will damit nur ihre eigene Haut retten, ohne dass es endlich ehrliche Erklärungen für den Mord an meinem Vater und die vielen anderen Morde und Anschläge gibt.“

Schon jetzt ist eines gewiss: Den Nebenklägern will sich die Hauptbeschuldigte nicht stellen. Eine Missachtung der Opfer? Seit Prozessbeginn, so darf Pinar verstanden werden, missachte Zschäpe die Betroffen, den die Angeklagte hätte „zumindest, selbst ohne Schuldeingeständnis ein Wort des Bedauerns“ erklären können. „Das hat sie bislang nicht gemacht und das ist meiner Ansicht nach eine Missachtung“, urteilt die Opfer-Anwältin.

Dem Gericht, und eventuell der Bundesanwaltschaft und Rechtsbeiständen der anderen Angeklagten will Zschäpe Fragen beantworten – aber nicht direkt. Ihre Verteidiger Borchert und Grasel denken an ein Verfahren, bei dem die Fragen an Zschäpe gesammelt und ihnen schriftlich übermittelt werden. Schnelle Aufklärung? Die Verfahrensidee wirkt nicht so.

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