TikTok & Co.
Studie: AfD in sozialen Medien weniger erfolgreich als gedacht?
Die AfD nutzt die sozialen Netzwerke flink wie ein Windhund – so zumindest ist die landläufige Meinung. Eine Studie zeigt nun, dass die AfD dafür aber auch das internetaffine Vorfeld, die rechts-„alternativen“ Medienaktivisten und ab und zu einen inszenierten Skandal benötigt, worüber dann auch die klassischen Medien berichten.
„Social-Media-Partei AfD? – Digitale Landtagswahlkämpfe im Vergleich“ lautet der Titel der von der Otto Brenner Stiftung als „Arbeitspapier 73“ veröffentlichten Studie. Der Inhalt erinnert ab einem gewissen Punkt unweigerlich an Herrn Tur Tur aus dem Kinderbuch „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ (Michael Ende). Je weiter man von Tur Tur entfernt ist, desto größer, furchteinflößender und mächtiger erscheint der Riese. Kommt man ihm jedoch näher, wird deutlich: Er schrumpft. Er ist ein Scheinriese, so groß wie alle anderen auch.
Das trifft auf die AfD natürlich nicht ganz zu. Dennoch nähern sich die Autoren der Studie der Partei unerschrocken an. Untersucht wurden die drei Landtagswahlkämpfe in Thüringen, Sachsen und Brandenburg. Und siehe da: Die AfD nutzt und bespielt die sozialen Netzwerke und Medien zwar durchaus solide und erfolgreich. Aber sie ist dabei weniger effektiv, als es bisher den Anschein hatte. Ohne das sehr internetaffine Vorfeld, das die Inhalte weiter verbreitet, sähe es für die AfD dabei wohl noch schlechter aus.
Scheinriese kleiner als gedacht
Autoren der Studie sind der Konfliktforscher Maik Fielitz, der Politikwissenschaftler Harald Sick, der Informatiker Michael Schmidt und der Datenwissenschaftler Christian Donner. Das Quartett ist aktiv in der Bundesarbeitsgemeinschaft „Gegen Hass im Netz“, die im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ vom Bundesfamilienministerium gefördert wird.
Was sie herausgefunden haben und jetzt auf rund 50 Seiten relativ knapp und gut lesbar skizzieren, ist: Die AfD bespielt die sozialen Medien situativ, auch um ihre eigene Filterblase bei Laune und die Reihen fest geschlossen zu halten. Das macht sie sehr geschickt. Während sie in Thüringen den Spitzenkandidaten Björn Höcke als „Influencer“ aufbaute, Medienaktivisten einband und auf ein junges Publikum zielte, agierte sie in Sachsen zurückhaltender und weniger effektiv – auch, weil dort die rechtsextremen „Freien Sachsen“ virtuell sehr viel agiler waren.
Keine Angst vor Künstlicher Intelligenz
Alle sozialen Medien und Netzwerke werden je nach Situation angemessen von der AfD genutzt: Je nachdem, wer angesprochen werden soll, werden TikTok, Facebook, Instagram oder Telegram mal mehr, mal weniger bespielt. Die AfD und ihr Vorfeld bewegen sich dabei seit Jahren in dieser virtuellen Welt und gelten nicht nur als Marktführer unter den Parteien und politischen Bewegungen, sondern sind auch offen für Innovationen und Neues. Sie respektive ihre Parteikader setzten KI (Künstliche Intelligenz) in Bereichen der letzten Wahlkämpfe bereits teils sehr exzessiv und effektiv ein.
Auch wenn die AfD im Vergleich zu anderen Parteien und politischen Szenen in der virtuellen Welt flink wie ein Windhund unterwegs ist oder sein will – eine Wechselwirkung mit der realen Welt, mit Reden in Parlamenten und Wahlkampfveranstaltungen, findet statt. Die Studie zeigt aber, dass die – offizielle – AfD hier nicht so erfolgreich ist, wie es den Anschein hat. Dennoch sollten andere Parteien Strategien entwickeln, um das virtuelle Schlachtfeld nicht kampflos der AfD zu überlassen. Andere Parteien und Politiker, aber auch klassische Medien sollten zudem nicht auf jeden – inszenierten – Skandal der AfD anspringen und so direkt oder indirekt deren Reichweite potenzieren.
Gegenstrategien sind nötig
Die Autoren bieten zwar keine konkreten Lösungen oder Ratschläge an. Sie sehen ihre Studie aber als Grundlage, um zu verstehen, wie die rechtsradikale, in Teilen auch rechtsextreme Partei agiert und wie man ihr begegnen kann. Interessant ist auch die Feststellung, dass ein nicht unerheblicher Teil des Erfolgs der AfD in den sozialen Medien und Netzwerken mit der Macht und dem Aktionismus des internetaffinen Vorfelds und der rechts-„alternativen“ Medienaktivisten zusammenhängt.
Während die Studie zu den drei Landtagswahlkämpfen 2024 in Thüringen, Brandenburg und Sachsen dieses offizielle und halboffizielle parteinahe Agieren gut analysiert hat, bleibt aber ein Dunkelfeld. Man könnte hier von einer Art erweitertem Vor- und Umfeld der Partei sprechen. Im Großraum Aachen etwa bespielt die AfD wirkungsvoll eigene Kanäle. Gleichzeitig sind ihre Vertreter und Anhänger in unzähligen lokalen Facebook-Gruppen aktiv, im gesamten Raum Aachen wurden sogar unverfänglich wirkende Lokalgruppen aufgebaut oder in Einzelfällen bestehende Facebook-Gruppen übernommen und kontrolliert.
Der Westen tickt möglicherweise anders
Rechtsextremisten und AfD-Vertreter treten hier einerseits als Kümmerer auf, sie posten auch Verkehrsmeldungen und Hinweise auf ganz normale lokale Veranstaltungen und soziale Initiativen. Zugleich aber verbreiten sie zwischen ganz normalen Usern parteieigene Werbung oder rechtsextremistische, rassistische, fremden- und flüchtlingsfeindliche Inhalte. Zumindest subjektiv entstand bei der Europawahl der Eindruck, dass die Partei und ihre Anhänger in einzelnen eigenen oder auch anderen Lokalgruppen via Facebook sehr effektiv Menschen ansprechen und letztlich Stimmen generieren konnten.
Um hier also im Bild von Tur Tur zu bleiben: Die AfD und ihr gesamtes Um- und Vorfeld sind vielleicht doch weniger Scheinriese als zunächst angenommen, zumindest in Teilbereichen. In manchen Regionen Westdeutschlands nutzt sie den virtuellen Raum, um Lücken im realen öffentlichen Raum zu minimieren und manche Aktionsunfähigkeit im Straßenwahlkampf zu überbrücken. Erst Mitte des Jahres entschied das Oberverwaltungsgericht Münster, dass der Verfassungsschutz die gesamte AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall beobachten darf.
Gesamtbild im Auge behalten
Unter anderem wurde dabei in einem der OVG-Urteile festgestellt, dass es sich nicht ausschließen lasse, „dass das Programm einer Partei andere Ziele und Absichten verberge als die, welche sie öffentlich verkündet.“ Offizielle Programme von Parteien müssten „mit dem Verhalten und den Stellungnahmen der Mitglieder und Verantwortlichen der Partei verglichen werden.“ Äußerungen und Taten „von Mitgliedern oder sonstigen Anhängern der Partei“ könnten ebenso Beleg für die Verfassungswidrigkeit sein.
Solche Aussagen virtuell betrachtet: Künftige Studien sollten nach Möglichkeit auch das AfD-Umfeld noch deutlicher ausleuchten und prüfen, ob die Mitglieder und das Vor- und Umfeld nicht als scheinbar private User und Kumpeltypen doch deutlich effektiver agieren, als die offiziellen Kanäle und Bündnispartner der AfD. Denn nichts wäre schlimmer für die Demokratie, als wenn sich alle nun entspannt zurücklehnten, weil die AfD etwas weniger effektiv agiert, als es gemeinhin gedacht und berichtet wird.
Gegen- und Desinformationskampagnen
Manche gute virtuelle Kampagne zur kritischen Einordnung der AfD wurde etwa monatelang in Gremien und bürokratischen Abläufen zäh geplant. Kaum online, konterte das AfD-Umfeld diese dann mit ruhig festem Klick zuweilen binnen weniger Stunden und äußerst kreativ. Und auch Desinformationskampagnen feindlich gesinnter, autoritärer Staaten flankieren längst Kampagnen und Wahlkämpfe aus dem (extrem) rechten Spektrum.