Rezension

Über den Aufstieg der „Schwedendemokraten“

Binnen dreier Jahrzehnte veränderten sich die „Schwedendemokraten“ in der öffentlichen Wahrnehmung: Sie kamen aus der gewaltorientierten Neonazi-Szene, nahmen diverse Änderungen vor und dulden heute im Parlament die bürgerliche Regierung. Vier aus journalistischer Blickrichtung geschriebene neue Bücher machen auf diesen Entwicklungsprozess aufmerksam und wollen ihn bezogen auf Öffentlichkeit wie Partei verständlich machen.

Mittwoch, 11. Januar 2023
Armin Pfahl-Traughber
Erstmals wurden die Schwedendemokraten zweitstärkste Kraft, Foto (Symbol): Poltikerveckan Almedalen CC BY-SA-2.0
Erstmals wurden die Schwedendemokraten zweitstärkste Kraft, Foto (Symbol): Poltikerveckan Almedalen CC BY-SA-2.0

Die stärkste „Regierungspartei“ in Schweden ist gar nicht an der Regierung. Gemeint sind die „Schwedendemokraten“, die in der deutschen Presse als „rechtspopulistisch“ gelten. Sie erhielten bei den letzten Reichstagswahlen jede fünfte Stimme und wurden nach den Sozialdemokraten die zweitstärkste Partei. Die neue bürgerliche Regierung brauchte ihre Stimmen, um eine Mehrheit im Parlament für ihre Politik zu bekommen. Dabei gingen die „Schwedendemokraten“ nicht selbst in die Regierung, konnten aber ihren Einfluss etwa auf die Migrationspolitik deutlich machen.

So erlangte eine Partei, die ideologisch und organisatorisch aus der Neonazi-Szene stammt, zumindest indirekt eine Machtposition in einem besonders fortschrittlichen demokratischen Verfassungsstaat. Doch wie entstanden und entwickelten sich in den letzten Jahrzehnten eben diese „Schwedendemokraten“? Antworten auf diese Frage geben vier journalistisch geprägte Monographien, die alle 2022 im Land selbst – und damit in schwedischer Sprache erschienen.

Entwicklung aus der Neonazi-Szene zur Reichstagspartei

Ein erstes Buch stammt von der Journalistin Anna-Lena Lodenius, die seit Jahrzehnten viele Monographien zum Thema veröffentlicht hat. Dazu gehörte auch „Extremhögern“ („Rechtsextreme“) (1991) zusammen mit Stig Larsson. Ihre aktuelle Arbeit ist mit „Svart pa vitt. Om Sverigedemokraterna“, also „Schwarz auf Weiß. Über die Schwedendemokraten“ betitelt. Und darin spielt die Autorin ihre Fachkompetenz aus, die durch langjährige Recherchen entstanden ist.

In fünf Kapiteln zeichnet Lodenius die Parteigeschichte nach, eben von den Anfängen im Neonazi-Spektrum bis hin zur gegenwärtigen Reichstagspartei. Am Beginn steht jeweils eine kurze Frage, ergänzt um eine etwas längere Antwort, die dann im Kapitel genauer erläutert wird. Am Ende macht sie bezogen auf die Ideologie auf eine beachtenswerte Kursänderung aufmerksam, gebe man sich doch angesichts vieler Arbeiterstimmen zunehmend sozialkonservativ. Die kenntnisreiche Gesamtdarstellung hätte aber noch durch mehr systematische Reflexionen mehr an Wert gewinnen können.

Orban und Trump als politische Vorbilder

Das zweite Buch stammt von Gellert Tamas, der auch in Deutschland durch sein übersetztes Buch über den „Lasermann“ bekannt geworden ist. „Den avgörande striden. Tre Decennier i Sverigedemokraternas värld“, also ungefähr: „Der fortgesetzte Streit. Drei Jahrzehnte in der Welt der Schwedendemokraten“ lautet sein Titel. Der Autor war selbst Beobachter der gemeinten Entwicklung und recherchierte über die Jahrzehnte intensiv zum Thema. Um seine Einschätzung der „Schwedendemokraten“ zu verstehen, muss man seine Ausführungen zu Orbán oder Trump verstehen.

Bei diesen handele es sich nicht um klassische Diktatoren, sie würden die Demokratie von innen heraus zerstören. Und genau diese Absicht hätten auch die „Schwedendemokraten“. An ihren autoritären Auffassungen habe sich in Grundzügen kaum etwas geändert. Dies gilt aber für die formale Präsentation schon. Der Autor hätte sich noch stärker mit potentiellen Gegenargumenten auseinandersetzen können. Gleichwohl macht er überzeugend auf die ideologischen Kontinuitäten aufmerksam.

Bestandteil der nationalistischen Bewegung

David Baas legte das dritte Buch vor, betitelt mit „Segra eller dö. Ett reportage“, also „Siegen oder sterben. Eine Reportage“. Der Autor arbeitet bei „Expressen“ als Journalist und hat damit regelmäßig ein großes Lesepublikum. Etwas unglücklich wirkt die Titelwahl, bleibt doch so unklar, worum es genau in der Reportage gehen soll. Für Baas steht die Parole „Siegen oder sterben“ für etwas, was für ihn die Essenz des nationalistischen Gedankens ist. Und daher deutet er die Partei nicht als isoliertes Phänomen, sondern als Bestandteil der „nationalistischen Bewegung“ der letzten Jahrzehnte.

Betrachtet man. wie Baas die historische Entwicklung der „Schwedendemokraten“, so werden ideologische und personelle Identitäten immer wieder deutlich. Der Autor geht auch auf die geänderte öffentliche Positionierung ein, womit man Anschluss an das konservative Lager suche, gleichzeitig aber den als bedrohlich geltenden gesellschaftlichen Pluralismus verbannen wolle. Irritierend an dem Buch ist, dass die einzelnen Kapitel nicht betitelt, sondern nummeriert sind.

Besuch in den Hochburgen in Südschweden

Und von Amanda Broberg stammt dann das vierte Buch über die „Schwedendemokraten“, versehen mit „SD-Land“, also „Schwedendemokraten-Land“ als schlichtem Titel. Gemeint ist damit Skane, die südschwedische Provinz, wozu etwa Lund und Malmö als Städte gehören. In einigen kleineren Orten hat die Partei sogar kommunale Verantwortung. Genau dorthin ist Broberg gefahren und führte Gespräche mit unterschiedlichen Personen. Der Ansatz für eine solche Recherche ist gut, können damit doch für eine eventuelle nationale Regierungsbeteiligung wichtige Rückschlüsse gezogen werden.

Indessen wirken die von Broberg geführten Gespräche ein wenig planlos, was deren begrenzten Erkenntnisgewinn mit erklärt. Danach gibt es noch mehrere Artikel, welche die besondere Anfälligkeit der südschwedischen Region für einschlägiges Wahlverhalten thematisieren. Hierbei stellt die Autorin auf kulturelle Gesichtspunkte bei den „Schwedendemokraten“ ab, so seien deren Aversionen gegen Flüchtlinge eher kulturell und weniger materiell motiviert.

Fehlende wissenschaftliche Arbeiten zum Thema

Alle vier Bücher stammen aus journalistischer Feder, wie einleitend bereits erwähnt wurde. Auch wenn die einschlägigen Belege in den Fußnoten etwa für Zitate meist enthalten sind, ersetzen diese Darstellungen doch nicht wissenschaftliche Monographien zum Thema. Dazu muss auch bedauernd konstatiert werden: An solchen Arbeiten mangelt es. Sieht man einmal von einzelnen Aufsätzen ab, so fehlt die große Gesamtdarstellung aus politikwissenschaftlicher Sicht dazu. Diese Erkenntnis stellt der schwedischen Sozialwissenschaft kein gutes Zeugnis aus.
Auch die ersten kritischen Beiträge zu den „Schwedendemokraten“ stammten aus journalistischen Zusammenhängen, wofür als bekanntes Beispiel die ersten Bücher von dem heute als Krimiautor bekannten verstorbenen Stieg Larsson stehen. Er hatte bereits früh den Aufstieg der „Schwedendemokraten“ prognostiziert und immer wieder vor derartigen Entwicklungen in gesonderten Publikationen gewarnt. Die vier Autoren verbeugen sich in ihren genannten Büchern auch immer wieder vor seinen diesbezüglichen Leistungen.

Anna-Lena Lodenius, Svart pa vitt. Om Sverigedemokraterna, Stockholm 2022 (Bokförlaget Atlas)
Gellert Tamas, Den avgörande striden. Tre decennier i Sverigedemokraternas värld, Stockholm 2020 (Bokförlaget Polaris), 437 Seiten
David Baas, Segra eller dö. Ett reportage, Stockholm 2022 (Mondial), 288 Seiten
Amanda Broberg, SD-Land, Stockhom 2022 (Timbro förlag), 202 Seiten

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