Rezension
Staatsgewalt: Polizisten und Soldaten in feindlicher Verfassung
Die Neuerscheinung „Staatsgewalt. Wie rechtsradikale Netzwerke die Sicherheitsbehörden unterwandern“ zeugt von der Fragilität des Rechtsstaats. Verfassungsfeindliches Bestreben und Umsturzpläne sind keine Einzelfälle mehr – und waren es wohl nie.
Zurück in die Gegenwart? „Staatsgewalt. Wie rechtsradikale Netzwerke die Sicherheitsbehörden unterwandern“ ist soeben erschienen. Vier Jahre nach dem Buch „Extreme Sicherheit. Rechtsradikale in Polizei, Verfassungsschutz, Bundeswehr und Justiz“ liegt damit eine neue, umfassende Bestandsaufnahme vor. Investigative Journalistinnen und Journalisten renommierter Medien oder von Fachstellen skizzieren darin ihre umfangreichen Recherchen und Veröffentlichungen der letzten Jahre – und vertiefen dabei so manches Erlebnis. In einigen Beiträgen schildern Betroffene ihre Erfahrungen oder werden kompetente Gesprächspartner interviewt.
Manche dürfte diese Gegenwart an die Vergangenheit in den 1950er bis 1980er Jahre erinnern – andere werden bei der Lektüre hingegen an eine Dystopie denken. Aus Elitepolizisten und -soldaten sind manchmal schwer bewaffnete Prepper geworden, die am „Tag X“ die Macht übernehmen („Nordkreuz“) oder den „tiefen Staat“ stürzen wollen („Patriotische Union“ um Heinrich XIII. Prinz Reuß). Polizisten tauschen sich in Chats aus, verbreiten und teilen rechtsextreme, rassistische und NS-verherrlichende Inhalte.
Auch mal „purgen“?
Angesichts der Impfpflicht radikalisierten sich Bundeswehr-Soldaten oder bewegten sich zuvor schon unter „Identitären“ und Neurechten (Franco A.), fabulierten dabei nicht selten vom Umsturz. In der Bundestagspolizei arbeite(te)n Personen, die rechtsextreme Inhalte vertraten und der Ideologie der „Reichsbürger“ anhingen. Polizisten, Staatsanwälte und Richter mit AfD-Parteibuch nutz(t)en Privilegien, um politische Gegner auszuforschen oder Verfahren gegen Ähnlichgesinnte zu torpedieren. Vom Szenario des Films „The Purge: Election Year“ (dt: säubern) ist Deutschland zwar weit entfernt. Aber in Sicherheitsbehörden und bewaffneten Gruppen gibt es offenbar Leute, die „purgen“ wollen.
Die Herausgeber Heike Kleffner und Matthias Meisner stellen in ihrer Einleitung fest, dass Rechtsextreme in Behörden „keine Skrupel [haben], ihre dienstlichen Privilegien und Befugnisse einzusetzen, um den demokratischen Rechtsstaat zu unterminieren, zu dessen Schutz sie sich verpflichtet haben.“ Früheren „Weckrufen“ seien kaum Konsequenzen gefolgt. „Warnsignale werden allzu oft ignoriert, Strafverfahren blockiert, Disziplinarverfahren verschleppt.“ Es setze eine ungute Gewöhnung ein, Nachahmer und Gleichgesinnte würden ermutigt.
Polizeilicher Vertrauensbruch
Einige der geschilderten Fälle, so die Herausgeber in ihrer Einleitung, nährten den Verdacht, dass die AfD als „parlamentarischer Arm“ bestimmter bewaffneter Gruppen agiere. Die zögerliche Reaktion auf problematische Fälle und kritische Berichte, so die Autoren Pitt von Bebenburg und Hanning Voigts in ihrem Kapitel über rechtsradikale bis rechtsextremistische Vorfälle und Chatinhalte bei der hessischen Polizei („NSU 2.0“), begründeten zudem bei vielen Menschen den Glauben, „dass es bei der Polizei vor Rechtsradikalen nur so wimmele. Für eine Institution, die auf Vertrauen der Öffentlichkeit angewiesen ist, ein Albtraum.“
Zumal mögliche Polizeiskandale – siehe Hessen und Berlin-Neukölln – von den Behörden nicht oder nur zögerlich, von Betroffenen, Antifaschisten und Journalisten aber mit Nachdruck öffentlich thematisiert wurden. Ohne diesen Druck, das wird in einigen Beiträgen des Buches deutlich, wäre vieles wohl nie ans Licht der Öffentlichkeit gelangt. Manche Chats mit verfassungsfeindlichem Inhalt, in denen sich Polizisten, Elitesoldaten oder SEK-Angehörige untereinander austauschten, wurden zudem nur bekannt, weil sie Beifang von Ermittlungsverfahren in anderer Sache waren.
Beifang in Chemnitz
Einen Beifang gab es auch in Chemnitz. Nachdem dort 2018 ein der rechten Szene nahestehender Justizwachtmeister – bald darauf in der AfD aktiv – einen Haftbefehl an Gleichgesinnte durchgestochen hatte und es zu massiven rechten Aufmärschen kam, wurden bei Ermittlungen wegen Verrats von Dienstgeheimnissen Chats entdeckt. Darin wurden Misshandlungen von Geflüchteten in der JVA beschrieben. Justizbeamte brüsteten sich damit, andere lobten die Taten. „Von Rassismus […] betroffene Gefangene können sich der Gefahr, die von rechten Beamten ausgeht, praktisch nicht entziehen“, resümiert Timo Stukenberg ernüchtert in seinem Beitrag.
Die Probleme in den Sicherheitsbehörden werden in dem Buch vielfach thematisiert. Das Stadium, in dem man von Einzelfällen sprechen könnte, ist längst überschritten. Deutlich wird auch, dass es nicht nur unbekannte, fast namenlose Hinterbänkler sind, die für Schlagzeilen sorgen oder sich mitunter atemberaubend schnell radikalisieren. So kommt das Buch nicht umhin, auch einen Teil des Werdegangs des ehemaligen Chefs des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, zu skizzieren. Herausgeber Meisner hat sich dieses Themas angenommen.
Radikalisierung der Mitte
Meisner kommt zu dem Schluss, dass es „zahlreiche Anhaltspunkte“ dafür gebe, dass Maaßen sich radikalisiert hat und Verschwörungserzählungen verbreitet respektive solchen selbst anhängt. Der ehemalige oberste Verfassungsschützer trage heute selbst zur Delegitimierung des Rechtsstaates bei. Unter Maaßen sei die sich stetig radikalisierende AfD in der Behörde eher eine Leerstelle gewesen. Nun wolle er, schreibt Meisner, die Brandmauer der Union zur rechtsradikalen bis rechtsextremen Partei einreißen. Maaßen stehe auch „für eine verstörende Radikalisierung der bürgerlichen Mitte.“
Verstörend sind auch jene, die einen Eid geschworen haben, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen – nun aber offenbar Pläne heg(t)en, deren „Abschaffung mit Waffengewalt sicher[zu]stellen“, wie es Sebastian Leber umschreibt. Das Buch stellt unter anderem zwei Personen näher vor, die sich in der „Querdenken“-Welt und im Umfeld der Splitterpartei Die Basis radikalisierten. Beide wurden im Zuge der Ermittlungen gegen den Trupp um Heinrich XIII. Prinz Reuß verhaftet und sind heute keine Unbekannten mehr. Auch Inhalte aus der QAnon- und Reichsbürger-Ideologie wurden von dem Tross respektive dem Duo vertreten.
Bürgerliche Frontkämpfer
Maximilian Eder war einst Oberst der Bundeswehr, maßgeblich am Aufbau des Kommandos Spezialkräfte (KSK) beteiligt und später im NATO-Bereich eingesetzt. Spätestens im Zuge der Corona-Pandemie radikalisierte sich der seinerzeit schon aus dem Dienst ausgeschiedene rüstige Unruheständler zunehmend. Er fabulierte vom gewaltsamen Umsturz oder äußerte Bestrafungsphantasien für Politiker.
Michael F. hingegen war einst Kontaktbeamter und Sicherheitsbeauftragter der jüdischen Gemeinde in Hannover – und fiel dort schon vor der Pandemie unangenehm auf. Auch er sitzt derzeit im Rahmen der Ermittlungen gegen die „Patriotische Union“ in Untersuchungshaft. Auch er delegitimierte in Reden auf „Querdenker“-Demonstrationen den Rechtsstaat, dem er seinerzeit gleichzeitig noch diente. Er war Kandidat der Die Basis. Juden in Hannover haben durch ihn, seine Radikalisierung und das zunächst eher zurückhaltende Vorgehen der Behörden gegen F. (fast) den Glauben an den Rechtsstaat verloren.
Blinde Flecken
Die Anwältin Christina Clemm erinnert in ihrem Text daran, dass Menschen, die der Polizei misstrauen, nach erlittenen Übergriffen zuweilen keine Strafanzeige erstatten. Möglicherweise geschieht dies auch aus der Befürchtung heraus, rechte Polizisten könnten sich an der Schilderung des „Leids ergötzen“. Menschenverachtende Vorfälle oder Taten werden so nicht aktenkundig. Brisanz und Häufigkeit fehlen dann in den Statistiken, gesellschaftliche Entwicklungen bleiben blinde Flecken. Indirekt kann eine Polizei, der Menschen nicht mehr trauen, wie ein Brandbeschleuniger wirken. Denn erfahren Täter keine Konsequenzen, kann sie das zu neuen, extremeren Taten ermutigen.
Das Buch enthält fast 30 Beiträge von unterschiedlichen Autoren. Die Texte sind überwiegend journalistisch geschrieben und gut lesbar. Geliefert werden dabei sowohl ein konkreter Beitrag zur Debatte um ein jetzt einzuleitendes Verbotsverfahren gegen die AfD, als auch zahlreiche weitere Informationen in den übrigen Kapiteln. Solche Inhalte zeigen, dass Vertreter der AfD in Sicherheitsbehörden tätig waren und dort weiter tätig sind. Dann haben sie in ihrem politischen Engagement nicht selten auch mit Personen zu tun, gegen die Behörden wegen extremistischer Bestrebungen und Straftaten vorgehen (sollten) oder bereits vorgegangen sind. In einigen Jahren wird es daher wohl auch noch ein drittes Buch geben (müssen).
Staatsgewalt: Wie rechtsradikale Netzwerke die Sicherheitsbehörden unterwandern. Heike Kleffner, Matthias Meisner (Hrsg.). 352 Seiten. 24,00 Euro. ISBN: 978-3-451-39596-3