Südwest-AfD: „Kaum handlungsfähig“

Voraussichtlich Ende Februar kommt die baden-württembergische AfD zu einem Parteitag zusammen. Die radikaleren Teile der Partei wollen, dass es den vorgeblich „Gemäßigten“ an den Kragen geht. Als Retterin bietet sich Alice Weidel an.

Dienstag, 07. Januar 2020
Rainer Roeser

Vermutlich werden sich nur die Älteren erinnern, dass es Zeiten gab, da die AfD im Südwesten nicht zerstritten war. Vorgeblich „Gemäßigte“ gegen „Flügel“-Anhänger und umgekehrt: Vom unbedeutendsten Ortsverband bis zur Landtagsfraktion wird auch derzeit um Machtpositionen gerauft. Dass sich mit Blick auf die Wahl im Frühjahr 2021 schon jetzt die potenziellen Kandidaten für lukrative Landtagsmandate warmlaufen, verschärft die Diskussionen. In der Landesspitze der Partei sitzen die an den Schalthebeln, die sich weniger radikal geben. In der Fraktion hingegen hat das Rechtsaußen-Lager die Mehrheit.  

Streit hat Tradition

Der Streit in Baden-Württemberg hat Tradition. Längs der Lagergrenzen spaltete sich im Sommer 2016 die gerade einmal ein Vierteljahr zuvor gebildete AfD-Fraktion in zwei Teile. Nur mit Mühe fand man wieder zusammen. Dass Parteichef Jörg Meuthen Ende 2017 vom Stuttgarter Landtag ins Europaparlament wechselte, war auch eine Flucht vor den besonders bleihaltigen Verhältnissen in der Südwest-AfD. Überdeutlich wurden die Konflikte, als Meuthen vor einem Jahr bei einem Landesparteitag in Heidenheim gegen Mitglieder wetterte, die vor antisemitischen und rassistischen Positionen nicht zurückschrecken würden: „Wer hier seine gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ausleben möchte, dem sage ich ganz klar: Sucht euch ein anderes Spielfeld für eure Neurosen!“ (bnr.de berichtete hier und hier)

Auch wenn die AfD keine Wolfgang-Gedeon-Partei ist: Die Probleme im Südwesten sind untrennbar verbunden mit seinem Namen. Wenn es um die Frage geht, wie antisemitisch die Partei tickt, wird er stets als erstes genannt. Dabei wäre der 72-jährige fraktionslose Landtagsabgeordnete, gegen den mittlerweile ein zweites Parteiausschlussverfahren läuft, für die AfD nicht das Problem, würde es allein um ihn gehen. Gerade erst vor etwas mehr als einem Monat hat der Braunschweiger Parteitag gezeigt, dass er bundesweit nichts zu melden hat. Nicht einmal vier Prozent der Delegierten stellten sich dort hinter ihn.

Fraktionschef ohne Mehrheit

Doch ganz so klar liegen die Dinge nicht – zumal im Ländle. Gedeon hat in Partei und Fraktion einflussreiche Freunde, die nicht viel geben auf Abgrenzungsbemühungen und Lauterkeitsversprechen Meuthenscher Machart. Als die Fraktion bei einer Klausurtagung im September über die Rückkehr des umstrittenen Abgeordneten in ihre Reihen abstimmte, votierten neun Parlamentarier für Gedeon, acht gegen ihn. Damit war zwar die erforderliche Zweidrittelmehrheit nicht erreicht – das politische Signal aber war überdeutlich: Für eine Mehrheit der AfD-Abgeordneten ist Gedeon akzeptiert und geachtet.

Nicht nur in der Personalie Gedeon hat Fraktionschef Bernd Gögel seine Mehrheit verloren. Zuletzt ist das Lager, das ihn stützt, sogar weiter geschrumpft. Ende November traten die Landtagsabgeordneten Stefan Herre und Harald Pfeiffer aus Partei und Fraktion aus – zwei, auf die Gögel einst bauen konnte. „Wir verlassen die Alternative für Deutschland, weil wir mit ihr unsere liberal-konservativen Werte nicht mehr verfolgen können“, ließen die beiden zum Abschied wissen. „Unterschiedliche Auffassungen über politische Ausrichtungen in der Fraktion und der Partei“ würden „keine Perspektive mehr für eine konstruktive politische Arbeit“ lassen.

Politisches Asyl für Rechtsauslegerin

Nach den beiden Abgängen zählt die Fraktion noch 18 von anfangs 23 Abgeordneten. Den Status als größte Oppositionsfraktion hat sie an die SPD verloren. Mindestens so ernst ist jedoch für Gögel & Co., dass sich intern die Gewichte weiter zu den radikaleren Kräften verschoben haben. Die „Stuttgarter Zeitung“ rechnete aus, dass nur noch sieben Abgeordnete auf der Seite ihres Fraktionschefs stehen, aber elf zu seinen Gegnern zu rechnen sind. 

Eine Personalie macht den Rechtstrend deutlich. Als Mitarbeiterin beschäftigt die Fraktion Christiane Christen. Zuständig ist die frühere Vizechefin der rheinland-pfälzischen AfD für die Aktivitäten in sozialen Medien. In ihrem Heimatlandesverband hatte sie politisch keinen Fuß mehr an den Boden bekommen. Der Vorstand in Rheinland-Pfalz hatte gar ein Ausschlussverfahren in Gang gebracht, weil sie, so der Vorwurf, systematisch mit einem früheren NPD-Funktionär kooperiert haben soll. Das Ausschlussverfahren endete mittlerweile per Vergleich und mit einer Rüge. Doch auch hier ist das politische Signal sehr deutlich: Der Vorstand in Rheinland-Pfalz wollte Christen aus der Partei feuern – in Stuttgart fand sie jedoch eine Art politisches Asyl und einen dotierten Job in Diensten der AfD.

Sechs Kreisverbände wollen Neuanfang

Christens Anstellung liefert einen Hinweis, wie sehr in der Fraktion das radikalere Lager den Ton angibt. Verantwortlich für deren Vorstandsressort Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zeichnet Emil Sänze, Gögels wichtigster Gegenspieler von Rechtsaußen. Am kommenden Donnerstag wird Christen im Übrigen in Rottweil einen „Bürgerdialog“ der Fraktion mit dem Titel „Baden-Württemberg zwischen Brexit und Dexit“ moderieren. Mit dabei sind der sächsische EU-Abgeordnete Maximilian Krah, dessen Kollegin Christine Anderson, die in Hessen die Aktivitäten des „Flügels“ koordiniert, sowie drei baden-württembergische AfD-Rechtsausleger: Gögels Ko-Landesvorsitzender, der Bundestagsabgeordnete Dirk Spaniel sowie die Landtagsabgeordneten Sänze und Christina Baum. 

Spaniel rangelt mit Gögel um die Macht in der Landespartei. Seit Monaten drängt ein halbes Dutzend Kreisverbände auf einen Sonderparteitag und auf einen sofortigen personellen Neuanfang. Ob es zu diesem „Neuanfang“ kommen wird, ist nach wie vor offen. Zur „sofortigen“ Klärung freilich ist es seit mehr als einem halben Jahr nicht gekommen: weil die aufbegehrenden Kreisverbände Formalien nicht beachtet hätten, sagen die, die Gögel unterstützen; weil der Landesvorstand auf Zeit gespielt und einen solchen Parteitag möglichst habe verhindern wollen, kontern dessen Gegenspieler.

Parteitag in „Viehzuchthalle“ abgesagt

Egal wer recht hat: Mit monatelanger Verspätung soll der Sonderparteitag nun endlich zustande kommen. Doch die baden-württembergische AfD wäre nicht die baden-württembergische AfD, wenn die Planung der Veranstaltung problemlos vonstatten ginge. Als Termin war zunächst das letzte Januarwochenende im kleinen Städtchen Gaildorf im Landkreis Schwäbisch Hall vorgesehen. Doch der Termin musste wieder gecancelt werden.

Erst monierten die Gegner des Vorstands die vorgesehene Halle, die sie für „ungeeignet“ befanden: eine „Viehzuchthalle“ mit „katastrophalen Rahmenbedingungen“, wie die Kreisverbände beklagten, die den Sonderparteitag gefordert hatten. Dann glaubte der Landesvorstand einen anderen Raum im selben Ort gefunden zu haben, handelte sich aber eine Absage der Stadtverwaltung ein, die den Saal selbst benötigte.

Sündenbock in den eigenen Reihen?

Die Vorwürfe gingen hin und her: Die einen beklagten die organisatorische Unfähigkeit des Landesvorstands. Der wiederum ließ den Landesgeschäftsführer in einer Mail an die Mitglieder in den eigenen Reihen auf die Suche nach einem Sündenbock gehen: „Ein maßgeblicher Grund für die Absage war der Druck, der aus den eigenen AfD-Reihen auf die Stadt Gaildorf ausgeübt wurde.“ 

Am Ende blieb nur die Verschiebung. Stattfinden soll der Parteitag nun im Februar, voraussichtlich Ende des Monats. Als ein möglicher Veranstaltungsort ist Kehl im Gespräch. Schon die Wahl des Ortes ist ein Politikum. Zu den Parteitagen der AfD in Baden-Württemberg sind alle Mitglieder eingeladen. Vorteile hat jenes Lager, das in der jeweiligen Region das Sagen hat. In Kehl könnten es die radikaler auftretenden Kräfte sein, denen die Mobilisierung der eigenen Abhänger leichter fallen dürfte. Die AfD im Ortenaukreis, zu dem Kehl zählt, gilt als überaus „Flügel“-affin. Zuständiger AfD-Landtagsabgeordneter ist der Gögel- und Meuthen-Gegner Stefan Räpple. Die AfD Ortenau war es, die Bundessprecher Meuthen im vorigen Juli nicht einmal als Delegierten für den Bundesparteitag wählen mochte. 

Weidel will „Gräben zuschütten“

Immerhin dürfte sich eine Lösung der Vorsitzendenfrage finden lassen. Zwar sind erneut die Dauerkontrahenten Gögel, Sänze und Spaniel in der Diskussion, doch auch Alice Weidel würde es machen. Es gehe darum, Gräben zuzuschütten und Einigkeit herzustellen, zitierte die „Stuttgarter Zeitung“ kurz vor Weihnachten die Fraktionschefin im Bundestag. „Der aktuelle Landesvorstand wird von vielen Parteimitgliedern als kaum handlungsfähig wahrgenommen.“ Daher sei sie von verschiedenen Seiten gebeten worden, für den Vorsitz zu kandidieren. Das „behalte“ sie sich vor, „wenn keine andere tragfähige Lösung bis zum besagten Parteitag gefunden wurde“. 

Ihre Chancen wären nicht schlecht. Beim Bundesparteitag wurde sie ohne Gegenkandidaten mit 76,5 Prozent zur stellvertretenden Bundesvorsitzenden gewählt. Auch beim „Flügel“ ist sie vermittelbar, seit sie mit Björn Höcke eine Art „Stillhalteabkommen“ schloss und beim neurechten Institut für Staatspolitik auftrat.

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