„Thügida“-Fackelmarsch am 9. November
Nach einem juristischen Tauziehen fand in Jena zum Jahrestag der nationalsozialistischen Novemberpogrome ein gerichtlich genehmigter Aufzug von Thüringer Neonazis statt. Die Teilnehmerzahl blieb aber weit hinter den Erwartungen der Veranstalter zurück.
Das rechtsextreme Netzwerk „Thüringen gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Thügida) um den Neonazi und NPD-Kommunalpolitiker David Köckert aus Greiz setzt gern auf die Provokation. Schon zweimal hat es in diesem Jahr Aufmärsche an historischen Daten mit Bezug auf den Nationalsozialismus in Jena durchgeführt. Am 20. April, dem Geburtstag von Adolf Hitler, waren 200 Neonazis unter dem Motto „Dem linken Terror keine Stadt mehr!“ in der Universitätsstadt aufmarschiert. Am Todestag des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß im August versammelten sich etwa 160 Teilnehmer zu einem Aufzug mit dem Titel „Gegen den linken Terror“. Beide Male stießen die Rechten auf den Protest von etwa 4000 Menschen, die lauthals gegen die Aktionen demonstrierten und zum Teil erreichten, dass die Aufmarschroute der Neonazis verkürzt wurde.
Nun zielten die Neonazis provokativ auf das Datum der Reichspogromnacht, um am 9. November unter dem Titel „Durch Einigkeit zu Recht und Freiheit“ in Jena mit Fackeln aufzumarschieren. Offiziell bezogen sich die Anmelder David Köckert und Robert Köcher auf den Tag des Mauerfalls 1989 und kamen damit vor Gericht durch. Versuche der Stadt Jena, den Aufmarsch auf den 8. November zu verlegen, waren zuletzt vor dem Oberverwaltungsgericht Gera gescheitert. Der Vorsitzende der jüdischen Landesgemeinde kritisierte die Gerichtsentscheidung als „genehmigte Glorifizierung nationalsozialistischer Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ scharf.
Zu dem schon seit längerer Zeit beworbenen Aufmarsch waren allerdings gerade einmal etwa 70 Neonazis am gestrigen Mittwoch ins Jenaer Damenviertel gekommen. Offenbar zieht das bewusste Spiel mit der Provokation inzwischen in der Szene ebenso wenig wie der Mythos der „roten Frontstadt Jena“. Mehrere hundert Beamte aus vier Bundesländern sicherten die „Thügida“-Aufmarschroute weiträumig, Anwohner konnten ihre Straßen teils erst betreten, als sie an den Polizeisperren ihre Ausweise zeigten. Unterdessen machten die Neonazis auf ihrer Auftaktkundgebung keinen Hehl aus ihrer Gesinnung. David Köckert sprach davon, dass noch ein Stück von Deutschland fehle, und spielte damit unverhohlen auf die Gebiete jenseits von Oder und Neiße in Polen an.
„Mögliche Bezüge zum 9.11.1938“
Das Wahlergebnis von Donald Trump sei ein Grund zum Feiern, erklärte Köckert, der die Wahl des künftigen amerikanischen Präsidenten als „Trumps Machtergreifung“ bezeichnete. Lauthals und vulgär beschimpfte Köckert die anwesenden Journalisten und den Einsatzleiter der Polizei. Nach Köckert sprach der „Reichsbürger“ und Neonazi Christian Bärthel aus Ronneburg zu den Anwesenden. Doch der geplante Marsch verzögerte sich: Die Polizei hatte angeordnet, die schwarz-weiß-roten Fahnen einzurollen, weil sie „dem äußeren Anschein nach eine Nähe zu Darstellungsformen des Dritten Reiches und somit möglicherweise Bezüge zum 9.11.1938 hätten darstellen können“.
Begleitet von den dumpfen Schlägen zweier Trommler und Fackelträgern setzte sich der Aufmarsch anschließend in Bewegung, an der Spitze trugen Neonazis einen Pappsarg. Mit dem sollten offenbar symbolisch „Demokratie“ und „Antifa“ zu Grabe getragen werden. Entlang der Route protestierten insgesamt etwa 1500 Menschen lautstark gegen den braunen Aufzug, Anwohner trommelten auf Kochtöpfen, mit Wasserballons und einem Schlauch versuchten einige Personen, die Fackeln der Neonazis zu löschen. Nach etwa 500 Metern erreichten die Neonazis den Platz ihrer Zwischenkundgebung, an den Polizeiabsperrungen rings herum versammelten sich die Gegendemonstranten und machten ihrem Ärger Luft.
Ein über die Straße gespanntes Transparent könnte für zusätzlichen Ärger für die Anmelder sorgen, weil zwei Neonazis auf den „Thügida“-Lautsprecherwagen geklettert waren und das Banner heruntergerissen hatten. Auch droht „Thügida“ voraussichtlich eine Geldstrafe wegen Missachtung einer Behördenauflage, weil zu viele Fackeln mitgeführt wurden. Zweieinhalb Stunden nach dem Auftakt war der braune Spuk in Jena für diesen Tag vorbei.