Terror und Angst in Freital

In Dresden hat in dieser Woche der Terror-Prozess gegen Mitglieder der „Gruppe Freital“ begonnen.  Die extrem rechte Szene im Raum Dresden könnte viel tiefer verstrickt sein, als bisher von der Generalbundesanwaltschaft eingeräumt wurde. Die mutmaßlichen Rechtsterroristen agierten misstrauisch und professionell, aber nicht völlig abgeschirmt.

Montag, 06. März 2017
Andrea Röpke

„Wenn ich mal an der Macht bin, werden alle illegal eingereisten Ausländer bei lebendigem Leib verbrannt. So als Abschreckung. Egal ob Mann, Frau oder Kind.“ Philipp W. alias „Philli“ begrenzte seine hasserfüllte Ideologie nicht nur auf virtuelle Chat-Räume, sondern versuchte sie auch in die Tat umzusetzen. Ab dieser Woche muss sich der 1987 geborene sächsische Neonazi gemeinsam mit sechs weiteren Männern und einer Frau für die Mitgliedschaft in der „Gruppe Freital“ vor dem Oberlandesgericht Dresden verantworten. In einem eigens für über fünf Millionen Euro vom Flüchtlingsheim zum Hochsicherheitstrakt umgebauten Gebäude wird ihnen der Prozess gemacht. Die Generalbundesanwaltschaft wirft der „Gruppe Freital“ die Bildung einer terroristischen Vereinigung sowie versuchten Mord vor.

Nur wenige Monate lang, von März bis November 2015, sorgten sie in der als Neonazi-Hochburg bekannten Sächsischen Schweiz mit Sprengstoffanschlägen, die sich mehr und mehr steigerten, für Angst und Schrecken unter den Betroffenen. „Wichtig ist, dass der Nazi-Terror weitergeht“, ermahnten sich die Mitglieder gegenseitig im geheimen Chatroom. Mit Hilfe der Jahrzehnte alten „Strategie der Spannung“ sollten Flüchtlinge vertrieben, deren Unterstützer massiv eingeschüchtert werden. Ganz ähnlich hatten in der Region mitten in Sachsen bis etwa 2001 jahrelang die militanten „Skinheads Sächsische Schweiz“ (SSS)  agiert.

Vermeintlich harmloser Busfahrer

Bei der „Gruppe Freital“ wird besonders deutlich, dass sich eine mutmaßliche Terrorgruppe ganz offensichtlich im extrem rechten Spektrum bildete und weiterhin auch bewegte. Die Kontakte rissen nicht ab – im Gegenteil. Auch hat sich der Kopf der Gruppe, Neonazi Timo S., keinesfalls erst nach seinem Umzug von Hamburg nach Freital Ende 2014 politisiert, sondern langjährige Erfahrungen im militanten Hamburger Milieu gesammelt. Pathetisch anmutend hatte der  Hamburger  „Stern“  S. nach dem Umzug in den berüchtigten Osten Deutschlands ein „Neonazi-Comingout“ zugeschrieben. In dem Magazin heißt es: „Hier ist er Rassist, hier darf er’s sein“ –  so als gebe es in Hamburg und vor allem Bergedorf nicht schon lange radikale Kameradschaftsstrukturen.

Der langjährige SG Dynamo-Fan war nachweislich bereits vor seinem Umzug nach Freital politisch aktiv. „Der Norddeutsche“ wie die dortigen Kameraden ihn nannten, hegte sein Image vom harmlosen Familienvater und engagierten Busfahrer. Kaum im sächsischen Freital angekommen, ließ er sich von „Spiegel TV“ als betroffener Bürger mit Hemd und Schlips hinter dem Lenkrad eines Linienbusses interviewen. „Vorm Grundgedanken“ her finde er die neu entstandene Bürgerwehr „nicht verkehrt“, sprach er in die Kamera. Da führte der vermeintlich harmlose Busfahrer längst ein Doppelleben.

Teilnehmer bei „Tag der deutschen Zukunft“-Märschen

So beteiligte sich Timo S. 2012 an einer von der NPD angeführten Sitzblockade bei einer Demonstration in Neumünster. Mit dabei auch der damalige Fraktionschef im Schweriner Landtag, Udo Pastörs. Im gelb-roten Dynamo-Shirt ließ er sich gemeinsam mit den anderen zur Personenüberprüfung von Polizisten abführen. Aufgebrachte Gespräche führte er unter anderem mit einem bulligen Nazi-Glatzkopf aus Hamburg. Regionalen Antifa-Gruppen fiel Timo S. bereits seit 2008 auf.

An einigen vom Dresdener Kameradschaftsanführer Maik Müller mitorganisierten Aufmärschen mit dem Titel  „Tag der Deutschen Zukunft“ (TDDZ) nahm der Mann aus Bergedorf teil. Womöglich entstanden damals schon engere Kontakte S.s zu sächsischen Aktivisten. Beim Aufmarsch 2012 in Hamburg  eskalierte die Situation, es kam zu gewaltsamen Ausschreitungen. Beim TDDZ in Wolfsburg 2015 folgte der jetzige Terror-Angeklagte einem roten Transparent mit der Aufschrift „Volkstod stoppen“. Zu diesem Zeitpunkt war er dann schon umgezogen.

Bewerbungswünsche für die Aufnahme in den inneren Zirkel der Gruppe

Kaum in Freital wohnhaft, gründete der Busfahrer im Regionalverkehr bereits die „Bürgerwehr FTL/360“ mit. Gemeinsam mit einem  NPD-Stadtrat und zwei weiteren im Terrorprozess Beschuldigten führte er als Administrator die dazugehörige Facebook-Seite, bevor sich seine Gruppe weiter radikalisierte.

Viele im tiefen braunen Sumpf wussten anscheinend darüber Bescheid, was die Freitaler Kameraden planten. Einzelne Mitglieder standen in Kontakt zu NPD-Größen sowie der Freien Kameradschaft Dresden und auch den berüchtigten äußerst gewaltigen SG Dynamo-Hooligans von „Faust des Ostens“.  So soll es sogar  Bewerbungswünsche für die Aufnahme in den inneren Zirkel der Freitaler Gruppe gegeben haben.  „Bürgerwehrjenny“, eine schwarzhaarige Sympathisantin, wolle  auch mitmachen, hieß es intern. Über weitere Aufnahmen wurde diskutiert: „Los. Holt den Dirk rein“, soll es zum Beispiel geheißen haben.  Die Gruppe war straff organisiert, doch Entscheidungen wurden nicht an den Mitgliedern vorbei umgesetzt, es gab ein reges Kameradschaftsleben und den engen Austausch mit der inzwischen verjüngten „Freien Kameradschaft Dresden“.

„Bürgerwehr FTL/360“ gegründet

In der Kleinstadt Freital brodelte es zu diesem Zeitpunkt kräftig. Der Ort mit seinen rund 40 000 Einwohnern sorgte 2015 als »Sachsens Keimzelle für Fremdenhass« („Der Tagesspiegel“) für fragwürdige Furore. Eine Koalition aus routinierten Neonazis und fremdenfeindlichen Anwohnern versuchte, vor dem Hotel Leonardo den Zuzug von geflüchteten Menschen zu verhindern. Als Stadt voller Wut, mit einer „Lust auf Lynchen“, beschrieben Reporter die Stimmung im Ort.  Mehrere Gruppen sind aktiv, Anfang 2015 gründet sich die „Bürgerwehr FTL/360“.  Die beiden Neonazis Timo S. und Philipp W. sind Busfahrer auf der Linie 360 und gehören zu den Gründern. Die Bürgerwehr stellt die Ordner beim Aufmarsch gegen Flüchtlinge im Frühjahr in Freital und will für Ruhe im Regionalverkehr sorgen.

Die Hemmschwelle zur Gewalt sank derweil immer weiter. Längst flogen die ersten Böller und Steine gegen die geplante Flüchtlingsunterkunft im Hotel Leonardo. Die meisten Freitaler wussten auch, wer sich täglich an der Aral-Tankstelle im Ort traf. Doch das war nur die Oberfläche. Es  gab auch einen Untergrund – die „Gruppe Freital“ war entstanden. Es wurden detaillierte Anschlagspläne geschmiedet und dafür Sprengstoff in Massen herangeschafft.

Timo S., der zugezogene Neonazi mit dem Grübchen am Kinn und der Vorliebe für verspiegelte Sonnenbrillen, hatte die „größte Fresse“, wie die Mitangeklagte Maria K. später berichtet haben soll. Für die konspirative Planung  war besonders auch Patrick F., 1991 in Dresden geboren, von Bedeutung. Maria K. bezeichnete ihn als den „Intelligentesten der ganzen Gruppe“. Sie kannten F., den „Faust des Ostens“-Hooligan, noch nicht so lange.

Anschläge akribisch und professionell organisiert

Auch die  Karlsruher Staatsanwälte halten Timo S. und Patrick F. für die Rädelsführer der Freitaler Gruppe, die beiden seien maßgeblich für Planung und Organisation der diversen Anschläge verantwortlich gewesen. Während der wortgewandte S. die Mitglieder mobilisierte und als Impulsgeber galt, sei F. vor allem für  die Technik zuständig gewesen. Führte die Gruppe zunächst aus Tschechien illegal eingeführte Sprengkörper vom Typ Super Cobra 12 und Super Cobra 6 ein, begann sie nach einigen Monaten mit dem Bau eigener Rohrbomben. Bereits die Böller entfalteten eine außerordentlich große Druckwirkung. Sie überstiegen die in Deutschland zugelassenen Feuerwerkskörper um das 130-fache. Bei zwei Anschlägen wurden die Sprengkörper von außen an Fensterscheiben platziert, so dass sie wie Glassplitterbomben wirkten und noch viel größere Schäden hätten anrichten können, als sie es ohnehin taten.

„So kinders, die nächsten pläne stehen..“ soll F. im internen Chat geschrieben haben, dann forderte er von jedem Mitglied fünf Euro, um eine etwas längere Zündschnur kaufen zu können. Anders als die in München vor Gericht stehende  „Oldschool Society“ (OSS) organisierte die „Gruppe Freital“ ihre Anschläge geradezu akribisch und professionell. Tatort-Objekte wurden ausgespäht, Fluchtwege geplant, alles detailliert gruppenintern besprochen. Nach dem ersten Brandanschlag auf das Auto des Linken-Lokalpolitikers Michael Richter und nebenstehende Fahrzeuge wurden zum Beispiel Fehler reflektiert. Die Gewaltbereitschaft steigerte sich immer mehr. Der Dresdener Hooligan, Pizzawagen-Fahrer und Besitzer eines kleinen Waffenscheins,  Patrick F., soll  dafür jeweils die technischen Einzelheiten ausgearbeitet haben.

Schwarzer Chat für die gruseligen Sachen

Neben den täglichen Treffen an der Aral-Tankstelle in Freital fanden die wichtigsten Diskussionen im Internet statt. Es wurden unterschiedliche Chatrooms eingerichtet, einer für „harmlose Zivilistensachen“, die gruseligen Sachen besprachen sie im so genannten schwarzen Chat. Die dort aktiven Mitglieder bezeichneten sich als „Terroristen“. Es gab einen „Pyrochat“, an dem auch „Schreibtischleute“ beteiligt waren. Bei den Übergriffen existierten Vorschriften, so blieben die Mobiltelefone aus oder durften erst gar nicht mitgenommen werden, um keine  Funkzellendaten zu hinterlassen.

Rechter Terror und Gewalt in Sachsen sind vielfältig.  Ein Blick auf die zurückliegenden Ereignisse, Gewalttaten, Brandstiftungen, Übergriffe vermittelt den Eindruck, es könne nahezu eine Arbeitsteilung zwischen den diversen Aktivistengruppen gegeben haben. So überfielen Nazi-Hooligans aus dem gesamten Bundesland den alternativen Leipziger Stadtteil Connewitz und verwüsteten ihn. Mit dabei die Hooligans von „Faust des Ostens“. Die „Freien Kräfte“ aus Dresden sorgten für einschüchternde Dominanz bei den Pegida-Aufmärschen und Anti-Flüchtlingsaktionen. Stimmt diese These , dann hat die „Gruppe Freital“ zweifelsohne den terroristischen Part innerhalb dieses sehr heterogenen Spektrums übernommen.

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