Strategiewechsel?
Die Hauptangeklagte im Münchner NSU-Prozess Beate Zschäpe hat kein Vertrauen mehr in ihre Verteidiger – das Gericht muss nun den Weitergang des Verfahrens entscheiden.
Ein Nicken genügte. Am 128. Verhandlungstag fragte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl die Hauptbeschuldigte im NSU-Verfahren Beate Zschäpe, ob sie einem Wachbeamten gesagt hätte, dass sie ihrer Verteidigung das Vertrauen entziehen wolle. Die Kopfbewegung der 39-Jährigen bestätigte die Aussage. Um 14.20 Uhr am Mittwoch sagte Richter Götzl unaufgeregt: „Die Verhandlung wird ausgesetzt, der Termin morgen entfällt“.
Im Saal A 101 des Oberlandesgericht München waren alle Prozessbeteiligten, Journalisten und Zuschauer überrascht. Mit roten Köpfen standen in dem fensterlosen Saal die Verteidiger von Zschäpe Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm da – überrascht und vorgeführt. Nach außen hatten sie das Binnenverhältnis zu ihrer Mandantin bei ihren Statements und Interviews immer anders dargestellt.
Am Vormittag des 128. Verhandlungstag selbst war nicht zu erkennen, wie der Nachmittag enden sollte. Durch die Seitentür hatte Beate Zschäpe wie alle Verhandlungstage zuvor den Saal betreten, Heer und Sturm schirmten sie vor den Fotografen ab, Stahl setze sich wie immer. Gut vier Stunden später standen Heer und Sturm vor dem Gerichtsgebäude in der Nymphenberger Straße und sagten der Presse nur eins: „Wir sagen nichts, wir geben keine Stellungnahme ab, bitte respektieren sie das.“ Rechtsanwalt Stahl war nicht bei ihnen. Eine Spekulation ging um, denn jetzt fiel auf: Stahl war nach den Verhandlungen öfter allein aus dem Gericht kommend gesehen wurden, sollten sich die drei selbst nicht mehr so einig sein?
Immer öfter über die Verteidiger gewundert
Eine der vielen Fragen die nach der Ansage von Richter Götzl im Saal auf dem Platz vor dem Gericht aufkam. Was heißt der Vertrauensentzug für das weitere Verfahren? Was sind die Motive von Zschäpe, die wieder kein Wort gesagt hatte? Wie läuft das Verfahren weiter? „Wir haben das nicht kommen sehen“, betont Herbert Diemer, zweiter Sitzungsvertreter der Bundesanwaltschaft. „Das ist mehr als eine Überraschung“, sagt auch Gül Pinar vor dem Gericht, eine der Nebenkläger der Familie des ermordeten Lebensmittelhändlers Süleyman Tasköprü. Eine Indiskretion, von der Zschäpe in der Mittagspause vielleicht erfahren habe, könnte zu der weitreichenden Entscheidung geführt haben, spekuliert Pinar. „Sie will vielleicht aber doch reden?“, überlegt die Anwältin und meint, das sei wohl eher ihr Wunsch, um endlich den Opfern etwas gerecht zu werden. „Das ist ein Desaster für den Senat“, so Olaf Klemke, der Verteidiger von Ralf Wohlleben, der beschuldigt ist, unter anderem eine der Mordwaffen des Trios organisiert zu haben. Von so einer Entscheidung will auch Anwalt Klemke vorab nicht gehört haben.
In den vergangenen Monaten hatten sich Nebenkläger der Angehörigen der Opfer öfter über die Verteidiger gewundert. Auch Journalisten fragten sich, warum das Anwaltstrio oft nicht nachfasste. Seit dem 6. Mai 2013 hält die Bundesanwaltschaft dem NSU-Kerntrio Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Zschäpe vor, zehn Menschen ermordet, zwei Bombenanschläge und vierzehn Banküberfälle verübt zu haben.
„Frau Zschäpe zog die Reißleine“
Belastende Aussagen zu ihrer Mandantin konnten Heer, Sturm und Stahl kaum entkräften. Wurde Zschäpe nach und nach unsicher? Im Verfahren sagte der Ermittler des Bundeskriminalamtes (BKA) Rainer B., der Zschäpe während einer Fahrt vom Kölner Untersuchungsgefängnis zu einem Verwandtenbesuch nach Thüringen begleitet hatte, dass es zwischen Verteidigung und Mandantin angespannt wäre. B. wollte Zschäpe mit der Aussicht auf einen Besuch im Biergarten bewegen, doch auszusagen. „In Folge merkte man, sie war sehr unzufrieden mit der Arbeit ihres Verteidigers“, meinte der BKA-Beamte im Saal A 101. „Dann hat sie gesagt, sie wird ihren Verteidiger nicht mehr los, deshalb hätte sie gerne einen dritten.“
Vor dem Gerichtsgebäude sagt am Mittwoch Mehmet Daimagüler: „Frau Zschäpe zog die Reißleine!“ Der Anwalt von zwei Opfer-Familien im NSU-Prozess glaubt: „Im Verfahren ist längst die gesamte Anklage gegen Zschäpe völlig bestätigt worden.“ Er denkt, dass das Zschäpe nun bewusst geworden zu sein scheint.
Im Saal A 101 des Münchner Gerichts gelang es der Vereidigung Zschäpes am 128. Verhandlungstag auch nicht, die Aussage des Zeugen Tino Brandt zu relativieren. Schon am Vortag hatte der ehemalige Anführer des „Thüringer Heimatschutzes“ und V-Mann das Thüringischen Landesamtes für Verfassungsschutz, dargelegt, dass Zschäpe „keine dumme Hausfrau“ war. Ihre Mandantin: klug, politisch gebildet und selbstständig. Nein, diese Assoziationen wollte die Verteidigung sich nicht verfestigen lassen. Bestärkte dies doch erneut die Anklage, dass Zschäpe ein vollständiges Mitglied des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ war.
„Sie hatte Ahnung, für was sie stand“
Anwalt Stahl fragte befragte so auch Brandt, wie der zu der Einschätzung käme, dass „sie keine dumme Hausfrau war“ und über das „Germanentum“ gut Bescheid wissen würde. Brandt räumte ein, „sie war nicht an politischen Grunddiskussionen beteiligt“, schob aber nach: „Wir hatten auch Skingirls, die kein eigenes Wissen hatten, nur nachplapperten, sie (Zschäpe) hatte Ahnung, für was sie stand, redete mit.“ Eine konkrete Erinnerung, wann er den Eindruck gewonnen hätte, dass Zschäpe sich beim Germanentum auskennen würde, konnte Brandt indes nicht liefern. Dass sei alles schließlich über 16 Jahre her, sagte Brandt, der wegen Verdachts des sexuellen Missbrauchs selbst in Haft ist. Eine Widerlegung der Aussage war das nicht.
Wollte sich Zschäpe also nicht als naive Mitläuferin von ihrer Verteidigung darstellen lassen? Kann sie nach 128 Verhandlungstagen nicht mehr schweigen? Schweigt die Angeklagte seit Beginn des Verfahrens nur, weil ihre Pflichtverteidigung das wollte?
In Verfahren kommt es vor, dass Anwälte von ihren Mandanten des Mandates enthoben werden. Keine leichte Situation, sagen Nebenkläger. Ein Prozess platze an solchen Entwicklungen aber nicht. Bei einem Verteidigungswechsel müsse den neuen Anwälten jedoch Einarbeitungszeit gegeben werden. Eine Unterbrechung ist bis zu drei Wochen möglich, mit „Überbrückungsterminen“, bei denen irgendetwas vorgelesen würde, kann mehr Zeit gewonnen werden. In den kommenden Tagen muss das Gericht über die Ablehnung der Verteidigung durch die Hauptbeschuldigte entscheiden. Nächste Woche am Dienstag, so verkündete Richter Götzl gleich nach dem Paukenschlag, gehe das Verfahren weiter.