"Mr. Bond"

„Überschaubare“ Reue - Lange Haftstrafen für Neonazis bestätigt

 „Mir war die Tragweite der Geschichte nicht bewusst,“ gab sich Philip H. heute vor dem Wiener Oberlandesgericht einmal mehr kleinlaut. Der unter dem Pseudonym „Mr. Bond“ auftretende Rechtsextreme und sein Bruder, der „judas.watch“ verantwortete, wurden heute in einem Berufungsprozess zu langen Haftstrafen verurteilt.

Mittwoch, 25. Januar 2023
Christof Mackinger
"Mr. Bond" wird in Handschellen aus der Haft vorgeführt, Foto: Presseservice Wien
"Mr. Bond" wird in Handschellen aus der Haft vorgeführt, Foto: Presseservice Wien

„Die Geschichte“, die Philip H. meinte, war seine viele dutzenden Male nationalsozialistische Wiederbetätigung, über viele Jahre. Das hat dem 38-Jährigen schon im März 2022 eine zehnjährige Haftstrafe eingebracht. Weniger redselig zeigte sich heute sein jüngerer Bruder Benjamin H., der zu vier Jahren Haft verurteilt worden war, ebenso wegen NS-Wiederbetätigung.

Die Brüder hatten Berufung gegen das Urteil eingelegt, die die zweite Instanz heute jedoch zurückwies. Der Anwalt der Neonazi-Brüder konnte den RichterInnen-Senat nicht überzeugen. Die hohen Haftstrafen bleiben damit aufrecht.

Inspiration für Halle-Attentäter

Philip H. hatte als Neonazi-Rapper „Mr. Bond“ spätestens ab 2016 Dutzende selbst interpretierte Lieder online gestellt, die nicht nur antisemitische und rassistische Texte beinhalten, sondern rassistischen Massenmördern huldigen und zum Mord aufrufen. Der Mann hatte zudem das Manifest des Attentäters von Christchurch übersetzt und online verbreitet.

"Mr. Bond" wird in Handschellen aus der Haft vorgeführt, Foto: Presseservice Wien
Die mehrjährigen Haftstrafen für die beiden Brüder wurden heute bestätigt. Foto: Presseservice Wien

In neonazistischen Online-Kreisen war H. gut vernetzt und sehr aktiv, zudem hatte er beträchtliche Summen an Spenden für seine Musik gesammelt. Nachdem der Attentäter von Halle im Jahr 2019 H.s Musik als „Kommentar“ für seinen rassistisch motivierten Anschlag gewählt hatte, wurden auch die österreichischen Behörden auf den Rapper aufmerksam und forschten ihn über Spendenflüsse aus. Bei einer Hausdurchsuchung in Kärnten wurden nicht nur Waffen, darunter ein selbstgebautes Exemplar, und NS-Devotionalien beschlagnahmt. Gefunden wurde auch ein wohl unveröffentlichter Liedtext, der die gewaltvolle Gedankenwelt des Philip H. verbildlicht. Die Polizei beschreibt es als eine „Amokfahrt aus der Ich-Perspektive“ – ein Mann, der mit seinem PS-starken Wagen in eine Gruppe lachender Kinder fährt:

„...hör’ das Lachen von Kindern sich langsam verändern, bis sie keinen lebenden Wesen mehr gleichen...seh’ meinen Wagen an, ein mattschwarzer Benz...böse und breit...er könnte direkt aus der Hölle sein...keine Gnade für die 400 Pferde im stilvollen Gewand, die perfekte Maschine konstruiert für den Kampf.“

„Sei ein Führer“

Bei der Durchsuchung vor zwei Jahren gelang der Polizei auch ein Zufallsfund: Beschlagnahmte Kommunikation zwischen den beiden Brüdern belegte nicht nur, dass Benjamin H. seinem Bruder bei dessen Neonazi-Musikprojekt unterstützte, sie überführte ihn auch als Macher der antisemitischen Website „Judas Watch“.

Jahrelang hatten die Behörden erfolglos versucht, die Urheber ausfindig zu machen. Kritik zog auch der Umgang mit den Betroffenen nach sich. H. listete auf seiner Website jahrelang über Tausend Linke,  JüdInnen oder andere ihm missfallende Menschen unter dem Titel „Traitors of White“ (Verräter der weißen Rasse). Nicht zufällig symbolträchtig markiert waren dort Juden und Jüdinnen mit einem gelben Stern. In einem extrem rechten Podcast, in dem Benjamin H. als Macher der Website auftrat, bekräftigte er die HörerInnen: „Sei ein Vorbild. Sei ein Führer. Sei der Faschist, der du sein willst!“

„Nur“ im Darknet verbreitet

Pünktlich um 9:30 Uhr wurde Philip H. am Mittwoch in Handschellen im Saal F des prunkvollen Oberlandesgerichts im Zentrum Wiens aus dem Gefängnis vorgeführt – sein Bruder saß hingegen nicht in Haft. Umringt von Beamt*nnen saßen die Brüder stoisch im kleinen, holzvertäfelten Saal und lauschten ihrem Verteidiger. Der Anwalt Martin Mahrer kassierte zuletzt selbst eine Disziplinarstrafe.

Vor Gericht argumentierte Mahrer, Philip H. habe seine Musik lediglich im Darkweb verbreitet und nicht damit rechnen können, dass viele sie hören würden. Die Sterne, um Juden und Jüdinnen auf „Judas Watch“ zu markieren, seien nicht in jeder Darstellung gelb gewesen: „Manchmal sind die auch lila, je nach Browser-Einstellung.“ Und zudem würden beide Männer bislang als unbescholten gelten.
Kaum 15 Minuten beriet anschließend der aus drei Richter*innen bestehende Senat seine Entscheidung: Die Abweisung der eingebrachten Berufung.

Über 1.000 Personen auf Feindesliste

Die zehnjährige Haftstrafe für Philip H. sei richtig, da von ihm tatsächlich eine besondere Gefährlichkeit ausgehe. Nicht nur habe er nach dem antisemitisch motivierten Attentat von Halle zum Selbstbau von Waffen recherchiert. Das Halle-Attentat zeige auch, wie H.s Musik und Texte „als ideologischer Hintergrund für derlei Taten“ dienen kann, so eine der Richterinnen. Selbst in Haft halte er den Kontakt zu namhaften Neonazis aufrecht, seine Reue sei also „überschaubar“.

Doch auch Benjamin H.s Strafe wurde nicht vermindert. Das Gericht unterstrich nicht nur die emotionalen Folgen für die über 1.000 Betroffenen der Feindeslisten, wie sie H. jahrelang aus der Anonymität betrieben hatte. Zwar hatte er vor Gericht die Urheberschaft zugegeben, jedoch niemals Reue gezeigt.

Betroffene melden sich zu Wort

Nicht nur in dem Verhandlungssaal des Oberlandesgerichts befanden sich Betroffene der antisemitischen Hetze der Brüder. In einer gemeinsamen Presseerklärung fordern sie „Opfer rechter Gewalt endlich ernst zu nehmen“ und kritisieren den Umgang der Behörden in dem Fall.

Colette Schmidt, Journalistin der Tageszeitung DerStandard schildert, wie es ihr als „Judas Watch“-Gelistete ergangen ist: „Ich wurde ein einziges Mal vor etwa drei Jahren von einer Mitarbeiterin vom Verfassungsschutz kontaktiert und darauf aufmerksam gemacht, dass ich auf dieser Liste stehe, die jahrelang online war. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich das längst und die Liste war endlich offline. Weder Ermittler, noch Justiz haben mich darüber informiert, dass der Betreiber gefunden wurde.“

Ähnliches hat Bini Guttmann erlebt. Er ist Mitglied der Exekutive des Jüdischen Weltkongresses und stand ebenfalls auf Benjamin H.s Liste: „Nachdem der Betreiber der Online-Feindesliste nach sechs Jahren zufällig gefunden wurde, fanden die Behörden es nicht notwendig, die Opfer zu informieren. Und das, obwohl einem der Täter `besondere Gefährlichkeit´ attestiert wird und der Verfassungsschutz uns persönlich mittels offiziellem Schreiben vor der Website warnte.”

Die Journalistin Schmidt schließt ihr Statement folgendermaßen: „Ich erwarte mir von den Behörden, dass sie Wiederbetätigung und Hassverbrechen ernst nehmen. Und ich würde mir von den Behörden auch erwarten, dass sie Opfer dieser Verbrechen über so wichtige Ermittlungsergebnisse informieren. Es ist eigentlich unfassbar, wie allein gelassen ich und andere Kolleg:innen in der Medienbranche hier wurden.”

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