Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung
Studie: Agenda-Setting von „Mainstream-Parteien“ nützt der „extremen Rechten“
Eine Analyse des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung konstatiert, dass auch „Mainstream-Parteien“ diskursive Inhalte der „extremen Rechten“ übernommen und damit indirekt deren Wahlerfolge mit gefördert haben.
„Wir müssen endlich im großen Stil abschieben“, so kündigte am 21. Oktober 2023 „Der Spiegel“ ein Interview mit dem damaligen Bundeskanzler Olaf Scholz an. Diese publizistische Präsentation löste unterschiedliche Reaktionen aus, welche von Erstaunen bis zu Empörung reichten. Dabei hätten diverse Dimensionen unterschieden werden müssen: Zunächst einmal ist eine Abschiebung von illegal in Deutschland lebenden Migranten mehr als nur nachvollziehbar, solange dabei auf geltende Menschenrechte und internationale Vereinbarungen geachtet wird.
Die Formulierungen im Interview, die dann in dieser Form auf das Titelbild kamen, erinnerten aber an sprachliche Bilder aus rechtsextremistischen Diskursen. Dass man sich innerhalb der AfD über ein solches Cover gefreut haben dürfte, kann mit guter Begründung auch in der Gegenwart noch vermutet werden. Dadurch offenbart sich aber auch das Dilemma einer Kommunikation, wenn von rechtsextremistischen Parteien nicht nur die Themen, sondern anscheinend auch die Wortwahl übernommen wird.
Einfluss durch öffentliches „Agenda Setting“
Eine Bestätigung erfährt diese Einschätzung durch eine aktuelle Studie, die vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung erstellt wurde. Deren englischsprachige Aufsatzfassung, die von Daniel Saldivia Gonzatti und Tereza Völker verfasst wurde, findet sich auf der Internetseite des „European Journal of Political Research“. In Deutschland lösten die dort präsentierten Erkenntnisse bislang kaum Interesse aus, was möglicherweise mit dem angedeuteten Dilemma öffentlicher Kommunikation über Migration zusammenhängt.
Um das Gemeinte besser zu verstehen, muss kurz die Vorgehensweise skizziert werden. Anführungszeichen markieren dabei die Begriffe der Forscher, um deren Botschaft und Termini in der Vermittlung nicht zu verzerren: Anhand von 520.408 Artikeln, die seit den 1990er Jahren in sechs Zeitungen erschienen, wurde eine automatisierte Textanalyse durchgeführt. Es ging dabei um die Berichterstattung zum Kontext von „Mainstream-Parteien“ und „extremer Rechter“ über einschlägige Themen.
„Extreme Rechte“ wirkt auf „Mainstream-Parteien“ und umgekehrt
Genauer formuliert sollten die Auswirkungen eines bestimmten Diskurses der Erstgenannten untersucht werden, wobei die begriffliche und inhaltliche Ausrichtung der etablierten Parteien zu bestimmten Themen im Zentrum standen. Gemeint waren insbesondere „Integration“ und „Migration“. Ein damit einhergehendes „Agenda Setting“ sei von der „extremen Rechten“ auch zu den „Mainstream-Parteien“ übergegangen. Ebendort habe man sich einschlägiger Begriffe und anderer Diskurselemente bedient, um eine öffentliche Kommunikation zu den genannten Themen voranzutreiben.
Damit sei es aber auch zu einer diskursiven Akzeptanz in der breiteren Gesellschaft gekommen, was wiederum entgegen der eigenen Absichten der „Mainstream-Parteien“ der „extremen Rechten“ genutzt habe. Dieser Effekt wird sogar für einschlägige Kritik konstatiert, seien doch auch durch das negative Aufgreifen der Inhalte der „extremen Rechten“ diese stärker verbreitet worden. Darin wird ein bedeutender Faktor für deren kontinuierliche Wahlerfolge gesehen.
Dilemma für die öffentliche Kommunikation
„Rechtsextreme Akteure“ hätten demnach die Kommunikation der „Mainstream-Parteien“ beeinflusst, was wiederum die Erstgenannten in der Fernwirkung über Massenmedien gestärkt habe. Damit wird auch ein Dilemma für die öffentliche Kommunikation thematisiert, wobei die Autoren der Forschungsarbeit dazu keine Lösungen oder Reflexionen liefern. Darauf bezogenen möglichen Einwänden muss hier aber präventiv mit einer Klarstellung begegnet werden: Die Aufgabe der Sozialforschung besteht insbesondere darin, Probleme zu den gemeinten Themen aufzuzeigen. Für deren Lösung sind andere Protagonisten zuständig.
Gleichwohl lassen sich Anregungen formulieren: Die angesprochenen „Mainstream-Parteien“ könnten zumindest bei Positionierung und Wortwahl anders agieren, allein schon um mehr Differenzierungsvermögen und Sachlichkeit bei einschlägigen Themen zu veranschaulichen. Denn ansonsten machen sie sich auch ohne Absicht oder mit scheinbar guten Gründen zu indirekten Unterstützern rechtsextremistischer Wahlparteien.