„Thügida“ auf Expansionskurs
Aus dem flüchtlingsfeindlichen Zusammenschluss ist längst ein rechtsextremes Netzwerk entstanden, das über seine Thüringen und Sachsen hinaus aktiv ist – die Verbindungen reichen von neonazistischen Kreisen bis nahe an die AfD.
Das überparteilich auftretende rechtsextreme Bündnis „Thügida“ expandiert weiter mit seinem Aktionsradius. Die Gruppierung, die seit vergangenem Herbst offiziell unter der Vereinsform agiert, bezeichnet sich selbst als Volksbewegung und ist schon lange nicht mehr nur auf Aktivitäten in Thüringen beschränkt. Aus anfänglichen Protesten gegen Flüchtlinge ist längst ein Agitieren gegen Regierende, Establishment und die Demokratie geworden. Ganz offen ruft Alexander Kurth als einer der federführenden „Thügida“-Köpfe per Videoclip zur Überwindung des Systems auf. Außerdem werden martialische Aktionen an historischen Daten der NS-Zeit zelebriert, so die Aufmärsche in Jena vom April und November vergangenen Jahres. (bnr.de berichtete hier und hier) Mit solch nationalsozialistischer Attitüde schafft man Anschlussmöglichkeiten für neonazistische Kreise.
Auf der anderen Seite will sich „Thügida“ ein eigenes positives Image als Kümmerer aufbauen und sozial Schwache unterstützen, was mit dem Skizzieren des Bildes eines gescheiterten Sozialstaats einhergeht. Eigens für propagandistisch ausgeschlachtete Hilfs-, Solidaritäts- und Benefizaktionen wurde im Sommer 2015 die Kampagne „Ein Volk hilft sich selbst“ ins Leben gerufen. Geholfen werden soll selbstredend nicht allen, sondern nur notleidenden und bedürftigen Deutschen.
„Thügida-Mobil“ für die Straße
Über soziale Medien wird agitiert, gehetzt und mobilisiert, alle technischen Möglichkeiten von Videobotschaften und Livestream-Angeboten dabei ausgenutzt. Auf der Straße gibt „Thügida“ dem verbalen Widerstand mit Demonstrationen ein Gesicht. Dafür ist seit knapp einem Jahr ein eigens für Demonstrationen und Kundgebungen mit Lautsprecheranlage ausgestattetes Kleintransportfahrzeug namens „Thügida-Mobil“ im Einsatz. Um die Reichweite im Internet zu vergrößern, benutzt man auch gerne neue Gruppennamen, wobei die vermittelten Inhalte identisch bleiben. Ein Beispiel dafür ist der angebliche Zusammenschluss „Wir lieben Thüringen“, der mit David Sommerfeld in Verbindung zu bringen ist, der wiederum offen „Reichsbürger“-Sympathien verbreitet und in Sachsen-Anhalt zu Hause ist.
Neben Kurth ist David Köckert zweiter „Motor“ bei „Thügida“ und Vereinsvorsitzender. Köckert war NPD-Führungskader, ist vor gut einem Jahr bereits als Thüringer Landesorganisationsleiter zurückgetreten und hat vor wenigen Tagen seinen Austritt aus der Partei bekannt gegeben. Kurth hatte seine politische Heimat ebenfalls früher bei den Nationaldemokraten, seit Spätsommer 2015 repräsentiert er jedoch als Vorsitzender den Landesverband Sachsen der Kleinstpartei „Die Rechte“. Genau wie Kurth ist auch der braune Barde Frank Rennicke aus Oberfranken Vize im Verein.
Am Samstag bei „Merkel muss weg“-Demo in Berlin
Angefangen als regionaler Pegida-Ableger „Sügida“ in Südthüringen, dort vornehmlich in Suhl, verstand sich „Thügida“ nach einigen Monaten als landesweiter Zusammenschluss. Doch damit nicht genug. Es folgte der Schulterschluss mit der selbst ernannten Initiative „Wir lieben Sachsen“. Dazu ist das Bündnismittlerweile in Sachsen-Anhalt aktiv. Kürzlich wurde auch den „Freundeskreis Thüringen/Niedersachsen“ unter der Regie von Jens Wilke in die Sammelbewegung aufgenommen. Wilke, im Vorjahr noch NPD-Kandidat zur Landrats- und Kreistagswahl in Göttingen, nimmt es mit Parteiengagement und Abgrenzungen gegenüber Konkurrenzparteien allerdings nicht so genau. So trat er zuletzt auch bei einer Demonstration der „Rechten“ am 28. Januar in Nienburg/Weser als Redner auf. Am Dienstag dieser Woche fand in Göttingen eine Razzia gegen Aktivisten aus deUmfeld des „Freundeskreises“ statt. (bnr.de berichtete)
Der Verein „Thügida“ operiert mit Mitgliedsausweisen und ist bemüht, über seine Kernländer Thüringen und Sachsen hinaus sein Netzwerk auszuweiten. Dafür kommen öffentlichkeitswirksame Termine und Bühnen gerade recht. Es verwundert daher nicht, dass „Thügida“ sein Erscheinen bei der mittlerweile fünften „Merkel muss weg“-Demonstration um den „pro Deutschland“-Funktionär Enrico Stubbe am 4. März in Berlin ankündigt. Als Rednerin soll dabei Lilly Steup auftreten, die maßgeblich bei „Ein Volk hilft sich selbst“ mitwirkt. Bei dem Aufmarsch in Berlin am Samstag will sich auch Angela Schaller intensiv einbringen, die zugleich dem „Thügida“-Vorstand angehört.
Spende von AfD-Landtagsabgeordneten
Das „Thügida“-Netzwerk reicht sogar bis nahe an die AfD heran: Im Vorstand wird nämlich ebenfalls Uta Nürnberger aufgeführt. Nürnberger war Stadtratskandidatin für die AfD in Leipzig. Seitens der AfD hat man sich allerdings von ihr und einer weiter bestehenden Mitgliedschaft losgesagt, weil Nürnberger nicht von NPD-Kontakten ablassen will. Die Angesprochene selbst erklärt aber dazu, sie sei weiterhin Parteimitglied. Bei „Ein Volk hilft sich selbst“ ist man unterdessen stolz, eine 50-Euro-Spende des AfD-Landtagsabgeordneten Gottfried Backhaus aus Sachsen-Anhalt bekommen zu haben.
So wie die selbst ernannte Hilfsorganisation sich eine eigene Infrastruktur und Logistik mit Lagermöglichkeiten in Leipzig, Roßwein und Suhl aufgebaut hat, so kann „Thügida“ für interne Zusammenkünfte auch auf bestehende Räumlichkeiten wie etwa die rechtsextreme Gedächtnisstätte Guthmannshausen im thüringischen Landkreis Sömmerda zurückgreifen oder sich bei Neonazi Tommy Frenck in dessen Gasthaus in Kloster Veßra (Landkreis Hildburghausen) treffen.