Grevesmühlen
Thinghaus soll verkauft werden
Über zehn Jahre galt das Thinghaus in Grevesmühlen als wohl wichtigster Treffpunkt der rechtsextremen Szene in Norddeutschland – sei es für Rechtsrock-Konzerte, NPD-Veranstaltungen oder Kampfsporttrainings. Das Gebäude soll nun jedoch verkauft werden, ein herber Rückschlag für das dortige Neonazi-Milieu.
„Ich werde einen Makler beauftragen, der das Haus verkauft“, bestätigt Sven Krüger gegenüber der Ostsee-Zeitung die Verkaufspläne. Krüger ist Eigentümer des Thinghauses in Grevesmühlen und einer der umtriebigsten Neonazis der Region. „Das Haus ist einfach verbrannt, die Zeit der Rechtsrockkonzerte ist vorbei. Die Polizei hat dafür gesorgt, dass dort auch keine Veranstaltungen mehr stattfinden können“, so der Neonazi weiter.
Im April 2010 hatte der in Jamel wohnhafte Krüger die Inbetriebnahme des Thinghaus öffentlich gemacht, zwei Jahre zuvor habe er das ehemalige Betonwerk erworben und seitdem renoviert. Ein hoher Sichtschutz-Zaun säumte seinerzeit das Gebäude im Grünen Weg, auch ein Wachturm war direkt von der Straße aus zu sehen.
Von Zeitzeugen-Vorträgen bis zu Kampfsport-Trainings
Schnell entwickelte sich die Immobilie zu einem der wichtigsten Szene-Treffpunkte Norddeutschlands. Auch NPD-Strukturen ermöglichten – direkt oder indirekt – den Ausbau. So betrieben die beiden ehemaligen Landtagsabgeordneten Udo Pastörs und Stefan Köster ihre Wahlkreisbüros über mehrere Jahre im Thinghaus, Abgeordneten steht dafür eine monatliche Kostenpauschale zur Verfügung.
In den Jahren nach der Eröffnung entwickelte sich das Thinghaus zum wohl wichtigsten Treffpunkt der rechtsextremen Szene Norddeutschlands. Nahezu monatlich fanden auf dem Gelände Veranstaltungen statt. Vor allem für Konzerte und Rechtsrock reisten Anhänger teilweise mehrere Hundert Kilometer nach Grevesmühlen. Es kam zu Zeitzeugen-Vorträgen, Parteiveranstaltungen der NPD, Kampfsport-Training der Kameradschaftsszene und auch vermeintlich unpolitischen Events wie einem Kuchenwettbewerb oder einer Marmeladen-Tauschstation.
„Gefahr der Begehung von Straftaten“
Doch Polizei und Behörden waren Krüger zunehmend ein Dorn im Auge. Immer häufiger wurden Szene-Veranstaltungen durch die Polizei überwacht, anreisende Neonazis mussten Absperrungen passieren und wurden kontrolliert – was immer wieder für Missstimmung und aggressives Auftreten bei den Teilnehmern sorgte.
Mehrfach wurden Veranstaltungen zudem untersagt, „Da von Teilnehmenden und Verantwortlichen zur Art der Veranstaltung widersprüchliche und wahrheitswidrige Angaben gemacht wurden, sowie die Gefahr der Begehung von Straftaten von erheblicher Bedeutung auszugehen war“, hieß es in einer Pressemitteilung der Polizei. Auch Auflagen des zuständigen Landkreises Nordwestmecklenburg dürften kaum zuträglich für das Wohlbefinden bei Rechtsrock-Konzerten gewesen sein. So durften „Musikveranstaltungen mit elektronischer Verstärkung“ tagsüber einen Pegel von 60, nachts von 45 Dezibel nicht überschreiten.
Bedeutungsverlust
Für die Entscheidung, das Thinghaus zu verkaufen, dürften letztendlich wohl mehrere Faktoren ausschlaggebend gewesen sein. Der anhaltende Niedergang der NPD dürfte sich gerade in Mecklenburg-Vorpommern, wo die Partei jahrelang wichtiger Akteur – auch aus finanziellen Aspekten – war, negativ auf den Betrieb der Immobilie ausgewirkt haben. Pandemiebedingt kamen in den letzten zwei Jahren erschwerend weitere Einschränkungen hinzu. Und die Rechtsrock-Szene kämpft ohnehin seit Längerem mit Nachwuchsproblemen.
Das letzte größere Treffen war ein Sommerfest der NPD Ende August 2019, rund 115 Neonazis hatten sich dort eingefunden. Erneut kam es zu Einschränkungen durch die Polizei. Marko Gottschalk, Sänger der Band Oidoxie, soll mehrere indizierte Lieder gespielt haben, der Auftritt musste abgebrochen werden. Gottschalk und der Gitarrist erhielten ein Auftrittsverbot, zudem sei ein Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung eingeleitet worden.
Im vergangenen Jahr fanden dann nur noch zwei Veranstaltungen im Thinghaus statt, ein Hammerskin-Treffen mit rund zehn Personen sowie eine Mitgliederversammlung des NPD-Kreisverbandes Westmecklenburg mit 30 Parteimitgliedern.