Thiazi-Prozess: Angeklagte erwartet Bewährungsstrafe

Screeenshot der mittlerweile abgeschalteten Internetseite
Am vergangenen Freitag verlas die Staatsanwaltschaft ihre Plädoyers für die drei vor dem Landgericht Rostock angeklagten Männer, die sich dort seit Ende November letzten Jahres verantworten müssen. Bei allen drei Angeklagten hätten sich laut der Strafverfolgungsbehörde die Tatvorwürfe bestätigt. Arno W. sei die aktivste Person gewesen, habe regelmäßig Kontakte zu anderen Forenmitgliedern gehabt und sei auch Mitglied im „Nationalsozialistischen Privatforum“ gewesen, einem geschützten Bereich des Thiazi-Forums, dem man nur beitreten konnte, wenn man formal das 25-Punkte-Programm der NSDAP anerkennt.

„Wir haben ja einen Vertrag“
Zwei Jahre auf Bewährung forderte die Staatsanwaltschaft für W., zudem müsse er 1.200 Euro an eine gemeinnützige Organisation bezahlen. Strafmildernd wirkte sich aus, dass der Mann bereits vor Jahren die rechte Szene verlassen hätte – mit Unterstützung der Aussteiger-Organisation Exit. Für Arnulf Priem forderte die Staatsanwältin ein Jahr und zehn Monate, ausgesetzt zur Bewährung. Priems Verteidiger gab lediglich zu Protokoll, dass es nichts zu verteidigen gäbe, „denn wir haben ja einen Vertrag“. Damit bezog sich der Anwalt auf eine zuvor beschlossene Verständigung. Ein Jahr und acht Monate, ebenfalls ausgesetzt zur Bewährung, drohen Alexander A., verbunden mit einer Geldauflage in Höhe von 1.200 Euro.Rechtsgespräche
Im Januar und Februar kam es zu mehreren Rechtsgesprächen, die einer Verkürzung des Prozesses dienen sollten. Laut Vorsitzendem Richter sei dies aber nur bei „umfassenden und glaubhaften Geständnissen“ möglich. Während des darauffolgenden Verhandlungstages verlasen alle drei Angeklagten bzw. deren Verteidiger ihre Einlassungen. Priem ließ zu Protokoll geben, dass die Anklagepunkte korrekt seien und er sie vollumfänglich einräume. Der 69-Jährige, der seit seinem Umzug nach Berlin 1973 arbeitslos sei, sieht sich selbst nicht als Nationalsozialist, sondern als Dissident. Seine politische Meinung habe sich nicht geändert. Wie er zu dem Thiazi-Forum gekommen sei, bei dem er unter dem Pseudonym „Stabschef“ agierte, wisse er nicht mehr genau. Dass die dort angebotenen Inhalte strafbar waren, sei Priem bewusst gewesen – und hätte dies so hingenommen.
Der Berliner Neonazi Arnulf Priem vor dem Landgericht Rostock
Fast 2.500 Musikalben angeboten
Ein technischer Mitarbeiter des BKA ging im März schließlich auf die Struktur des Portals ein, dass die Behörde mit Hilfe der mittlerweile verurteilten W. abschalten und offline wieder aufsetzen konnte. Der Mann konnte so die verschiedenen Ebenen und Unterforen der Seite aufzeigen. Alte Werbebanner von Ansgar Aryan und PC Records wurden eingeblendet, insgesamt seien laut dem BKA-Mitarbeiter 2460 vollständige Alben über Thiazi veröffentlicht und etwa 19.000 Euro eingenommen worden, weitere 5.000 Euro sollen zusätzlich auf dem Privatkonto von Klaus R. gelandet sein, dem Chef des Neonazi-Portals.„Gab ja seitdem den NSU“
Am 19. März, dem letzten Verhandlungstag, bevor Staatsanwaltschaft und Verteidigung die Plädoyers hielten, merkte der Vorsitzende Richter an, dass in Österreich zwei ebenfalls an dem Portal mitwirkende Personen zu jeweils fünfjährigen Haftstrafen verurteilt wurden. Anschließend war Klaus R. vorgeladen, doch der Rechtsextreme, der auch just an diesem Tag seine dreieinhalbjährige Haftstrafe in der JVA Bützow antreten musste, war nicht erschienen. Mit einiger Verspätung und Fußfesseln wurde der 36-Jährige schließlich von zwei Justizvollzugsbeamten vorgeführt. Der Richter ließ sich von R., dessen Pseudonym „WPMP3“ für „White Power MP3“ stünde, die Hierarchie des Portals erläutern: In der Rangordnung folgten die drei Angeklagten unmittelbar auf R. und W., persönlich würde R. jedoch keine der drei Personen kennen. Es war eine skurrile Situation, als der langjährige Thiazi-Chef im Zeugenstand seinen sogenannten „Archivaren“ gegenüber saß, einen Augenkontakt mieden jedoch alle vier Personen. Der ehemalige Erzieher erklärte, dass ein Betreuerstab notwendig wurde, damit im Forum „Ordnung herrscht“. Auf die Nachfrage des Richters bzgl. Hunderter indizierter Alben gab R. emotionslos zu Protokoll, dass er Musik als Kunstform betrachte und nicht auf die Inhalte geachtet habe. Auch den dort regelmäßig geleugneten Holocaust betrachtete R. lediglich als „freien Meinungsaustausch“. Aus heutiger Sicht sei jedoch nicht richtig, solche Inhalte zu verbreiten. „Möglicherweise gibt es Leute, die Musik ernst nehmen“, gibt R. zu Protokoll und ergänzt: „Es gab ja seitdem den NSU.“ Die NSU-Selbstenttarnung fand einige Monate vor der Abschaltung des Thiazi-Forums im Juni 2012 statt, die Mordserie jedoch, bevor die Seite online ging.Dritter Prozess im Gange
Am Donnerstag werden die Urteile in diesem zweiten Thiazi-Prozess gesprochen. Das dritte Verfahren am Landgericht Rostock läuft bereits, auch dort wurde R. vernommen, eine Urteilsverkündung ist bislang nicht abzusehen.Kategorien