Todesliste für acht
Eine Liste mit acht Opfern, Terror, Anschläge, neue Identitäten und das Trio – das waren die Themen einer vermeintlich lustigen, selbst gemachten Zeitung des NSU-Angeklagten Ralf Wohlleben.
Was wusste Ralf Wohlleben vom Terror-Netz NSU? Der ehemalige Thüringer NPD-Pressesprecher muss sich zwar nicht wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung vor dem Oberlandesgericht in München verantworten, sondern nur wegen Beihilfe zum neunfachen Mord. Die aktuelle Auswertung einer von ihm 1998 erstellten Geburtstagszeitung verstärkt jedoch den Verdacht, der Jenaer Neonazi, zu dessen engsten politischen Zöglingen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe zählten, könnte tiefer involviert gewesen sein.
Die von Ralf Wohlleben („Wolle“) und dem rechten Skingirl Jana im August 1998 entworfene „Geburtstags-BILD“ soll jetzt Beweismittel im NSU-Prozess werden. Die handgeschriebene Zeitung zum 23. Geburtstag von André Kapke handelte überwiegend von Terror, Mord und dem sieben Monate zuvor abgetauchten Trio. Für den Betrachter der vom Bundeskriminalamt (BKA) bei Kapke beschlagnahmten Zeitung stellt sich das Pamphlet dar, als wenn Kapke der eigentliche Terrorist, Wohlleben der Wissende und Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt die Ausführenden im Hintergrund seien. Alles wurde als Spaß getarnt – doch vor allem macht das Geschenk den Einfluss der Jenaer Szene auch deutlich.
Ex-Bundeskanzler Schröder im Visier des NSU
Zum Beispiel heißt es auf einer Seite: „Top Terrorist schwört Rache“. In der fiktiven Geschichte wird erzählt, bei einer Hausdurchsuchung beim Geburtstagskind Kapke sei eine „Todesliste“ gefunden worden, auf der sich die Namen unter anderem von Ignatz Bubis, dem 1999 verstorbenen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, sowie den Politikern Joschka Fischer, Helmut Kohl und Gerhard Schröder befanden. Ex-Bundeskanzler Schröder war auch im Visier des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU). Auf einer vom BKA ausgewerteten Festplatte aus dem Brandschutt der Frühlingstraße 26 in Zwickau fand sich eine Fotomontage aus dem Jahr 2002. Darauf ist der SPD-Politiker zu sehen, hinter Gittern und mit einem „Judenstern“ auf der Brust. Überschrieben war das Ganze mit: „You are the next one“.
Einer Prophezeihung ähnlich, heißt es in der Geburtstags-Zeitung zudem, der „Terrorist André Kapke“ wolle „acht der wichtigsten Persönlichkeiten unserer Zeit“ grausam ermorden. Seine Sympathisanten vom „Thüringer Heimatschutz“ „planen die Vervollständigung und Ausführung der Morde“.
Anders als zum Beispiel vom Zeugen Kapke im NSU-Prozess zögerlich eingeräumt, könnten Jenaer Kameradschaft und „Thüringer Heimatschutz“ durchaus über die Bombenbastel-Leidenschaft des Trios informiert gewesen sein. Denn das Thema taucht stolz immer wieder in der „Geburtstags-BILD“ auf. Unter der Rubrik „Kontaktanzeigen“ schrieben die beiden Macher von 1998 wissend: „Uwe 24 Jahre alt: Bin Sonnenbrillenfetischist und sehr reiselustig. Beruflich tätig bin ich Kofferbauer. Suche Lady, die mich daran hindert, ständig meine Koffer an abgelegenen Plätzen zu vergessen. Chiffre 18/88“.
Heimliche Aufenthalte von Böhnhardt und Mundlos in Jena
„Auffällig ist, dass in dem Heft ausschließlich gewalttätige und terroristische Methoden zur Umsetzung rechter Ideologie beschrieben werden“, betont Rechtsanwalt Peer Stolle, Vertreter der Nebenklage im NSU-Verfahren. Auch beschreibt sich der Autor selbst als jemanden, der schon als Kleinkind zutiefst rassistisch gewesen sei und aus Hass auf alles, bereit sei, zu töten.
Zwei Mitangeklagte belasten Ralf Wohlleben bisher schwer. Sie werfen ihm vor, die Mordwaffe mit Schalldämpfer sowie eine weitere Waffe organisiert zu haben und Carsten S. sowie Holger G. als Kuriere nach Chemnitz und Zwickau geschickt zu haben. Wohlleben schweigt zu den Vorwürfen. Der langjährige Neonazi, der seit frühester Jugend für den Aufbau radikalster brauner Strukturen in Thüringen mitverantwortlich gemacht wird, war Profi. Wenn er solche gefährlichen Waffen für ein Trio im Untergrund besorgte, welches sich nach Aussagen eines Zeugen bereits 1998 auf der Schwelle zum Terrorismus befand, dann ist es unvorstellbar, dass der erfahrene Drahtzieher nicht gewusst haben soll, was keine 100 Kilometer weiter an Plänen heranreifte. Zumal mehrere Augenzeugen heimliche Aufenthalte Böhnhardts und Mundlos’ in Jena bestätigen.