Tödliche Schläge

Die brutale Gewalttat gegen einen 18-jährigen Nazigegner erschüttert die französische Öffentlichkeit – der mutmaßliche Haupttäter ist im nationalrevolutionären Dunstkreis zu verorten.

Dienstag, 11. Juni 2013
Bernhard Schmid

Ein 18-jähriger französischer Nazigegner wurde am vergangenen Mittwoch spätnachmittags in der Nähe des Saint Lazare-Bahnhofs von rechtsextremen Skinheads angegriffen und schwer verletzt. Er verstarb einen Tag später im Pariser Krankenhaus La Pitié-Salpétrière. Eine Autopsie ergab, dass er nicht – wie zunächst vermutet – an seinem Sturz mit dem Hinterkopf gegen einen Pfosten gestorben war, sondern direkt an den Folgen der erlittenen Schläge. Die Schläge ins Gesicht hatten das Nasenbein getroffen, eine Gehirnerschütterung und Hirnbluten ausgelöst.

Bei dem Opfer handelt es sich um den 18jährigen Clément Méric, der vor kurzem aus Brest in die französische Hauptstadt gezogen war und an der politikwissenschaftlichen Hochschule Science-Po studierte. Nachdem er zuvor bei der anarcho-syndikalistischen Gewerkschaft CNT organisiert gewesen war, war er an der Hochschule als Mitglied der linken Studierendengewerkschaft SUD-Etudiants aktiv. Er war ferner Mitglied der linksradikalen „Action antifasciste Paris-banlieue“.

Naziskins rufen Verstärkung herbei

Den tödlichen Schlägen voraus ging ein Streit in einem Kleidungsgeschäft  zwischen einer Gruppe aus vier jungen Antifas und einer zahlenmäßig ebenbürtigen Skinheadgruppe. Laut Aussagen von Verkäufern und Aufsichtspersonal äußerten sich die jungen Antifas abfällig über „die Nazis, die einkaufen gehen“ und versprachen ihnen, „am Ausgang auf sie zu warten“. Doch die Naziskins riefen telefonisch Verstärkung herbei, die auch alsbald eintraf. Aufgrund ihrer Überzahl waren die Rechten dann körperlich absolut überlegen. Um kurz nach 18.00 Uhr am Mittwoch passierten die tödlichen Schläge, und wie die Sonntagszeitung JDD berichtet, zogen die Naziskins nach vollbrachter Tat „frohen Gesichts von dannen, nachdem ihnen klar wurde, dass ihnen niemand folgte“ und „klatschten sich gegenseitig in die Hände, ungefähr als ob sie gerade gemeinsam ein Diplom erhalten hätten oder Ähnliches“.

Zu den herbeigerufenen Schlägern zählte der spätere mutmaßliche Haupttäter, der 20-jährige Angestellte im Security-Gewerbe Esteban M. Er wurde in Spanien geboren, wuchs in einem Nest in der Picardie namens Neuilly-Saint-Front auf und machte dort als Dorfnazi auf sich aufmerksam. Doch in den letzten zwei Jahren kam M. nach Paris, wo er sich vom Dunstkreis Serge Ayoubs – dem Inhabers des rechtsextremen Veranstaltungsorts ,„Le Local“ im Pariser Süden, ehemaligen Skin-Anführer in den 80er Jahren und jetzigem Kopf einer Minipartei unter dem Namen „Troisième Voie“ (Dritter Weg) – angezogen fühlte.

„Jeunesses Nationalistes Révolutionnaires“ als schlagender Arm

Serge Ayoub nimmt auch zuweilen an fraktionsübergreifenden rechtsextremen Mobilisierungen teil: von Veranstaltungen der Zeitschrift „Synthèse Nationale“ (die unter anderem mehrere Abspaltungen vom Front National wie „Nouvelle Droite Populaire“, „Parti de France“ und MNR vereinigt) wie am 11. November 2010 in Paris bis zur Jeanne d’Arc-Demonstration am 12. Mai dieses Jahres in Paris. Bei dieser Demonstration handelt es sich nicht um den jährlichen Aufmarsch des Front National für Jeanne d’Arc (welcher immer am 1. Mai stattfindet), sondern um die alternativ dazu stattfindende Hardliner-Demonstration, deren Veranstaltern die Wahlpartei FN viel zu schlapp erscheint.

„Troisième Voie“ verfügt über einen schlagenden Arm von geschätzten 30 Mitgliedern unter dem Namen „Jeunesses Nationalistes Révolutionnaires“ (JNR). Die Truppe übernimmt unter anderem die Ordnerdienste für die Kleinstpartei. Der mutmaßliche Haupttäter, ebenso wie einige andere Teilnehmer an der Schlägerei vom 6. Juni, werden von Behörden und Medien als „mutmaßliche Sympathisanten der JNR“ dargestellt. Nicht unwahrscheinlich ist, dass sie auch Mitglieder der Schlägervereinigung waren – nur ist dies insofern schwer nachzuweisen, als die JNR über keinerlei formelle Struktur verfügen, wie Serge Ayoub selbst schadenfroh in mehreren Zeitungen erklärte. M. tauchte bei Facebook als „Freund“ von „Troisième Voie“ auf. Unterdessen hat Frankreichs Innenminister Manuel Valls – ebenso wie Premierminister Jean-Marc Ayrault – angekündigt, die Einleitung eines Verbotsverfahrens gegen die JNR (und eventuell andere Nazigruppen) zu prüfen.

Massive Protestdemonstrationen in ganz Frankreich

Unklar ist zur Stunde, ob M. mit bloßen Händen zuschlug (wie er selbst behauptet) oder mit einem Schlagring als Schlägerwerkzeug, wie Zeugen angegeben haben. Bei einem weiteren 25-jährigen Tatbeteiligten wurden zwei blutverschmierte Ringe gefunden, mit denen er zugeschlagen haben soll. Er hat inzwischen eingeräumt, dem Toten selbst Schläge zugefügt zu haben und wurde in Untersuchungshaft genommen, ebenso wie Esteban M. Drei weitere Teilnehmer, zwei männliche Naziskins und M.s 32jährige Freundin „Katia“, wurden nach ihrer polizeilichen Vernehmung auf freien Fuß gesetzt, müssen jedoch mit einer Anklage rechnen. Estaban M. als mutmaßlicher Verursacher der tödlichen Schläge sitzt seinerseits in U-Haft. Der zuständige Untersuchungsrichter ermittelt derzeit wegen „fahrlässigen Totschlags“. Seine Auffassung steht damit im Gegensatz zu jener der Staatsanwaltschaft, die ursprünglich erklärte, von „vorsätzlichem Totschlag“ auszugehen.

Infolge des Todes von Clément Méric fanden in kürzester Zeit massive Protestdemonstrationen statt. Am selben Tag noch trafen sich zunächst rund 300 engere politische Freundinnen und Freunde des Getöteten in der Nähe des Saint Lazare-Bahnhofs – und des Tatorts. Anderthalb Stunden später gab es eine breitere Kundgebung mit rund 5000 Menschen im Pariser Stadtzentrum. In ganz Frankreich fanden zur selben Zeit Demonstrationen in 60 Städten mit insgesamt circa 15 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern statt. Zwei Tage später demonstrierten am Samstagnachmittag erneut zwischen 4000 (laut Polizei) und 6000 Menschen in Paris, und weitere 2000 bis 3000 in Toulouse und Nantes. Hinzu kamen kleinere Demos wie in Perpignan.

Am Montagabend hat dann am Sitz des Gewerkschaftsverbands Union syndicale Solidaires (dem auch die Studierendengewerkschaft SUD-Etudiants angehört, deren Mitglied Clément Méric war) ein Bündnistreffen stattgefunden, bei dem über weitere Aktionen beraten wurde. Für Sonntag, den 23. Juni wird frankreichweit zu einem weiteren Demonstrations- und Protesttag aufgerufen.

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