Rechte Online-Kampagne

„Stolzmonat“: Rechte Trolle und Netzaktivisten wider den Pride Month

Rechtsextreme Netzaktivisten agieren unter dem Label „Stolzmonat“ gegen den Pride Month. Zentrale Elemente dabei sind der wortgleiche Hashtag und ein Gegenentwurf zur Regenbogensymbolik. Dabei werden die Nationalfarben Schwarz-Rot-Gold in sieben Abstufungen aufgeteilt und imitieren so die Regenbogenfahne.

Mittwoch, 07. Juni 2023
Michael Klarmann
Vor allem auf Twitter erfährt die rechte Kampagne viel Aufmerksamkeit
Vor allem auf Twitter erfährt die rechte Kampagne viel Aufmerksamkeit

Seit dem 1. Juni agieren die verschiedenen Spektren der rechten Szene in den sozialen Medien gegen den queeren Pride Month. Immer im Juni feiert die LGBTQI+-Community unter dem Regenbogenbanner ihre Freiheit und Vielfalt. Es finden Straßenfeste, Veranstaltungen, Kulturevents oder Kundgebungen statt. Als Zeichen der Toleranz werden Regenbogenflaggen gehisst, etwa vor Rathäusern. Unternehmen, Politiker und Initiativen zeigen sich solidarisch und nutzen ebenfalls die Regenbogenfarben. Wie im Internet üblich werden dabei auch Profilbilder und Sharepics entsprechend gestaltet.

Rechtsextreme Netzaktivisten initiieren dagegen eine „patriotische“ Kampagne. Vertreter der Queer-Community und ihre Unterstützer sollen dabei in den sozialen Netzwerken provoziert, vollgespammt oder getriggert werden. Unter den Rechten dominieren Schwarz-Rot-Gold anstatt der Regenbogenfarben das Erscheinungsbild, in Österreich nutzen Rechtsextreme hingegen die Landesfarben Rot-Weiß-Rot. Über zentrale Hashtags wie „Stolzmonat“ und „StolzStattPride“ wird eine virtuelle Dauerpräsenz suggeriert. Zeitweise werden auf Twitter fast im Sekundentakt Tweets abgesetzt.

„Reconquista Germanica“ 2.0

Ähnlich wie zu Zeiten des rechtsextremen Troll-Netzwerks „Reconquista Germanica“ agieren internetaffine Rechtsextremisten und Medienaktivisten mit hoher Dynamik. Nahezu rund um die Uhr wird permanenter Aktivismus generiert. Viele der Profile erinnern gleichwohl an eine Masse anonymer Troll-Accounts. Gezielt werden Tweets von Gegnern, queeren Menschen oder Links zu kritischen Beiträgen und Medienberichten gesucht. Ziele werden markiert, es folgen provokante und hämische Kommentare sowie Hetze. Selbst die AfD Hannover erntete einen kleinen Shitstorm aus den eigenen Reihen, weil ein Tweet, der sich indirekt zum „Stolzmonat“ positionierte, intern für Empörung sorgte.

Die „Amadeu Antonio Stiftung“ beschreibt diese Aktionsform und Taktik in einem Thread als „metapolitische Social Media-Manipulation“. Dabei tritt eine radikale, aber gut strukturierte Minderheit vereint und teils koordiniert im permanenten Aktivmodus auf. Auf diese Weise sollen Masse und Schlagkraft suggeriert und simuliert werden, die der rechten Szene und ihren Anhängern außerhalb des Webs oft noch fehlen. Da die LGBTQI+-Community eines der Hauptfeindbilder ist, richtet sich die Aktion konkret gegen den Pride Month. „Wutbürger“ können sich dabei theoretisch ebenso beteiligen, wie erzreaktionäre Christen oder transfeindliche Migranten.

„Schwarz-Rot-Gold ist bunt genug!“

Die neurechte Wochenzeitung „Junge Freiheit“ nannte am 2. Juni als „Initiator“ des „Stolzmonats“ und dieses virtuell tobenden „Kulturkrieg[es]“ Aaron P. aka „Shlomo Finkelstein“. Die Idee geht allerdings auf den „Patriotenmonat statt Pride Month“ zurück. Diese Aktion wurde in Österreich bereits vor zwei Jahren von Rechtsextremen aus dem Umfeld der FPÖ organisiert. Schon damals agierten sie frontal gegen die queere Community. Einer der Slogans lautete: „Unser Regenbogen hat nur zwei Farben.“ Jetzt heißt es in Deutschland: „Schwarz-Rot-Gold ist bunt genug!“

„Shlomo Finkelstein“ beschrieb in der JF, dass die „Idee im Vorfeld schon organisch breit in AfD- und Rechtstwitter-Kreisen aufgekeimt war“. Der Regenbogen sei „ein Dominanzsignal einer zahlenmäßig kleinen, aber in Presse und Politik sehr mächtigen ideologischen Gruppierung“. Die Kampagne und die Verwendung der Nationalfarben umschrieb „Shlomo“ als einen „revolutionäre[n] Akt“, der sich unter anderem gegen den „woke[n] Machtapparat“ richte. Aus der virtuellen Welt müsse die „Botschaft via Sticker, Plakate und so weiter in die echte Welt getragen werden“.

Hashtag-Charts bei Twitter entern

In den Kanälen der Szene fabulieren andere, anonym agierende Organisatoren davon, man sei die „neue patriotische Graswurzelbewegung“. Einerseits heißt es, es gebe Wichtigeres als den Pride Month. Andererseits wird im Widerspruch dazu aber betont, dass man diesen explizit bekämpfe. Angeboten werden Profilbild-Generatoren und Grafiken zum Weiterverbreiten. Außerdem wird die Information gestreut, dass man seit einigen Tagen schon die Hashtag-Charts bei Twitter beherrsche. Auch hier erinnert vieles wieder an das koordinierte Vorgehen von „Reconquista Germanica“.

Der „Stolzmonat“ verbindet die Spektren und Aktivisten der Szene. Man agiert direkt oder indirekt gemeinsam und ergänzt sich. Berührungsängste scheint es kaum zu geben. Rechtsextreme, Medienaktivisten, Blogger und Influencer der Szene sind ebenso aktiv wie frauen- und transfeindliche Trolle oder Mitglieder, Politiker und Funktionäre der AfD. Der rechtsextreme Verein „Ein Prozent“ schwärmt auf seinem Telegram-Kanal von einer „gelungene[n] Gegenoffensive zum ‚Pridemonth‘ des Mainstreams“.

Kein Heldentod für „Gender-Gaga“

Wie weit die „Stolzmonat“-Kampagne politisch-inhaltlich und ideologisch gedacht werden kann, zeigt ein Beitrag von Björn Höcke zum Thema Wehrhaftigkeit. Verfasst hat der AfD-Rechtsaußen den Text für „Info-Direkt“, ein in Linz in Österreich erscheinendes „Magazin für Patrioten“. Kurzerhand veröffentlichte das rechtsextreme Blatt den Text am 4. Juni auch online. Inhaltlich äußerst gewagt veröffentlichte man den Beitrag als einen solchen, der explizit im „Rahmen des Stolzmonats“ auf der Webseite erscheine.

Björn Höcke wirbt auf seinen Social-Media-Kanälen ebenfalls für die Kampagne.
Björn Höcke wirbt auf seinen Social-Media-Kanälen ebenfalls für die Kampagne.

Höcke spricht sich gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht aus. Zum Pride Month oder dem „Stolzmonat“ äußert er sich in der veröffentlichten Fassung nicht. Jedoch betont Höcke, eine „bunte Republik“ sowie „Gender-Gaga, Cancel-Culture, […] Multikulti […] und nationale Selbstabschaffung“ werde man keinesfalls mit dem eigenen Leben verteidigen. Der virtuelle Feldzug gegen den Pride Month findet dagegen eher gemütlich, aber mit ruhig festem Klick vom Schreibtisch oder Sofa aus statt.

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