Tiefe Gräben in der NRW-AfD
Nordrhein-Westfalen wählt am Sonntag einen neuen Landtag. Die rechtspopulistische AfD dürfte erstmals ins Düsseldorfer Parlament einziehen – aber mit deutlich weniger Abgeordneten als vor einigen Monaten erwartet.
Eine gespaltene Partei begeht auch ihren Wahlkampfabschluss lieber getrennt. Am Samstagnachmittag, einen Tag vor der nordrhein-westfälischen Landtagswahl, wollen AfD-Spitzenkandidat Marcus Pretzell und Bundessprecherin Frauke Petry in Münster auf der Bühne stehen. Ob die Veranstaltung wie geplant in der Aula eines Gymnasiums stattfinden kann, wird wohl letztlich das Verwaltungsgericht entscheiden müssen. 50 Kilometer weiter südlich, in Kamen, geben sich derweil ein paar Stunden später ihre wichtigsten parteiinternen Widerparts die Ehre: Pretzells Ko-Landessprecher Martin Renner und Petrys Ko-Bundessprecher Jörg Meuthen.
Die Gräben in der Partei sind tief. Auch die disziplinierende Wirkung der Wahlkämpfe in Schleswig-Holstein und NRW konnte nicht dafür sorgen, dass sie überwunden wurden. Eher gilt eine Art vorübergehende Waffenruhe zwischen den Protagonisten des Streits. Dabei ist das Lager um Petry und Pretzell bundesweit zur Minderheit in der eigenen Partei geworden. Beim Kölner Parteitag Ende April konnte sich die Parteichefin nur noch auf etwa ein Drittel der Delegierten verlassen. Dass sie die Festlegung auf den „realpolitischen Weg einer bürgerlichen Volkspartei“ für dringlich hielt? Dass sie im Grundsatzprogramm eine Absage an „rassistische, antisemitische, völkische und nationalistische Ideologien“ festschreiben lassen wollte? Eine große Mehrheit der Delegierten ließ sie abblitzen.
Machtanspruch des Pretzell-Lagers
Ihr Ehemann Marcus Pretzell trat anschließend vor die Kameras und machte deutlich, dass er sich nicht beirren lassen will und dass „sein“ Landesverband einen anderen Weg als die Bundes-AfD zu gehen gedenkt. „Wir haben in NRW, anders als hier die Delegierten, klar uns für einen realpolitischen Kurs – sowohl personell wie auch inhaltlich – entschieden“, sagte der Sprecher des größten Landesverbands. Er wisse, dass die künftige Düsseldorfer Landtagsfraktion „einen klaren Kurs verfolgt, so wie ihn Frauke Petry oder ich für diese Partei auch gerne haben möchten“.
Mit der von ihm behaupteten „Klarheit“ der Entscheidung ist es freilich nicht so weit her. Nur 54 Prozent der Delegierten hatten im vorigen Jahr für Pretzell gestimmt, als ein Landesparteitag den 43-jährigen Europaabgeordneten zum Spitzenkandidaten machte. Es ist eine knappe und labile Mehrheit, die leicht kippt – vor allem, wenn sein Lager es mit seinen Machtansprüchen übertreibt.
Gegenseitige tiefe Abneigung
Zuweilen zeitigt die Zerrissenheit der NRW-AfD sogar skurrile Blüten. So erlebte in der vorigen Woche ein Publikum im westfälischen Siegen den seltenen Fall, dass die beiden Landessprecher Pretzell und Renner zusammen auf einer Bühne standen. Bei anderen Parteien mag so etwas eine pure Selbstverständlichkeit sein. Nicht so bei der nordrhein-westfälischen AfD. Jedenfalls warben die Organisatoren denn auch unter der Überschrift „Einigkeit für NRW – Gemeinsamer Auftritt unserer beiden Landessprecher in Siegen!“ für die Veranstaltung mit ihren beiden Spitzenleuten, die kaum mehr miteinander verbindet als ihre gegenseitige, tief empfundene Abneigung.
Pretzell kostet seine (bisherige) knappe Mehrheit im Landesverband weidlich aus. Der TV-Spot der Partei zur Landtagswahl liefert Hinweise, wie er sich und seine Stellung in der AfD sieht: Pretzell durch Straßen schlendernd und auf dem Markt, Pretzell vor dem Kölner Hauptbahnhof und am Rhein, Pretzell vor dem Landtag, Pretzell am Rednerpult und klatschend im Publikum, Pretzell mal in Zeitlupe und mal im Zeitraffer, Pretzells Stimme aus dem Off, Pretzell im simulierten Dialog. In dem eineinhalbminütigen Video kommen nur 15 Sekunden ohne Pretzell aus.
Peronalityshow mit Pretzell
Seine „Uraufführung“ erlebte der Wahl-Spot beim Bundesparteitag in Köln. Mehr pflichtgemäß höflich als begeistert fiel der Beifall der Delegierten aus. Manch einer schaute verwirrt und ratlos drein. Überraschen konnte das nicht. Für die AfD ist eine solche, auf die Spitze getriebene Personalityshow bisher eher untypisch. Sie passt aber ins Bild derer, die dem Duo Petry/Pretzell einen überbordenden Machtanspruch attestiert.
Diese Skeptiker dürfte es auch nicht beruhigen, wenn sie auf der Internetseite des AfD-Landesverbandes wahre Elogen auf den Spitzenkandidaten lesen. Da wird Pretzells „Authentizität“ gefeiert, „die sofort wirkt, die einnimmt, die uneingeschränkte Zustimmung generiert und die am Ende schlicht begeistert“. Da wird seine „lockere Souveränität“ gelobt, die bisher weder seine parteiinternen Kritiker noch Medienvertreter, die bei ihm in Ungnade gefallen sind, feststellen konnten. „Ein Marcus Pretzell in Bestform. So rocken wir NRW!“, heißt es mit Blick auf den Wahlspot. Und nach einem eher blassen TV-Auftritt Pretzells war dort zu lesen, er sei „einer, den man guten Gewissens wählen kann. Dafür müssen wir ihm dankbar sein. Und damit haben wir noch viel Segensreiches zu erwarten für unsere NRW-AfD“.
Der Geist der 60er Jahre
Das Landtagswahlprogramm ist nach seinem Geschmack ausgefallen. Es atmet zwar den Geist der 60er Jahre, kommt aber ohne die Verbalradikalismen aus, die man von anderen Landesverbänden kennt. Und in einer künftigen Fraktion wird er eine Mehrheit hinter sich haben. Dass zu ihr Ex-Mitglieder der rechtspopulistischen Schill-Partei und einer der Organisatoren der ins Verschwörungstheoretische tendierenden „Alternativen Wissenskongresse“ gehören werden, stört Pretzell nicht erkennbar. Nur zwei ausgewiesene Gegner schafften es unter die ersten 20 auf der Landesliste.
Dabei ist es sogar möglich, dass nicht einmal sie ins Parlament einziehen werden. Im vorigen Herbst träumte man noch von „40 plus X“ Mandaten. Noch in diesem Februar tönte die Partei, man müsse „kein besonderer Optimist sein, um die AfD in NRW am Ende bei einem Wert zwischen 15 und 20 % zu sehen“. Doch die Umfragewerte sind dramatisch gesunken. In der Spitze wurde die NRW-AfD im vorigen Spätsommer bei 13 Prozent notiert. Im Augenblick sind es nur noch sechs bis acht Prozent. Das entspräche 15 bis 20 Mandaten.
Trügerische Hoffnung auf ein Parlamentsmandat
Aus dem Rennen wäre damit auch der Ex-Sozialdemokrat Guido Reil, der 26. auf der AfD-Liste. Im Wahlkampf mutierte er quasi zur informellen Nummer zwei der NRW-AfD. Er zog von Kreisverband zu Kreisverband mit der festen Aufgabe, ehemalige SPD-Wähler zur AfD zu locken. In Schleswig-Holstein freilich scheiterte der Versuch, in diesem Revier zu wildern. Und auch in NRW ist von den vollmundigen Ankündigungen, im Ruhrpott vielleicht sogar Direktmandate holen zu können, nichts mehr zu hören.
Reil wird nach Lage der Dinge spätestens am Wahlabend feststellen müssen, dass die Hoffnung auf ein Parlamentsmandat eine trügerische war. So wie ihm ergeht es vielen. Und so dürfte recht bald die Diskussion einsetzen, ob die Partei wegen Pretzells und Petrys Kurs so schwach abgeschnitten hat oder aber trotz ihres Versuchs, die radikalisierte AfD als „bürgerlich“, „besonnen“ oder „gemäßigt“ erscheinen zu lassen? Ob sie wegen solcher Politiker wie Björn Höcke im Westen so arg schwächelt oder ob sie auch im Westen mehr von Höckes rechtem Klartext braucht?