"Arische Bruderschaft"
Strategie: Mit Selbstauflösung gegen drohende Verbote
Nach den Verboten der „Hammerskins“ und der „Artgemeinschaft“ hoffen offenbar mehrere rechtsextreme Zusammenschlüsse, sich durch Selbstauflösung vor weiteren Verboten schützen zu können. Inzwischen haben mehrere Gruppierungen und Strukturen ihre Auflösung bekannt gegeben.
Den Anfang machte der langjährige NPD- und Neonazikader Thorsten Heise noch während der laufenden Hausdurchsuchungen bei den „Kameraden“ der „Artgemeinschaft“. In den Chats und Kanälen der Szene kursierte die Information, dass Heise die Auflösung der „Arischen Bruderschaft“, der „Arischen Bruderschaft Supporter“, der „Brigade 12“ sowie der „Kameradschaft Northeim“ angekündigt habe. Die genannten Gruppierungen waren etwa als Ordner und Security bei Rechtsrock-Großveranstaltungen aktiv und in Netzwerke eingebunden.
Im Laufe des gestrigen Tages wurde in Szenekreisen bekannt, dass sich auch die „Division 45“ aufgelöst haben soll. Diese hat Strukturen in Bautzen und in Salzgitter. Ende 2021 wurde in Salzgitter gegen deren Mitglieder ermittelt, bei Hausdurchsuchungen wurden Waffen, Feuerwerkskörper, indizierte CDs und Datenträger gefunden. Am Abend kursierte gestern zudem die Meldung, die Gruppe „Brothers of Honour“ (BoH) habe sich selbst aufgelöst. BoH erinnert im Auftreten an Rockergruppen, gilt aber als Sammelbecken von Neonazis aus den Kreisen der verbotenen Netzwerke „Blood and Honour“ (B&H) sowie „Combat 18“ (C18).
Schutzmechanismen und angebliche erreichte Ziele
Heute nun hat auch die völkische Initiative „Zusammenrücken in Mitteldeutschland“ aus Leisnig angekündigt, ihre Aktivitäten einzustellen. Lutz Giesen, ein führender Protagonist der Initiative, die unter anderem „Kameraden“ und völkische Aktivisten aus Westdeutschland zur Übersiedlung in den Osten bewegen will, soll am Mittwoch im Zuge des Verbots der „Artgemeinschaft“ ebenfalls Ziel einer Hausdurchsuchung gewesen sein. „Zusammenrücken“ teilte nun mit: „Das ursprünglich ausgerufene Ziel, den Menschen die Notwendigkeit eines Zusammenrückens ins Bewusstsein zu rufen, wurde erreicht.“ Man könne sich daher auflösen.
Seit Jahrzehnten verbieten Bundes- und Länderministerien neonazistische Gruppierungen – fast ebenso lange entwickeln Rechtsextremisten Strategien, um Verbote zu verhindern oder zu umgehen. Als beispielsweise in den 1990er Jahren wichtige Splitterparteien und Vereine verboten wurden, kam das Konzept der „Freien Kräfte“ und „Kameradschaften“ auf. Als solche formal losen, intern aber straf organisierten Strukturen nach dem Bekanntwerden der terroristischen Vereinigung NSU verstärkt verboten wurden, bildeten sich neue Parteien wie „Die Rechte“. Die Kleinstpartei diente seinerzeit auch als Auffangbecken für Mitglieder verbotener Gruppen und zwecks Neustrukturierung.
Zeitlich angepasste Gegenstrategien
In gewisser Weise hat sich in der Vergangenheit auch die Strategie der Selbstauflösung bewährt. Nachdem die Behörden seit dem Bekanntwerden des NSU verstärkt gegen „Kameradschaften“ und „Freie Kräfte“ vorgingen, nutzten Neonazis diesen Schachzug. Einerseits kam es unter anderem in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2012 zu einer Reihe von Verboten mehrerer strategisch äußerst wichtiger Gruppen (u.a. „Nationaler Widerstand Dortmund“). Zum anderen wurde gegen Gruppen wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgegangen, beispielsweise gegen die Vernetzungsstruktur „Aktionsbüro Mittelrhein“ (ABM).
Einige Gruppierungen in NRW lösten sich daher vorsorglich auf, offenbar um einem Verbot zu entgehen. So löschten die „Nationalen Sozialisten Wuppertal“ (NaSoWpt) Ende August 2012 ihre Website und traten damit offiziell nicht mehr in Erscheinung. Anfang September 2012 dankte das „Netzwerk Münsterland“ ab und verkündete die „Auflösung“. Auch die Rocker- und Hooliganszene bediente sich in der Vergangenheit der Strategie der Selbstauflösung. Allerdings dürften hier keine politische, sondern kommerzielle Beweggründe im Vordergrund stehen.
Ein BGH-Urteil und seine Folgen
Im Januar 2015 hat der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Urteil festgestellt, dass Hooligangruppen kriminelle Vereinigungen sein können. In relativ kurzen Abständen lösten sich daraufhin mehrere solcher Gruppen auf. Auch die „Westfront Aachen“ gab damals ihre Selbstauflösung bekannt. Ihre Mitglieder – darunter frühere Rechtsextreme, Hooligans, Kampfsportler und Migranten – unterhielten geschäftliche Kontakte zum Türsteher-, Rocker- und Rotlichtmilieu.
Das damalige BGH-Urteil enthielt eine Passage, die in Hooligan-, aber auch Rocker-Kreisen für Unruhe sorgte: Mitgliedern oder Unterstützern von kriminellen Vereinigungen müssen nicht mehr einzelne Straftaten nachgewiesen werden, ihnen droht schon alleine wegen der Mitgliedschaft oder eines Anwärterstatus eine Freiheits- oder Geldstrafe. Ermittler dürfen zudem die Telefone von Verdächtigen überwachen, solche Vereinigungen verbieten und deren Vermögen oder Räumlichkeiten beschlagnahmen.
Erfolgreiche Welle der Selbstauflösung
Anfang 2015 gaben die „Standarte Bremen“ (Werder Bremen) und die „Westfront Aachen“ ihre Auflösung bekannt. Kurz darauf verkündeten die Hooligan-Gruppen „Vulture Hannover 13“ (Hannover 96) und „MRH“ (Bayern München) ihr Aus. Auch die „Division Duisburg“ (MSV Duisburg) wollte sich alsbald aufgelöst haben. Seinerzeit sagte der Kölner Rechtsanwalt Christian Solmecke gegenüber dem Kölner Stadt-Anzeiger: „Die Auflösung soll es der Polizei erschweren, gegen die Hooligan-Gruppierung als Ganzes vorzugehen.“
Juristisch unterscheiden sich vereinsrechtliche Verbote wie das der „Artgemeinschaft“ und das behördliche Vorgehen gegen kriminelle Vereinigungen – faktisch handelt es sich jedoch um ähnliche Verfahren und Einschnitte in die Handlungsfähigkeit der betroffenen Strukturen. Diese und Netzwerke, die schon immer auch klandestin und konspirativ agiert haben, können gleichwohl nach einer Selbstauflösung weiter agieren. Theoretisch können sie nach einer Schonzeit sogar wieder wie zuvor auftreten.