Über 2.000 Neonazis bei Rechtsrock-Festival in Themar

Über 2.000 Neonazis zog es am Wochenende ins thüringische Themar. Mit den „Tagen der nationalen Bewegung“ veranstaltete die rechtsextreme Szene dort das vierte Großevent innerhalb eines Jahres. Ein Ansturm wie im letzten Sommer blieb jedoch aus. Das zweitägige Rechtsrock-Festival machte aber einmal mehr klar, dass sich die neonazistische Musikszene zunehmend professionalisiert und aus ihrer klandestinen Nische heraustritt.

Sonntag, 10. Juni 2018
Redaktion
Über 2.000 Neonazis bei Rechtsrock-Festival in Themar
Auf der Wiese am Rande der südthüringischen Ortschaft herrschte bereits am Freitagnachmittag Volksfeststimmung. Neben der Nomenklatura der NPD – darunter Alt-Funktionär Udo Voigt und Ex-MdL Stefan Köster sowie die JN-Spitze um Christian Häger – reisten Kameradschafter aus dem gesamten Bundesgebiet, aber vorrangig aus Thüringen und den Nachbarländern nach Themar. Vor Ort waren auch Axel Schlimper und Angela Schaller anzutreffen, die aus dem Umfeld der mittlerweile aufgelösten, antisemitischen Europäischen Aktion stammen und als Schnittstelle zwischen harten Rechtsextremen und dem Verschwörungstheoretiker-Milieu agieren. Dazu kamen einige tschechische, polnische und russische Neonazis sowie Kleingruppen, die mit den Rechtsrock-Bands aus Italien und Großbritannien anreisten. Die Teilnehmerzahl von mehr als 2.000 Personen übertraf die offiziellen Erwartungen. Damit ist das Rechtsrock-Festival bisher das größte in diesem Jahr. An die über 6.000 Besucher im Vorjahr konnte die Veranstaltung allerdings noch nicht anknüpfen.

Wenig Kitt für eine gespaltene Szene

Auch ihrem Anspruch, mit dem Festival die gespaltene Szene zu einen, wurden die Organisatoren wohl nicht gerecht. Beobachter maßen der Veranstaltung kaum Anziehungskraft auf das straff organisierte, subkulturelle Milieu bei. Der Dritte Weg blieb dem Szene-Event – wie zu erwarten – ebenfalls fern. Schon im vergangenen Jahr distanzierten sich Parteikader von der Veranstaltung. Zu kommerziell und massentauglich sei es zugegangen, so der Vorwurf. Tatsächlich lag der Fokus auch am Wochenende deutlich weniger auf dem politischen Diskurs als auf dem Unterhaltungsprogramm. Entsprechend präsentierte sich das Publikum.

Die Veranstalter um NPD-Vorstandsmitglied Sebastian Schmidtke warteten mit bekannten Szenebands wie „Die Lunikoff Verschwörung“ oder „Kategorie C“ auf. Dabei sorgte eine Panne bereits am Freitagabend für Unmut: Aufgrund technischer Probleme verzögerte sich der Auftritt der Rechtsrockbands massiv und auch ein über zweistündiger Auftritt von NS-Liedermacher Frank Rennicke konnte das Neonazi-Publikum kaum bei Laune halten. Eine rechtsextreme Rap-Show am Folgetag stieß auf ähnlich wenig Interesse. Nebenbei boten Szeneunternehmer wie Patrick Schröder oder NPD-Vize Thorsten Heise eine breite Palette an Kleidung, Tonträgern und Nazi-Nippes an.
Rechtsrock-Festival "Tage der nationalen Bewegung" Themar
Schon im Vorfeld sorgte das Rechtsrock-Festival in Themar – auch im Hinblick auf die Vorgängerveranstaltungen – für Kontroversen. Der Landkreis Hildburghausen scheiterte nach mehreren Versuchen an einem Verbot der Veranstaltung. Die Argumentation, das Großevent würde nistende Vogelarten bedrohen, wies das zuständige Amtsgericht ab. Da das Festival offiziell als politische Versammlung lief, genossen die Organisatoren diverse rechtliche und finanzielle Privilegien, während Presse und Öffentlichkeit weitestgehend ausgesperrt wurden. Eine vorteilhafte Situation für die Köpfe hinter dem Szene-Event. Im spärlichen politischen Rahmenprogramm, dass wohl eher den Sinn hatte, erwähnte rechtliche Vorteile zu sichern und der NPD als PR-Plattform diente, waren derweil die typischen Inhalte zu vernehmen: Kameradschaftsaktivist Dieter Riefling rief zur Solidarität mit den Märtyrerfiguren der Szene, wie Ursula Haverbeck und Tommy Robinson, bürgerlich Stephen Yaxley-Lennon, auf. Derweil erörterte Udo Voigt antisemitisch eingefärbte Verschwörungstheorien über den Konflikt in Syrien. Ganz im Sinne des Veranstaltungstitels und im üblichen Endzeit-Pathos appellierte Frank Franz an die Szene: Der NPD-Chef forderte „dass wir in den Zukunft viel mehr Bewegung werden müssen, wenn wir überhaupt noch eine Chance haben wollen unsere Heimat und unser Volk zu schützen!“ Auf den Kanälen der Partei in den sozialen Medien bekräftigte man zudem die eigene Opferrolle gegenüber der „Staatsmacht“ - trotz aller Vorteile, die die Veranstalter aufgrund demokratischer Grundrechte genießen.

Alkohol und Aggressionen

Zudem lockerte das Gericht später auch das amtliche Alkoholverbot. Unter den Festivalbesuchern, die sich tagsüber an der nahegelegenen Tankstelle mit alkoholischen Getränken eindeckten, stieg mit fortschreitender Zeit so auch das Aggressionspotential. Insgesamt 84 Straftaten zählte die Polizei Thüringen im Umfeld der Veranstaltung, darunter diverse Anzeigen wegen Verwendung verfassungswidriger Symbole, Verstöße gegen Betäubungsmittel- und Waffengesetz. Es kam zu mehreren Festnahmen und Platzverweisen.
Hassbotschaften und Gewaltphantasien wurden offen auf T-Shirts zur Schau getragen. Zudem wurden mehrere Bandauftritte, darunter der Gig der britischen Blood-and-Honour-Band „Brutal Attack“, abgebrochen, weil diverse indizierte Lieder gespielt wurden. Auch Pressevertreter wurden zum Ziel der Aggressionen: Beleidigungen, Drohungen und „Spuck-Attacken“ gipfelten in einem tätlichen Angriff auf einen Journalisten.

Protest in Sichtweite

Im Zuge des Gegenprotestes nahmen an mehreren Veranstaltungen einige hundert Personen teil. Neben einem Friedensfest, an dem sich Parteien und zivilgesellschaftliche Akteure beteiligten, fand ein gemeinsamer Gottesdienst der örtlichen Gemeinde statt. Aktivisten und Gläubige, unter ihnen auch der bekannte Jenaer Pfarrer Lothar König, zogen außerdem in mehreren Prozessionen auf eine Wiese neben dem Festivalgelände und stellten dort in Sichtweite der Neonazis symbolische Kreuze für die Opfer rechter Gewalt auf. Die „Tage der nationalen Bewegungen“ unterstrichen einmal mehr die aktuelle Entwicklung in der rechtsextremen Musikszene. Führende Neonazis nutzen die Privilegien des Versammlungsrechts für sich, um immer offener kommerzielle Großkonzerte zu veranstalten und die Szene an sich zu binden. Kleine, ländliche Ortschaften mit szeneeigenen Immobilien liefern die entsprechenden Lokalitäten für solche Events. Ein oftmals wenig souveräner Umgang der Behörden und Polizeikräfte mit solchen Veranstaltungen schafft für die Rechtsextremen eine Art „Wohlfühlzone“. Zumindest der Polizeieinsatz lief allerdings deutlich entschlossener ab als bei anderen Großveranstaltungen, etwa in Ostritz. Straftaten wurden vergleichsweise konsequent verfolgt und ausreichend Präsenz verhinderte eine Inbeschlagnahme der Ortschaft durch die Neonazis.
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